E.R. Greulich

Keiner wird als Held geboren


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wie es weitergeht, dachte Anton, und ich diesen Quatschkopf hinter mir hätte. Fast automatisch schnarrte er: "Jawoll, Herr Hauptwachtmeister!"

      Das empfand der Stichling als so außergewöhnliche Frechheit, dass er gnädig blieb. "Na, wenigstens ehrlich. Abhauen!"

      Vor dem Hilfswachtmeister Borke marschierte Born hinunter in die Kleiderkammer zum Hausvater, vorbei an Kalfaktoren, die alle plötzlich draußen zu tun hatten. Es war erstaunlich, wie viel Arbeit von wie viel Kalfaktoren jetzt und augenblicklich auf den Gängen zu erledigen war. Geflüsterte Grüße und verstohlene Zeichen begleiteten Anton.

      Beim Hausvater lief alles so, wie es Born schon mehrmals erlebt hatte. Sein Zivilanzug war noch warm vom Bügeln, die wenigen Habseligkeiten, im Amtsdeutsch "Effekten" benannt, lagen säuberlich parat. Der Hauptkalfaktor schnorrte Born heimlich um den Rest krümelnder Zigaretten im zerknitterten Päckchen an und bekam sie. Als sich der Lederriemen der Armbanduhr um Antons Handgelenk straffte, überkam ihn das Hochgefühl eines zivilisierten Menschen, der vermittels eigener Uhr, wann immer es ihm beliebt, die genaue Tageszeit abzulesen vermag.

      Kurz darauf lieferte Borke ihn bei Larsch ab. In straffer Haltung blieb Anton Born neben der Tür des beinah zivil anmutenden großen Zimmers stehen. Die Augen hinter der randlosen Brille in dem Asketengesicht des Direktors musterten den Gefangenen, und dann kam aus dem dünnlippigen Mund die lakonische Feststellung: "Das ist er."

      Taege wandte sich um und rückte bedächtig seinen Stuhl zurecht.

      Pauls Nachricht stimmt nur halb, dachte Anton Born sarkastisch, statt der üblichen zwei Bullen ist nur einer erschienen, dafür aber ein ganz schwerer. Das war bildlich und wörtlich richtig. Selbst unter dem vorzüglich geschneiderten Maßanzug ahnte man die Fettpolster des Gewaltigen. Taege verschränkte die Finger und hob sie an das fleischige Kinn. "Sie sind Born, Anton, Emil?"

      "Jawohl."

      Taege nahm den Hefter vom Schreibtisch, sah hinein und sagte zum Direktor, als sei Born nicht vorhanden: "Letzte Strafe wegen Hochverrat, reichsfeindliche Aktionen. Hat in der vorangegangenen Schutzhaft Sammlungen für die lebenslänglichen Politischen organisiert, eine illegale Trauerfeier für seinen hingerichteten Busenfreund Andre abgehalten und ähnliche Unverschämtheiten mehr. - Stimmt's, Born?" Die Frage schoss er nach wohlberechneter Pause gegen den Gefangenen.

      "Jawohl, Herr Kommissar", sagte Born und dachte: Mein Glück, dieser Hochverrat. Nach dem Vierteljahr Bunker damals in Dachau war ich kurz vorm Ende. Wären sie nicht so scharf auf eine "rechtmäßige" Aburteilung gewesen, wodurch ich wieder in die Mühle ihrer "ordentlichen" Gerichtsbarkeit kam, lebte ich heute nicht mehr. Antons Gedankenkette wurde von Taege unterbrochen, der ihn anherrschte: "Oberkommissar bitte, Oberkommissar Taege aus Hamburg und spezieller Freund der Kommune. Wollen Sie sich das hinter die Löffel schreiben?"

      "Jawohl, Herr Oberkommissar."

      Taege warf die Akte zurück auf den Schreibtisch und fragte liebenswürdig: "Nun, Herr Born, was halten wir denn von der politischen Lage?"

      Ein kleiner Sonderspaß, ehe er mich abführen lässt, dachte Anton.

      Er hob die Schultern und machte ein unbeteiligtes Gesicht. "Schwer zu sagen, Herr Kom ... , Herr Oberkommissar. Keine Zeitungen, kein Radio - wie soll man da ... "

      "Danach fragte ich nun nicht", sagte Taege leutselig, "ihr seid doch besser informiert als mancher draußen."

      Born antwortete nicht und gab sich einen Augenblick dem unbändigen Hassgefühl hin: Dem da einmal allein begegnen!

      Taege brannte sich genüsslich eine neue Zigarre an. Geschickt schwenkte er das brennende Streichholz, ließ es erst verlöschen, nachdem er die Frage beendet hatte: "Die fortgesetzten Erfolge des Führers schmecken euch nicht, wie?"

      Anton Born schwieg.

      "Ob sie euch schmecken, will ich wissen!" brüllte Taege.

      Anton hatte einige Sekunden Zeit zum Überlegen gewonnen und erwiderte nun treuherzig: "Was man so in der Zuchthausabgeschlossenheit hört, ist erstaunlich, Herr Oberkommissar. Allerdings kennt man die Dinge zu ungenau, um darüber etwas sagen zu können."

      "Ach nee." Taege spielte Erstaunen. Dann kniff er die Augen zusammen und fragte scharf: "Sie sind also noch immer Kommunist?"

      "Würde ich jetzt mit nein antworten, würden Sie es mir doch nicht glauben, Herr Oberkommissar."

      "Unwichtig, Born, ganz unwichtig, was ich glaube", sagte Taege nachsichtig, "ich wollte wissen, ob Sie noch Kommunist sind."

      Jetzt aufpassen, warnte sich Anton Born, falscher Heroismus ist ebenso übel wie Anbiederei. "Ich habe natürlich viel nachgedacht in der langen Zeit. Eins weiß ich genau: Es ist gut, wenn die Völker vernünftig miteinander leben; ich bin genau wie der Führer für den Frieden."

      "Gerissen, was?" wandte sich Taege an Larsch und schnauzte dann: "Leute wie Sie haben sich überhaupt nicht hinter dem Führer zu verstecken, kapiert?"

      "Jawohl, Herr Oberkommissar!" antwortete Anton, und die Frage schoss ihm durch den Kopf: Warum nur ist es so schwer, den reuigen Sünder zu spielen?

      Taege fixierte den Gefangenen. Dessen Gesicht verrät nicht, was er denkt. Bestimmt hämmert sein Herz, zittert er innerlich. Aber was ist das schon? Zu dumm, dass sie oben bereits entschieden haben. Von einem auf frischer Tat gefassten Born hätte ich schon die eindeutige Antwort, auf meine eindeutige Frage bekommen. Doch so? Dieser Bursche ist zu hart gesotten. Der Larsch macht auch ein Gesicht, als hätte er Bitterwasser geschluckt. Man muss zum Ende kommen, der Spaß wird ranzig. Taege betrachtete gelangweilt seine gepflegten Fingernägel. "Wir sind großmütiger, als ihr uns einschätzt, Born. Euer Bäckerdutzend ist uns nicht mehr gefährlich."

      Komisch, dass ihr dann dafür noch so einen gewaltigen Apparat nötig habt, dachte Anton.

      "Wir lassen euch denken, was ihr wollt, wenn ... na, was denn?"

      "Wenn wir niemand damit belästigen, Herr Oberkommissar!" schmetterte Anton hinaus.

      Verblüfft schaute Taege hoch. Die wasserblauen Augen in dem gut rasierten Gesicht waren weit aufgerissen. Dann schlug er sich auf den fleischigen Schenkel und lachte laut. "Belääästigt - Herrgott noch mal, belääästigt! - Ein Witzbold ist er auch!" rief er Larsch zu, dem es nicht ganz gelang, seinen Unwillen über den hemmungslosen Heiterkeitsausbruch Taeges zu verbergen.

      "Nee, mein Lieber", rief Taege, "wenn ihr fein die Schnauze haltet, sauber eure Arbeit macht und die Finger davon lasst, illegal zu kokeln. Außerdem ... ", er winkte vielsagend ab, "das andere werdet ihr schon merken, wenn es soweit ist."

      "Jawohl, Herr Oberkommissar."

      "Na schön." Taege trommelte mit den Fingern auf der Stuhllehne und fragte den Direktor: "Haben Sie noch Fragen?"

      Der Angesprochene verneinte.

      "Alsdann, Born: Sie werden jetzt entlassen." Wie ein Chemiker ein Reagenzglas, beobachtete Taege das Gesicht Borns.

      Der beherrschte sich mühsam.

      "Sie sagen ja nichts, Born."

      Anton Born schwieg weiter.

      "Ihnen gefällt's wohl hier? Wollen Sie nicht zurück in die Arme der liebenden Gattin?"

      "Ich bin geschieden, Herr Oberkommissar."

      "Schwein muss der Mensch haben", sagte Taege zu dem Direktor und lachte schallend auf, "kann er sich was Neues ins Bett nehmen."

      Larsch lachte gequält mit. Born verharrte noch immer in vorschriftsmäßiger Haltung.

      Taege sprang auf. "Nun los, unterschreiben Sie gefälligst."

      Er schob ein Blatt Papier zur Kante des Schreibtischs und hielt Born einen Federhalter hin.

      Anton trat näher. Die erste Zeile sagte es ihm: der Revers. Er unterschrieb ohne Zögern, hätte auch keine Zeit gehabt, das Ganze zu lesen, denn Taege zog ihm ungeduldig Halter und Bogen fort und kommandierte: "Jetzt ab durch die Mitte. Und merk dir das eine: Lässt du dich noch mal