Stefan Mitrenga

Goschamarie Der letzte Abend


Скачать книгу

sie sehen wirklich krank aus.“

      „Ich weiß ja“, winkte Liesl ab, „aber da muss ich jetzt durch. Sie gehen wieder laufen?“ Sie zeigte auf Eugens Joggingkleidung.

      Der ehemalige Lehrer zog eine Grimasse. „Leider nein, ich gehe nur spazieren. Ist besser als gar nichts tun. Und … nun ja … die Joggingsachen sind gerade die Einzigen, die passen.“

      Walter zeigte auf die Wiese. „Ich glaube, sie sind fertig.“

      Dr. Manns Assistenten hatten das Bodenradar zu ihrem kleinen Transporter geschoben und machten sich daran es kofferraumgerecht zu zerlegen.

      „Sieht nicht so aus, als hätten sie was gefunden“, stellte Liesl fest.

      Eugen war enttäuscht. „Schade. Stellen Sie sich mal vor, man hätte hier die Reste einer alten Siedlung gefunden. Wäre das nicht fantastisch gewesen?“ Seine Augen leuchteten.

      Walter konnte seine Begeisterung nicht teilen. „Hier? In Taldorf? Ich kann darauf verzichten. Am Ende hätten sie mir noch verboten den Garten umzugraben.“

      Liesl war während des Gesprächs immer ruhiger geworden und atmete übertrieben ein und aus.

      „Entschuldigt mich“, sagte sie plötzlich und verschwand im Haus um sich erneut zu übergeben.

      „Eine Magen-Darm-Grippe geht um“, erklärte Walter. „Sie hat das jetzt schon drei Tage.“

      Eugen nickte verständnisvoll. „Viel trinken und keine anstrengenden Tätigkeiten, dann wird das schon wieder“, klugscheißerte er.

      „Was würden wir ohne Sie machen“, sagte Walter ironisch, doch Eugen verstand es als Kompliment.

      „Ich helfe doch gerne, wo ich kann.“

      Er grinste und wandte sich zum Gehen.

      „Hmm … vielleicht sollte ich Liesl ein wenig Gesellschaft leisten. Wenn ich mich bei ihr anstecke, hätte ich ruckzuck ein paar Kilo weniger …“

      „Vergessen Sie‘s“, unterbrach ihn Walter schroff, „sie soll sich ja erholen.“

      Eugen gab sich geschlagen und verließ wortlos die Terrasse.

      Walters iPhone klingelte, die angezeigte Nummer war ihm unbekannt.

      „Hallo?“, meldete er sich, wie immer ohne Namen.

      „Was wollen Sie?“, fragte Walter überrascht. „Da sind Sie bei mir leider falsch. Woher haben sie diese Nummer? … aus der Zeitung? … Hören Sie, das muss ein Druckfehler sein oder Sie haben sich verwählt.“

      Ohne ein weiteres Wort drückte er den Anrufer weg.

      „Wer war das?“, fragte Liesl, die wackelig aus dem Haus kam.

      „Verwählt. Der wollte einen Hundewelpen kaufen. Da ist wohl eine Annonce in der Zeitung mit meiner Nummer. Das kann ja noch lustig werden.“

      „Warst du wieder bei Chiara?“, fragte Kitty, die mit Balu unter einem der noch blattlosen Jostabüsche lag. Chiara war eine junge Border Collie Hündin und lebte seit Kurzem nicht weit entfernt bei Walters Freund Georg. „Hmmm …“, brummelte Balu zufrieden. „Heute Morgen, gleich nachdem Walter mich rausgelassen hat.“„Du bist in letzter Zeit recht oft bei ihr“, grinste Kitty, während sie versuchte ihre zuckende Schwanzspitze zu putzen. „Ist das jetzt was Ernstes?“„Das ist nichts Ernstes“, antwortete Balu zögerlich. „Ganz im Gegenteil: wir haben sehr viel Spaß zusammen.“Balu hatte versucht, das Thema zu umschiffen, da Wolfsspitze nicht gern über Sex sprachen, doch Kitty hatte ihn durchschaut. „Euren Spaß kann ich mir vorstellen“, schnurrte sie süffisant und stupste Balu in die Flanke. „Aber ich gönne es euch.“

      106 nach Christus

      „Und die Krieger haben ihren Feinden wirklich die Köpfe abgeschlagen?“, fragte Kenna aufgeregt.

      Kian nickte. „Sie wollten sichergehen, dass ihre Widersacher endgültig besiegt waren und nicht in der Anderswelt erneut gegen sie kämpfen konnten.“

      Kenna wusste, dass nur ein unversehrter Krieger um Einlass in die Anderswelt bitten konnte und so die Chance zur Wiedergeburt hatte. Trennte man den Kopf vom Leib, war die Seele endgültig verloren. Die Römer glaubten zwar nicht an dieselben Götter, wollten aber nichts riskieren und hatten ihrerseits den getöteten Feinden die Köpfe abgeschlagen. Die schlimmste Strafe für einen Krieger.

      Kenna hatte in diesem Sommer ihren vierzehnten Geburtstag gefeiert, doch ihr Interesse für die Krieger ihres Volkes war ungebrochen. Das Hüten der Ziegen bereitete ihr keine Probleme mehr und es blieb viel Zeit, um von Kian und ihrer Mutter die Grundzüge des Heilens zu erlernen.

      „Aber dann war doch jedem Kämpfer klar, dass seine Seele verloren war, sobald er fiel.“

      Wieder nickte Kian. „Ihre Seelen waren verloren, aber ihre Namen wurden in Liedern festgehalten, um ihr Andenken zu bewahren. Manche schafften es aber auch, sich noch rechtzeitig dem grausamen Tun der Römer zu entziehen.“

      „Wie haben sie das angestellt?“, fragte Kenna neugierig. „Sie konnten ja nicht auf Gnade hoffen.“

      Kian trank einen Schluck Wasser aus einer hölzernen Schale, bevor er weitersprach.

      „Geriet ein Krieger in eine ausweglose Lage, also war verwundet ohne Aussicht auf Rettung, so konnte er selbst den Weg in die Anderswelt einschlagen. Man nannte das Wahandra. Dafür musste der Krieger sein eigenes Grab schaufeln und mit Weidenruten bedecken. Darauf schüttete er so viel trockene Erde, wie die Ruten aushalten konnten. Jeder, der in eine Schlacht zog, hatte für diesen Fall von seinem Druiden den Wahandra-mat bekommen. Ein giftiger Trank, der ohne Schmerzen den Tod herbeiführt. Der Krieger legte sich dann in sein Grab und beendete sein Leben mit dem Wahandra-mat.“

      Kenna war irritiert. „Aber die Römer hätten sein Grab doch immer noch finden und ihm den Kopf abschlagen können …“

      Kian lächelte. „Dafür waren die Weidenruten und die trockene Erde zuständig. Beim nächsten Regen sog sich die Erde mit Wasser voll und wurde immer schwerer. Schließlich gaben die Weidenruten nach und der tote Krieger wurde von der Erde begraben. Und weißt du, was das schönste war?“

      Kenna schüttelte den Kopf. „Was soll daran schön sein?“

      „Weiden sind so lebensstark, dass viele der Ruten in der Erde Wurzeln schlugen und neue Pflanzen hervorbrachten. Wenn du also irgendwo eine kleine Senke siehst, die von Weiden umrahmt ist, könnte das das Grab eines Kriegers sein.“

      Kian wollte weitererzählen, doch er wurde von einem schwarzhaarigen Jungen unterbrochen, der aufgeregt in ihre Hütte stolperte.

      „Kian, eure Hilfe wird benötigt. Bitte kommt mit zum Haus meines Vaters.“

      Es war Ebo, Ravennas kleiner Bruder. Er trat ungeduldig von einem Bein aufs andere, während Kian seine Jacke überzog und einige Kräuter in einem Lederbeutel verstaute.

      „Wie geht es Ravenna?“, fragte Kenna, um den Bub ein wenig abzulenken.

      „Es geht ihr gut. Wir haben sie vor drei Wochen besucht. Sie konnte ein eingestürztes Haus erwerben und hat auf dem Fundament eine kleine Holzhütte errichtet, in der sie nun ihren Handel treibt.“

      Kenna freute sich über die guten Nachrichten, doch gleichzeitig verkrampfte sich ihr Herz, da sie ihre Freundin so sehr vermisste. Fast sechs Monate war sie schon fort und sie hatte sie seitdem nicht mehr gesehen.

      Das Haus von Ravennas Vater war das größte im Dorf und hatte sogar einen Stall für Pferde und Ochsen. Es war in ihrer Zunft üblich, den fahrenden Händlern Obdach zu gewähren, wofür diese sich mit kleinen Geschenken bedankten oder mit einem guten Preis, falls ein Geschäft zustande kam.

      „Er kommt aus der Nähe von Rom und hat mit seinem Ochsenkarren die großen Berge überquert“, erläuterte Ravennas Vater und deutete auf den Mann, der sich auf einer hölzernen Pritsche zusammengekauert hatte.

      „Schon bei seiner Ankunft klagte er über Unwohlsein. Seit heute Morgen plagt ihn heftiges Fieber und er ist fast nicht mehr ansprechbar. Deshalb ließ