E.R. Greulich

Keiner wird als Held geboren


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      "Wie kommst du darauf?"

      "Du bist immer so - so - kannst mit Kindern umgehen und mit jungen Menschen."

      "Hm. - Leider bin ich es nicht. Ein sehr schöner Beruf. Hättest du Lust dazu?"

      "Ich weiß nicht. Ich wäre wohl zu ungeduldig. Aber schöner als Vaters Beruf ist er."

      "Was ist dein Vater?"

      "Regierungsrat in der Justizverwaltung."

      "Wirst du auch Jura studieren?"

      "Um Himmels willen. Ich werde wohl Germanistin werden. Im Aufsatz habe ich die meisten Einsen."

      Anton erwiderte nichts, hoffend, dass sie weitererzählen würde. Sie tat es. Mutter sei ernster als Vater, auch gebildeter. In der Weltliteratur sei sie besser zu Hause als in der Küche. Natürlich günstig für eine angehende Studentin der Germanistik. Allerdings krittele Mutter manchmal an den heutigen Zuständen, sodass Vater öfter bremsen müsse. Aber das käme wohl nur, weil Mutter ein bisschen sehr intellektuell sei.

      Anton verstand zuzuhören. Er fragte kurz, aber mit Teilnahme, und spürte, dass es Dagmar wohltat, von sich zu berichten. Nach einer Weile sah er auf die Armbanduhr und schlug vor, ins Dorf zu schlendern.

      Sie griente jungenhaft, als sie weitersprach. "Vaters ganze Erziehung gipfelt jetzt nur noch darin, mich vor den Männern zu warnen. Das kann doch bloß sein, weil er sich selbst kennt."

      Anton lächelte nachdenklich. "Ein guter Bürger: Alles ist bei allen Frauen erlaubt, nur nicht bei meiner Gattin und meinen Töchtern."

      Sie blickte misstrauisch auf. "Du bist wohl 'n ganz radikaler Nationalsozialist?"

      "Ach nee."

      "Mit 'satter Bürger' und so sind die immer schnell bei der Hand."

      Glücklicherweise waren sie jetzt an der kleinen Weggabelung angelangt. Anton brach das heikle Gespräch ab. Er nahm ihre Hand. "Tschüss denn, Dagmar. Wiederholen wir unsere Verabredung von gestern?"

      Sie nickte erfreut.

      "Aber heute ohne Schmollen?"

      "Bestimmt", rief sie verlegen und rannte davon.

      Pünktlich auf die Minute war sie beim Ameisenhaufen. Sie trug ihre Haare zusammengerafft mit einem blauen Band. Durch ein Kleid in der gleichen Farbe wirkten ihre Augen fast blau, obwohl sie grau waren. Aufgeräumt erklärte Anton, nun werde er ihr seine schönste Kiefer zeigen. Bald hatten sie den einsamen Platz erreicht. Vor dem ausladenden Wuchs der Knorrigen machte Anton eine Geste, als hätte er sie gepflanzt. "Ich liebe Kiefern. Wo alle andern Arten eingehen, da kämpfen sie sich hoch. Sie riechen nach Gesundheit, schenken uns Harzgeruch und ... "

      "... die Kienäppel", spottete Dagmar gutmütig.

      "Wer die Kiefer nicht ehrt, ist die Buche nicht wert", tadelte Anton, als sie weitergingen.

      Auf der Landseite mit Zwergbirken bestanden, führte der Weg bergab und bergauf. Als sie aufatmend eine neue Höhe erreicht hatten, verharrte sie vor der sich jenseits eines schmalen Wiesentals erstreckenden Wand schwarzsilbern schimmernder Stämme, die über sich ihr Schild grünen Blattwerks gegen den Himmel hielten.

      "Schön", sagte Dagmar, "ein gewachsener Dom."

      Anton gab ihr den Spott über die Kiefern zurück: "Stimmt. Dome riechen auch meist ein wenig modrig."

      "Trotzdem sind sie erhebend."

      "Stimmt auch, denn geblieben sind die herrlichen Formen. Wenige denken an die Kosten: Schweiß, Tränen, Blut."

      "So kann man sich jede Freude vergällen."

      "Wenn man weiß, welche Opfer es kostete, wird das Schöne schöner."

      Sie wurde wieder misstrauisch, spürte, dass sie ihm auf dieser Ebene unterlegen sein würde. "Gehen wir diesen Weg?"

      "Ich schlage vor, wir nehmen den Weg dort drüben. Er führt durch den ganzen Wald. Dahinter liegt ein Dorf, von dem wir mit dem Überlandbus zurückfahren können."

      Sie wanderten eine Weile, ohne zu sprechen. Aus der Ferne waren Axtschläge und Sägegeräusche zu hören, einmal ein dumpfes Krachen. Hinter einer Wegbiegung tauchte plötzlich eine Arbeitskolonne auf, die mit Holzspalten beschäftigt war. Ringsum im Wald, links und rechts des Weges, waren andere Gruppen beim Fällen. Anton zuckte zusammen. Die Arbeitenden waren KZ-Häftlinge in der Zebrakluft, die er selbst so lange getragen hatte. Und da entdeckte er auch die SS-Posten mit Maschinenpistolen. Einige führten einen Hund an der Leine. In Anton stieg Übelkeit hoch, als er das Kommandieren und Brüllen hörte. Kein Zweifel, hier schuftete ein Außenkommando von einem der Konzentrationslager im Lande.

      Als Dagmar die Szenen wahrnahm, ging sie unwillkürlich dichter neben Anton. "Zuchthäusler?" fragte sie mit gepresster Stimme.

      Er schüttelte den Kopf: "KZler." Ich muss ihnen einen Beweis meiner Sympathie geben, überlegte er. Unauffällig holte er die angebrochene Schachtel Zigaretten aus der Jacketttasche und ließ sie zwischen Dagmar und sich zur Erde gleiten.

      "Du hast etwas verloren", sagte Dagmar vorwurfsvoll.

      "Lass es liegen." Als er ein winziges Zögern in ihr zu spüren glaubte, nahm er sie beim Arm und schritt schneller voran.

      Mit eigensinnigem Gesicht, die Lippen zusammengepresst, ging sie neben ihm.

      Sie schwiegen noch, als der Spuk lange verhallt war und vor ihnen helleres Licht das Ende des Buchenwaldes ankündigte.

      "Es waren doch Verbrecher", sagte sie plötzlich.

      "Im KZ sind Tausende anständige Menschen."

      Erregt blickte sie auf. "Woher willst du das wissen?"

      "Ich weiß es, du musst mir glauben."

      "Das ist kein Beweis."

      Er ging grübelnd und finster weiter. Glückliche Inseln inmitten der Nazihölle waren Trugbilder. Plötzlich stand da die graue Wirklichkeit und zwang ihn zu einer Entscheidung, um die er wahrlich nicht nachgesucht hatte. Sollte er jetzt das Gespräch abzubiegen versuchen? Noch war er für sich allein verantwortlich. Sicher, die illegale Arbeit wartete auf ihn: Streuzettel, Flugblätter, Mauerinschriften, Dreiergruppen, Geldsammlungen, den Volkskampf gegen Hitler organisieren. Worum ging es bei all diesen Aktionen? Menschen zu gewinnen. Nichts aber wirkte nachhaltiger als persönlicher Einfluss. Auch bei der geringsten Widerstandstätigkeit stand das Leben eines Kommunisten auf dem Spiel. Die Frage, lohnt es, war eines Kämpfers unwürdig. Es lohnte, einem jungen Menschen die Augen zu öffnen, zumindest Zweifel an diesem System in sein Herz zu senken. Er war mit Dagmar allein, niemand konnte ihr Gespräch hören. Er wusste nicht viel von ihr, doch das Wichtigste: Sie war keine fanatische Nazis, und sie war immer ehrlich zu ihm gewesen, überraschend ehrlich in dieser Zeit des großen Heuchelns. Er wäre nicht mehr er selbst, würde er jetzt ausweichen.

      Anton seufzte und hatte sich entschieden. "Damit du mir glauben kannst, musst du wissen. Komm, gehen wir diesen Querweg, ich möchte sie nicht mehr sehen, wenn sie beim Einrücken hier vorbeikommen." In einer kleinen Mulde mit warmem Moos unter einer Birke ließ er sich nieder, bat sie mit einer Geste, sich ihm gegenüber zu setzen.

      Verschlossen gehorchte sie und sah ihn forschend an. Er wich ihrem Blick nicht aus. "Ich war selbst im KZ."

      "Nein." Es war ein kleiner ungläubiger Schrei.

      "Doch."

      "Warum? Was - hast - du - verbrochen?"

      "Ich bin auch nach dreiunddreißig meiner Weltanschauung treu geblieben."

      "Du bist Kommunist?" fragte sie so leise, als hätte sie Angst, es könnte sie auch hier jemand hören.

      "Ich liebe Deutschland, und ich wehre mich dagegen, dass man seine schöpferischen Leistungen verdunkelt mit Herrendünkel. Ein Volk, das andere versklavt, wird selbst nie frei sein."

      Sie schüttelte gequält den Kopf. "Nein, dass solch ein feiner