Stefan Mitrenga

Goschamarie Der letzte Abend


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irre ich mich“, gestand Dr. Mann. „Aber nicht um viel. Sicher ist, dass diese Knochen wesentlich weniger alt sind als tausend Jahre.“

      Walter runzelte die Stirn. „Wie …“

      „Schauen Sie sich den linken Arm an“, unterbrach Dr. Mann Walters Frage.

      Sie zeigte auf den zweiten Arm, den sie eben erst freigelegt hatte.

      Dann sah es Walter auch. An dem Arm hing eine Armbanduhr.

      „Ich denke diese Archäologin liegt richtig“, grummelte Balu. „Die Knochen riechen noch ein bisschen.“„Noch `ne Leiche“, maunzte Eglon. „Und diesmal noch näher bei uns!“ Er wandte sich angewidert ab. „Das stört mich gar nicht so“, seufzte Balu. „Viel schlimmer ist: jetzt suchen wir doch wieder einen Mörder und Walter mischt bestimmt mit.“ „Da siehst du es“, grinste Kitty und ließ ihre Barthaare nach vorne schnellen. Balu verstand nicht. „Was sehe ich?“„Es läuft doch nicht alles ganz normal ab. Neue Leiche – neue Mörderjagd … du erinnerst dich an unsere kleine Wette.“Balu seufzte und sah zu Eglon, der gerade seinen dicken Bauch leckte. „Na los, sag’s ihm“, triezte Kitty und stupste den Wolfsspitz in die Flanke. Balus Augen bettelten um Gnade, doch Kitty schüttelte nur den Kopf. „Ach, Eglon“, raffte er sich auf, „ähm … ich würde dir gerne etwas anbieten.“ Der rote Kater blickte überrascht auf. Seine Zunge hing noch ein Stück aus seinem Maul. „Du darfst eine Woche lang von meinem Futter essen, wenn du möchtest.“„Du verarschst mich, oder?“, sagte Eglon verwirrt. Balu seufzte erneut. „Leider nein. Ich habe eine Wette verloren und das war der Einsatz.“„Wettschulden sind Ehrenschulden“, freute sich Eglon. „Und ich musste noch nicht mal was dafür tun!“„Bekommst du vom Hundefutter nicht immer Durchfall“, hakte Balu nach. „Für eine Woche verkrafte ich das. Scheiß drauf!“, antwortete Eglon und schlenderte zufrieden davon.

      12

      Manni und Streifenkollege Hans standen Wache an der neuen Fundstelle und unterhielten sich mit Walter, als Dr. Kurz angerast kam. Sie parkte ihren Polo mit quietschenden Reifen nur wenige Sekunden bevor Kripo-Hubert eintraf.

      „Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche in Taldorf“, begrüßte sie ihn, „wir sollten uns nach einem Zimmer umschauen.“

      Kripo-Hubert legte schlecht gelaunt die Stirn in Falten, wodurch er Yul Brynner in dem Film Westworld sehr ähnlich sah.

      „Ich habe es nicht bestellt“, murrte er. „Aber diesmal haben wir wohl eine … hmmm … frische Leiche?“

      Dr. Kurz wiegte den Kopf hin und her. „Nicht so ganz. Die liegt hier auch schon ein paar Jahre. Die Verwesung ist weit fortgeschritten. Auch von der Kleidung, wenn da mal welche war, konnte ich bisher nichts finden. Aber ja: sie ist, im Vergleich zu der anderen Leiche, relativ frisch.“

      „Kann mir mal jemand sagen, warum in letzter Zeit in Taldorf so viele Leichen auftauchen“, mischte sich Walter ein. „Man könnte meinen, jeder verbuddelt hier irgendwelche Toten.“

      „Hast du ein Alibi?“, scherzte Kripo-Hubert, doch Walter war nicht zum Lachen.

      „Das gibt doch wieder einen riesigen Trubel mit Presse und allem Drum und Dran.“ Er kam ganz nah an Kripo-Hubert heran und flüsterte ihm ins Ohr.

      „Können wir die Knochen nicht einpacken und woanders hinlegen? Ich glaube, in Oberzell unten würde das niemand stören …“

      „Ich kann euch hören“, trällerte Dr. Kurz, noch bevor Kripo-Hubert antworten konnte. „Hier wird nichts angerührt. Dass das klar ist!“

      Sie war angesichts der neuen Funde bester Laune und summte fröhlich vor sich hin.

      „Wenn es euch aufmuntert – mir fällt dazu ein Witz ein.“

      Kripo-Hubert verdrehte die Augen, Manni und Streifenkollege Hans taten, als hätten sie nichts gehört.

      „Der ist auch was für euch, Jungs“, rief sie Manni und Streifenkollege Hans zu.

      „Also: zwei Polizisten finden vor dem Ravensburger Gymnasium eine Leiche, und machen sich daran alles zu protokollieren. Da fragt der eine: „Du, wie schreibt man eigentlich Gymnasium?“ Der andere kratzt sich am Kopf und überlegt. Schließlich antwortet er: „Das Beste ist, wir tragen ihn rüber zur Post!““

      Dr. Kurz sah sich um und wartete auf eine Reaktion.

      „Versteht ihr nicht? Gymnasium … können sie nicht schreiben … drum tragen sie ihn zur Post …?“

      Alle Anwesenden blickten peinlich berührt zur Seite, doch Dr. Kurz klopfte sich laut lachend auf die Schenkel. „Wahnsinn oder? Haha … wir tragen ihn rüber zur Post!“

      Die Pathologin brauchte einen Moment, um sich zu beruhigen, dann machte sie sich wieder an die Arbeit.

      Vom Dorf her tuckerte Kuse mit seinem Traktor auf die Baustelle zu, um ein neues Freitagszeichen für seinen Protest zu setzen. Als er die Polizisten sah, machte er aber hastig kehrt, wobei er fast mit einem kleinen Polizeitransporter zusammenstieß, der kurz darauf auf die Wiese einbog und so nah wie möglich an die Fundstelle rangierte. Zwei Männer luden eine sargähnliche Blechkiste aus und Dr. Kurz begann die freigelegten Knochen in ihrer ursprünglichen Anordnung in die Kiste zu packen. Als alle Teile verstaut waren, untersuchte sie die Fundstelle mit einem feinen Rechen nach weiteren Hinweisen, doch sie fand nichts.

      „Das war’s“, sagte sie zufrieden und streifte ihre Handschuhe ab. „Ich nehme alles mit und untersuche die Knochen in der Pathologie.“ Sie sah auf die Uhr. „Ich bin früh dran. Wenn ich mich beeile, kann ich euch morgen früh vielleicht schon sagen, wen wir hier vor uns haben.“

      „Das wäre toll“, sagte Kripo-Hubert dankbar. „Je früher, desto besser. Mein Chef macht schon wieder Druck.“

      Dr. Kurz verabschiedete sich flüchtig und hastete zu ihrem Auto. Beim Anfahren drehten ihre Reifen durch und schleuderten Kieselsteine in Kripo-Huberts Richtung, der instinktiv den Kopf einzog.

      „Forscher Fahrstil“, stellte Walter fest. „Habt ihr noch Zeit für einen Kaffee?“

      Manni, Streifenkollege Hans und Kripo-Hubert nahmen dankend an. Sie waren gerade auf dem Weg zu Walters Haus, als sie ein dumpfer Knall aufhorchen ließ. Es war das unverkennbare Geräusch von berstendem Metall. Alle schauten zum hinteren Ende des Tales, wo eine tückische Rechts-vor-Links-Kreuzung immer wieder für Unfälle sorgte. Eine dunkle Rauchwolke stieg unheilverkündend in den Himmel.

      „Scheißndreckn“, entfuhr es Walter.

      Manni und Streifenkollege Hans rannten bereits zu ihrem Dienstwagen, dicht gefolgt von Kripo-Hubert. Mit Blaulicht und Martinshorn rasten sie von Walters Hof, in der gleichen Richtung wie vor wenigen Minuten Dr. Kurz.

      106 nach Christus

       Der fremde Händler war nicht mehr von seiner Pritsche aufgestanden. Nach zwei Tagen hatte er das Bewusstsein verloren und war am nächsten Tag gestorben. Kian hatte alles aufgeboten, was seine Kunst vermochte, doch es hatte nicht geholfen. Zuletzt hatte Kennas Mutter sich um den Kranken gekümmert. Sie hatte unermüdlich seine Stirn mit feuchten Tüchern gekühlt, aber das Fieber war weiter gestiegen.Ebo, Ravennas kleiner Bruder, hatte endlich wieder seine Pritsche beziehen können, doch die Freude war nur von kurzer Dauer gewesen: eine Woche später war er ebenfalls an dem heimtückischen Fieber erkrankt. Genauso wie Kennas Mutter. Kian hatte sich aufopferungsvoll um seine Tochter gekümmert, hatte ihren Tod aber nicht verhindern können.Kenna hatte ihm mehrfach angeboten ihn abzulösen, doch Kian hatte sie jedes Mal fortgeschickt. Am Ende war er sogar zornig geworden.„Kümmere dich um die Ziegen und komm nicht ins Haus, beim Teutates“, hatte er gebrüllt und Kenna war verzweifelt hinausgerannt und hatte bitterlich geweint.Auch Ebo war kurz darauf gestorben und das Fieber hatte sich hungrig neue Opfer gesucht. Zunächst Ebos Freunde, mit denen er auf dem Dorfplatz gespielt hatte, dann deren Eltern, die ihre kranken Kinder umsorgt hatten. Einer nach dem anderen wurde dahingerafft und fast täglich hatte ein Leichenfeuer gebrannt. Eine düstere Traurigkeit hatte sich im Dorf ausgebreitet. Nur zwei Häuser waren verschont geblieben: Noran und