E.R. Greulich

Keiner wird als Held geboren


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leitenden Funktionäre. Der Talmiglanz des "Silberstreifens" verblasst. Geschürftes Eisenerz rostet, gehobene Kohle türmt sich zum Albdruck eines miserablen Systems. Die all den Überfluss schaffen, der ihr Elend gebiert, murren. Sie murren in den Schächten, vor den Hochöfen, auf den Stempelstellen. Das Murren wird deutlicher, wird Sprache. Wo sie gesprochen wird, spricht die Partei, bekommt sie die Gewalt schlagender Wetter. Diese Sprache heißt passive Resistenz, Massenstreik, Hungermarsch, Verbrüderung mit belgischen und französischen Kumpeln. Ernst Thälmann sagt: Der Schwarze Freitag an der New Yorker Börse, der die Weltwirtschaftskrise einleitet, ist das Menetekel der kapitalistischen Welt. Die Stimme der Partei ist nicht mehr zu überhören.

      Sie hören gut, die Herren von Kohle und Erz. Ihr Gehör ist so empfindlich, wie ihr Gewissen robust ist. Vom Elend der Millionen ungerührt, rührt sie das Elend ihrer Krise ungeheuer. Diesem Elend zu steuern, opfern sie gern fünf Pfennig pro verkaufte Tonne Kohle dem, der raffinierter schwätzt als die alten Quacksalber. Ein Dutzend Jahre auf sein Stichwort wartend, hat Hitler aus allen Zauberkästen der Welt das Schillernde stibitzt, braut benebelnden Weihrauch der Phrasen. Wer aber kommt und ihm nicht glaubt, für den hält er harte Tatsachen bereit: die Stahlrute über den Schädel!

      Deutschlands Arbeiterklasse wehrt sich gegen den Würgegriff der unheiligen Dreieinigkeit, gegen die Fürsten der Monopole, ihren braunen Reklame- und Prätorianerchef und dessen abservierte Vorgänger beim Volksbetrug, die, unbelehrbar, noch immer nur eines hassen: die Arbeitereinheit. Anton, der junge Gewerkschaftsfunktionär, einer der zähesten Gegner der Braunen, schenkt sich keine Ruhe, und die Braunen schenken ihm ihren Hass. An manchen Tagen spricht er auf zwei Naziversammlungen als Diskussionsredner. Ihr Geschwafel zu widerlegen, ist nicht schwer, aber sie stellen Bedingungen, befristen die Redezeit, und immer liegt der Totschläger bereit. Dagegen helfen nur antifaschistische Solidarität und Kaltblütigkeit. Die bewahren Anton vor mancher Wunde, verderben ihnen manche Versammlung. So auch im Saalbau Essen. Wie üblich, haben die Braunen für das eingeladene Volk nur die Saalmitte freigegeben, die Seiten sind von SA besetzt, die noch auf Verstärkung wartet. Diesmal misslingt diese Taktik. Der Saalbau ist von der Antifa abgeriegelt worden. Anrückender SA-Nachschub verzettelt sich beim Kleinkrieg in den Arbeiterstraßen. Die Saalmitte erzwingt eine halbe Stunde Redezeit für ihren Diskussionsredner. Überlegen zertrümmert Anton die Demagogie des Referenten, des Herrn Nazigauleiters Kaufmann. Eine halbe Stunde ist wenig Zeit, grundsätzlich abzurechnen. Trotzdem zwingt sich Anton, ruhig und klar zu sprechen. Langsam sickern SA-Verstärkungen in den Saal, die Ersten, die sich durchschlagen konnten. Der junge Kommunist sieht auf die Uhr. Er schenkt ihnen zwei Minuten und stiehlt ihnen den Triumph. Seine Schlussworte lassen nichts anderes zu, als dass alle in der Saalmitte aufstehen und die Internationale anstimmen. Singend verlassen sie den Saal, decken sich gegen die andringende SA durch Stühle und Tische.

      Goebbels kauft sich Herrn Kaufmann, kanzelt ihn ab. Ein fünfzehn Jahre jüngerer Kommunist hat ihm eine Niederlage bereitet! Der Herr Gauleiter vergisst es nie. Zwei Jahre später wird er persönlich Rache nehmen.

      Solche Erfolge sind bestes Bindemittel der Einheitsfront, die sich von unten anbahnt. Die SPD-Arbeiter hegen manchen Vorbehalt gegen die Kommunisten. Trotzdem, es muss gelingen, Arbeitereinheit heißt Arbeitersieg. Nicht jeder Antifaschist vermag seine Gefühle zu meistern. Die Partei weiß um terroristische und sektiererische Strömungen. Sie verstärkt die ideologische Offensive. Anton liest, studiert, wann er kann, wo er kann. Er ist kein Wunderkind, dem alles zufliegt, er leidet unter dem Zeitmangel und kann nicht ahnen, dass ihm der Gegner bald viel Zeit zudiktieren wird, theoretische Lehrstunden nachzuholen. Zeit ist so knapp, weil die Zeit so viel fordert. Individualisten sagen: die Partei. Verlangt eine gute Mutter nicht das Meiste von ihren besten Söhnen?

      Selbstloser Einsatz bringt höhere Verantwortung. Anton wird Organisationsleiter des Bezirks Wasserkante der KPD, arbeitet nun in Hamburg, der Heimatstadt Thälmanns, mit bewährten Genossen wie Edgar Andre, Fiete Schulze, Franz Jacob und Bernhard Bästlein zusammen. Das Meerwasser ist bitter an der Pforte zum Ozean. Verrostende Schiffe, stillliegende Werften, unbewegliche Kräne: Weltkrise des Kapitalismus!

      Auch die nicht hören wollen, können die Mahnung der Partei an Bretterwänden und Häusermauern lesen: "Hitler heißt Krieg!" Anton setzt sich ein bis an die Grenzen seiner Kraft, und mit ihm Tausende Genossen. Dennoch, die stickigen Bodennebel der braunen Nacht wälzen sich bereits über Deutschland. Brüning-Notverordnungen sind durch Papen-Notverordnungen übertrumpft; der forsche Herrenreiter wird vom Kanzler-General Schleicher aus dem Sattel gehoben. Dessen Traum, militärischer Ständestaat mit den Gewerkschaften, zaubert die Tatsache nicht hinweg: Nazis bei den Novemberwahlen 1932 an die 500000 Stimmen verloren, Kommunisten etwa die gleiche Anzahl gewonnen! Jetzt hilft den Herren kein sozial mümmelnder General mehr, jetzt hilft nur noch Hitler. Schacher hinter den Kulissen. Auf den Straßen die Stimme der Partei: Generalstreik - Einheitsfront! Da gibt Hindenburg, der Kommisskopf auf dem Präsidentenstuhl, dem schwärzesten Tag der neuen deutschen Geschichte seinen Segen.

      Der braune Terror rast in den Arbeitervierteln. Die Partei winselt nicht. Verschleppen, schlagen, foltern. Die Partei widersteht. Regierungslügen, Zeitungslügen, Radiolügen. Die Partei ruft, mahnt, sammelt. Reichstagsbrand. Die Partei entlarvt. Terrorwahlen im März. Die Partei ringt um jede Stimme. Der Braunauer erreicht nicht die parlamentarische Mehrheit. Er kassiert die kommunistischen Mandate. Die bürgerlichen Parteien "ermächtigen" ihn, die Gewerkschaften werden gleichgeschaltet. Die KPD kapituliert nicht.

      Anton arbeitet illegal weiter. Ein Soldat der Revolution hebt nicht die Hände. Am Geburtstag Thälmanns, des kurz zuvor Verhafteten, teilt er dessen Geschick. An diesem 16. April übermittelt Anton fünfzig Mark Solidaritätsspende für Rosa Thälmann. Wenige Stunden später ist er von Gestapo-Bullen umringt. Die Hölle beginnt.

      DIE ENTLASSUNG

      Zuchthausdirektor Larsch hob den Kopf. Einen winzigen Augenblick war Unwillen in seinem glatten Gesicht. Oberkommissar Taege trat ein und sagte aufgeräumt: "Mahlzeit!"

      Larsch erhob sich und grüßte vorschriftsmäßig: "Heil Hitler!"

      Taege überhörte die Zurechtweisung und warf sich in den Sessel vor dem Schreibtisch.

      Umständlich nahm auch Larsch wieder Platz und dachte: Eigentlich hättest du genauso wiedergrüßen sollen. Zum Teufel mit der Korrektheit. Ohne die wärst du längst pensioniert.

      Aus den beinahe an Staatsgefährlichkeit grenzenden Gedanken riss ihn die selbstbewusste Stimme Taeges. "Was macht der Vogel?"

      "Sie meinen Born? - Der rennt wie ein gefangener Wolf durch die Zelle. Grübelt, ob er entlassen wird oder nicht."

      "Großartig. Wenn es nach mir ginge, könnte er noch Tage und Wochen grübeln."

      "Immerhin hat er eine rechtskräftige Strafe abgebüßt, und wenn das Reichssicherheitshauptamt die Entlassung verfügt ... "

      "Immerhin, lieber Parteigenosse Larsch, immerhin", Taege wiederholte ironisch dieses von Larsch sachlich-beiläufig gedachte Wort, "immerhin ist das eine Verfügung der höchsten zuständigen Stelle."

      "Ich halte sie für klug und gerecht."

      "So?" höhnte Taege.

      "Ja", sagte Larsch unbetont, voll inneren Ärgers. Dieser Mann hielt Zynismus für Witz. Dabei war er so witzlos, dass er jeden seine Macht fühlen ließ.

      "Falls Sie meine Auffassung interessiert, Larsch: Diesen Akt unbegreiflicher Milde wird der Bursche schlecht lohnen."

      Larsch schob einen Hefter vom Rand des Schreibtischs in die Mitte. "Ich habe seine Akten durchgesehen."

      "Na und?"

      Vorsichtig! warnte es in Larsch, doch sein Widerwille war stärker. "Soweit ersichtlich, hat er sich während der letzten Strafhaft gut geführt."

      "Weiter ist Ihnen nichts aufgefallen?" Taege betrachtete den Direktor lauernd.

      "Zum Beispiel?"

      "Dieser Born ist ein fanatischer Kommunist."

      "Das hebt seine gute Führung nicht