Stefan Mitrenga

Goschamarie Der letzte Abend


Скачать книгу

Stimmen rissen ihn aus seinen Gedanken. Er blickte über die Wiese und sah mehrere Personen um die Fundstelle stehen. Sein Freund Manni und der Vorstand waren auch dabei. Die anderen kannte er nicht.

      Neugierig ging er über die Wiese direkt auf sie zu.

      „Das Landesdenkmalamt?“, fragte er Manni, der ihm entgegengekommen war.

      „Und wie“, grinste der Polizist. „Das da ist die Chefin. Eine Archäologin. Hat Haare auf den Zähnen wie ein Otter. Sie lässt euren Vorstand ganz schön auflaufen.“

      Walter betrachtete die junge Frau, die in ihrem Designerkleid mit den Gummistiefeln ziemlich fehl am Platz wirkte. Ihre Haare hatte sie zu einem Dutt gebunden, die dickrandige Brille ließ sie noch strenger wirken.

      „Minimum zwei Wochen“, sagte sie gerade und der Vorstand quiekte panisch auf.

      „Zwei Wochen wegen ein paar Knochen?“, fragte er und schlug die Hand an die Stirn.

      „Und das auch nur wenn wir sonst nichts mehr finden. Hier geht es um wertvolle Kulturgüter. Artefakte, die wichtig für unsere Forschung sind. Das hat absoluten Vorrang.“

      Der Alte biss die Zähne zusammen und wandte sich ab.

      „Läuft nicht so gut?“, fragte Walter und erntete dafür einen bösen Blick.

      „Es läuft gar nicht. Die lässt sich auf nichts ein. Rein gar nichts. Ich weiß nicht, was ich noch machen soll.“

      Walter zog die Stirn kraus. „Ich hab was von zwei Wochen gehört … brauchen die so lange um die Knochen auszubuddeln?“

      „Natürlich nicht. Die nimmt sie noch heute mit, aber dann will sie das ganze Gelände auf weitere Spuren untersuchen.“

      Walter verstand, dass die Archäologin ihren Job gründlich machen wollte, aber zwei Wochen kamen ihm doch etwas übertrieben vor.

      „Wie heißt sie denn?“, fragte er.

      „Mann. Dr. Mann“, zischte der Vorstand und blickte verächtlich in Richtung der Archäologin, die sich mit einem ihrer beiden Assistenten unterhielt.

      „Entschuldigen Sie bitte, Dr. Mann?“, sagte Walter höflich und versuchte ein Lächeln. „Darf ich Sie etwas fragen?“

      Die Archäologin fuhr herum und musterte Walter von oben bis unten.

      „Und wer sind Sie?“, blaffte sie. „Kommt hier jetzt jeder aus dem Dorf vorbei und hält uns von der Arbeit ab?“

      „Ich bin der Nachbar“, antwortete Walter und zeigte auf sein Haus. „Mich würde interessieren, wie Ihre weiteren Untersuchungen aussehen und wie lange das geht. Immerhin wohne ich hier.“

      Dr. Mann atmete hörbar aus und schob eine Strähne zurück, die aus ihrem Dutt entkommen war.

      „Hören Sie, wir machen hier was notwendig ist. Und es dauert so lange wie es dauert. Wir haben ein Bodenradar dabei, mit dem wir die ganze Wiese untersuchen werden. Wie ich dem Musikvorstand schon gesagt habe, wird es um die zwei Wochen dauern. Und jetzt entschuldigen Sie mich.“

      Dr. Mann drehte sich weg und erteilte ihren Assistenten Befehle.

      Walter ging zurück zu Manni und dem Alten, die seine Unterhaltung beobachtet hatten.

      „Da beißt du dir auch die Zähne aus“, grinste Manni, doch Walter winkte ab.

      „Wenn es euch nichts ausmacht, würde ich gerne noch etwas ausprobieren.“

      „Waffengewalt?“, grinste der Vorstand böse.

      „Fast. Ich glaube, ich habe tatsächlich eine Geheimwaffe für diesen Fall.“

      Zehn Minuten später parkte Faxe seine Harley an der Baustelle. Nach Walters Anruf hatte er alles stehen und liegen gelassen. Der Automechaniker, der in Alberskirch eine kleine Werkstatt betrieb, war bekannt für seine fast magische Wirkung auf das weibliche Geschlecht. Und sogar Männer waren durch seine Anwesenheit häufig verwirrt.

      „Hallo Jungs“, sagte er lässig und warf seine langen Haare über die Schulter, die durch den Fahrtwind wild abstanden. Faxe trug selten einen Helm.

      Manni zeigte auf sein verwaschenes T-Shirt, das auf unverschämte Art Faxes Figur betonte. „Schickes Shirt!“

      Faxe nickte. „Danke. Geht es um sie?“, fragte er und zeigte in die Richtung der Archäologin.

      Walter nickte, doch der Alte atmete verächtlich aus.

      „Das schaffst auch du nicht!“

      „Abwarten, mein Freund. Abwarten!“

      Faxe näherte sich der Archäologin von hinten und legte ihr sanft die Hand auf die Schulter. Sie fuhr herum und wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton heraus. Sekundenlang starrte sie nur in seine dunklen Augen. Als Faxe seinen Kopf zu ihr hinabsenkte, schloss sie die Augen.

      Walter, Manni und der Vorstand sahen, wie er ihr etwas ins Ohr flüsterte, konnten aber nichts verstehen. Ein paar Minuten verstrichen, während Dr. Mann immer wieder nickte. Dann lächelte sie sogar. Am Ende verabschiedete sich Faxe per Handschlag und kam zu seinen Freunden zurück.

      „Zwei Tage. Dann ist sie weg“, sagte er gelassen.

      Der Vorstand konnte es gar nicht fassen. „Was? Wie hast du das denn geschafft?“

      Faxe zuckte mit den Schultern.

      „Hab ihr nur gesagt, dass ich gerne mit ihr essen gehen würde … sobald sie hier fertig ist.“

      „Wahnsinn“, lachte der Vorstand. „Also die Rechnung von dem Essen geht natürlich auf den Musikverein. Das hast du großartig gemacht!“

      „Nicht doch“, lächelte Faxe, „ist nicht nötig. Sie will mich unbedingt einladen. Da konnte ich nicht nein sagen.“

      Der Alte, Walter und Manni sahen sich ungläubig an. Faxe schlenderte lässig zu seiner Harley zurück und startete sie mit einem einzigen Kick.

      „Was für ein toller Kerl“, flüsterte Manni.

      „Und er riecht so gut“, ergänzte der Alte.

      Beide hatten keine Ahnung, warum sie das gesagt hatten.

      10

      Die Untersuchung des Geländes verlief erfreulich geräuschlos. Dr. Mann und ihre Assistenten hatten das Areal in Quadranten eingeteilt und fuhren es mit dem Bodenradar systematisch ab. Das Gerät hatte Räder, aber keinen Antrieb, so dass einer der Gehilfen es ziehen musste. Wie ein Ochs am Karren. Fluchend schaufelten sie zahlreiche Maulwurfshügel weg, die immer wieder den Weg blockierten.

      Sie kamen mit ihrer Arbeit gut voran. Bislang hatten sie aber nichts Interessantes entdeckt. Ein Stück verrostete Dachrinne, zwei Splinte, die wohl ein Traktor verloren hatte und ein altes Handy. Ein Siemens S4. Ohne Sim-Karte.

      „Die sind bald fertig“, stellte Liesl fest und setzte sich neben Walter auf die Terrasse.

      Sie war blass und man sah ihr im Gesicht an, dass sie abgenommen hatte. Seit drei Tagen behielt Liesl so gut wie nichts bei sich. Das wenige, das sie aß, erbrach sie kurz darauf wieder.

      Walter machte sich allmählich Sorgen. „Du solltest doch mal zum Arzt gehen.“

      „Damit der mir Tabletten verschreibt, die eh nicht helfen?“, erwiderte Liesl. „Das wird schon wieder. Außerdem wollte ich schon lange ein paar Kilo loswerden. Das ist die beste Gelegenheit.“ Walter gab ihr noch Zeit bis zum nächsten Wochenende. Würde sich ihr Zustand bis dahin nicht deutlich verbessern, würde er sie notfalls an den Haaren zu einem Arzt schleifen.

      „Hallo? Jemand zu Hause?“

      Eugen Heesterkamp lugte grinsend um die Hausecke.

      „Hab die Klingel gar nicht gehört“, murrte Walter, doch Eugen kam strahlend auf die Terrasse. Bei Liesls Anblick gefror sein Lächeln.

      „Oh mein Gott! Sie sehen ja fürchterlich aus!“

      Liesl zog die Mundwinkel nach unten. „Ich freue mich auch, Sie zu sehen Eugen“, blaffte sie den ehemaligen Lehrer an. „Und wirklich gut sehen