Stefan Mitrenga

Goschamarie Der letzte Abend


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tun kann.“

      „Soll ich dir helfen, Großvater?“, bot Kenna an, doch der schob sie vom Bett des Kranken weg.

      „Nein. Ich möchte nicht, dass du hier bleibst. Ich werde ihm ein paar Kräuter aufbrühen und mit kalten Wickeln versuchen, sein Fieber zu senken. Geh du nach Hause und erzähl deiner Mutter, dass ich hier bin.“

      Kenna war irritiert, da Kian sie häufig zu Behandlungen mitnahm und sich gerne von ihr helfen ließ. Doch sie wagte nicht zu widersprechen und verließ das Haus von Gael.

      „Meinst du, der stirbt?“, fragte Ebo, der vor der Tür auf einem Stein saß.

      „Mein Großvater wird alles tun, was in seiner Macht steht. Wenn er es nicht überlebt, dann ist es der Wille der Götter und er kann um Einlass in die Anderswelt bitten.“

      Ebo zog eine Grimasse. „Und warum muss der gerade bei uns krank werden? Er liegt auf meiner Pritsche und ich musste die Nacht auf dem Boden schlafen.“

      „Das wird schon wieder“, lächelte Kenna und verwuschelte Ebo die struppigen Haare. „Die Götter werden sich schon etwas dabei gedacht haben!“

      Kenna sah den Wagen des fremden Händlers unter dem Vordach des Stalls stehen, daneben kauten zwei Ochsen gelangweilt Gras. Die Ladefläche war mit unzähligen Amphoren bepackt. Kenna vermutete, dass sie mit Wein gefüllt waren. Oder vielleicht auch mit wertvollen Ölen.

      Sie umrundete den Wagen und entdeckte einige Büschel Kräuter, die an einem Querbalken aufgehängt waren. Neugierig hielt sie ihre Nase an die Blätter und war entzückt. Der Duft, der ihr entgegenströmte, war so fremd, aber gleichzeitig köstlich, dass sie versucht war ein paar Blättchen abzureißen. Doch sie wusste um den Wert der Pflanzenstengel und wagte es nicht. Eines der Kräuter erkannte sie wieder: Basilikum. Kian hatte immer einen kleinen Vorrat davon und hatte ihr von der heilenden Wirkung des Krauts bei Gelenkschmerzen vorgeschwärmt. Kenna stutzte. Waren das Blüten am Ende eines der Triebe? Sie sah sich verstohlen um und ging näher heran. Tatsächlich waren an einem Zweig deutlich die Blütenstände zu erkennen. Und nicht nur das: einige waren schon verblüht und trugen Samen. An die Blätter traute sie sich nicht heran, aber wer konnte etwas dagegen haben, wenn sie ein paar Samen nahm?

      Vorsichtig trennte sie mit den Fingernägeln zwei Spitzen des Basilikums ab und verstaute sie hastig in der Tasche ihres Umhangs. Sie sah sich um, doch niemand hatte sie beobachtet. Mit vor Aufregung gerötetem Gesicht machte sie sich auf den Heimweg.

      11

      Das Team vom Landesdenkmalamt war noch am Donnerstagabend abgereist. Nur Dr. Mann hatte, aus privaten Gründen, noch eine weitere Übernachtung in der Landvogtei gebucht.

      Als Walter erwachte, hörte er bereits das leise Brummen von Sabits Bagger. Der Musikverein wollte keinen weiteren Tag auf der Baustelle verlieren. Er verzichtete auf den Morgenmantel und zog sich fertig an. Er wollte nach Liesl sehen, die die letzte Nacht in ihrem Haus verbracht hatte.

      Er fand sie mit der Decke auf dem Sofa. Der Eimer stand für den Notfall bereit.

      „Geht’s dir noch nicht besser?“, fragte Walter mitfühlend und strich ihr liebevoll eine Strähne aus dem Gesicht.

      „Etwas besser“, antwortete Liesl schwach und versuchte sich aufzurichten. „Heute Morgen habe ich immerhin Zwieback und Tee gehabt, ohne es gleich wieder von mir zu geben.“

      „Du brauchst etwas Kräftigeres, damit du wieder auf die Beine kommst“, sagte Walter besorgt. „Marie macht eine hervorragende Hühnerbrühe. Ich hole dir nachher einen Teller …“

      Liesl richtete sich abrupt auf. „Nicht … nicht vom Essen sprechen …“

      Sie griff hastig nach dem Eimer. Tee und Zwieback bahnten sich gurgelnd den Weg ins Freie.

      „Lass mich einfach hier liegen. Das ist das Beste“, sagte sie gequält und sank zurück in die Kissen.

      Walter zupfte ihre Decke zurecht und ging in die Küche, um ihr Geschirr vom Frühstück zu verräumen. Er traute sich nicht, ihren Kaffeevollautomat zu benutzen, da der frische Kaffeeduft vermutlich ihre überreizten Sinne erneut beleidigt hätte.

      Wieder zu Hause machte er sich selbst einen Kaffee und setzte sich auf die Terrasse zu Balu und Kitty, die Eglon am Futternapf Gesellschaft leisteten. Sein Blick schweifte umher und blieb an Sabits Bagger hängen, der arbeitslos am Rand der Baugrube stand.

      Walter blickte verwirrt auf seine Armbanduhr. Schon Mittagspause? Halb zwölf. Etwas zu früh, fand er, machte sich aber weiter keine Gedanken.

      Sein Handy vibrierte aufdringlich in seiner Hosentasche. Ein unbekannter Anrufer wurde angezeigt.

      „Hallo“, meldete sich Walter namenlos. „Was? Nein, hören Sie … da sind Sie bei mir falsch. Da muss es einen Zahlendreher gegeben haben. Ich habe keine Anzeige geschaltet und ich habe auch keine Welpen zu verkaufen.“ Er lauschte noch kurz den Beschimpfungen des Anrufers und drückte ihn dann einfach weg. „Ihr könnt mich doch alle mal …“

      Als er leise ein Martinshorn vernahm, blickte er auf und versuchte die Richtung zu bestimmen. Das Tatütata kam von Westen und wurde stetig lauter, bis Walter einen Streifenwagen mit eingeschaltetem Blaulicht die steilen Kurven am Ende des Tals herabfahren sah. Walter ahnte, dass es sich auch diesmal um keinen Freundschaftsbesuch handelte. Der Wagen kam näher und schaltete das Martinshorn erst aus, als er vor Walters Garage parkte. Er erkannte Manni und Streifenkollege Hans, die direkt zu Sabit liefen, der an seinem Bagger wartete.

      Der Albaner zeigte wiederholt auf eine Stelle in der Grube, und redete auf die Polizisten ein, doch Walter war zu weit weg, um etwas zu verstehen.

      „Scheißndreckn“, schimpfte er und schwang sich aus seinem Gartenstuhl. Balu, Kitty und Eglon folgten ihm über die Wiese. Auch sie waren neugierig, auf was der Bagger gestoßen war.

      Diesmal war es deutlich zu erkennen: ein fast vollständig skelettierter Arm streckte sich aus dem Dreck.

      „Da haben die Fuzzies mit ihrem Radar wohl was übersehen“, sagte Walter und ging noch etwas näher heran.

      „Das denke ich nicht“, widersprach Manni. „Die haben die Wiese großflächig abgesucht. Aber hier am Rand waren sie, glaube ich, nicht.“

      Walter schätzte die Entfernung zum ersten Fundort auf rund zwanzig Meter. Die neuen Knochen befanden sich am äußersten Rand der Baugrube. Nur einen Meter weiter und Sabit hätte sie mit seinem Bagger gar nicht ausgegraben.

      „Na toll, dann rückt die Truppe wieder an und schiebt ihr Radar über die Wiese“, moserte Walter. Ihm gefiel die Nähe des neuen Fundes zu seinem Grundstück gar nicht. Was, wenn die auf die Idee kamen auch in seinem Garten zu suchen?

      Ein Auto hielt in unmittelbarer Nähe. Walter erkannte Dr. Mann, mit ihrem Dutt und der Brille, sofort. Als sie näher kam bemerkte Walter, dass irgendetwas anders war. Der Dutt saß nicht in der Mitte ihres Kopfes und sie fummelte fortwährend an ihrer Brille herum.

      „Wie kommen Sie denn so schnell hierher?“, fragte Manni überrascht und gab ihr flüchtig die Hand.

      „Wie es der Zufall will, war ich noch gar nicht weg, als der Anruf kam. Trifft sich gut“, sagte die Archäologin und ging näher an die Knochen heran.

      „Dann wollen wir doch mal sehen …“, sagte sie konzentriert. Sie holte einen Spachtel und einen feinen Pinsel aus ihrem Koffer, den sie anscheinend immer bei sich trug. Gekonnt legte sie weitere Teile des Arms frei. Sie verfolgte die Knochen bis zur Schulter und stieß dann auf den Schädel. Es folgten die Rippen und schließlich auch der zweite Arm.Plötzlich richtete sich die Archäologin auf und trat einen Schritt zurück.

      „Ich fürchte, hier bin ich nicht zuständig“, sagte sie zu Manni.

      „Aber warum denn?“, fragte Manni. „Sind die Knochen denn nicht alt?“

      „Doch schon, aber nicht so alt. Schwer zu sagen … aber ich denke mal sie liegen hier zwischen fünf und zehn Jahren.“ Dr. Mann reinigte Pinsel und Spachtel und steckte sie zurück in die Tasche. „Sie sollten ihre Pathologin anrufen.“

      Manni fummelte sein Handy heraus und drückte