E.R. Greulich

Keiner wird als Held geboren


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mein Schnürsenkel zuknippern, nich?"

      "Und dann?"

      "Da hab ick verschiedenet jehört: Sofort melden - nach Probezeit vielleicht doch lieber entlassen - und so."

      "Was hat Höhler gesagt?"

      "Der war nich da. Aber die Bräutigam hat tacko 'n Jeschäftsführer jemacht. Et wäre ihr neu und sehr peinlich, denn solche Leute wären ja 'ne Jefahr. Immerhin könnte sie bis jetzt nich klagen, aber selbstverständlich würde sie sofort berichten, wenn sie irjend wat bemerken sollte."

      Anton fuhr sich nachdenklich über das Kinn. "Soso."

      "Und denn hat der mit der Aktentasche noch jesagt, det man den Führerschein des Born einziehen werde, und deshalb dachte ick, det Sie 'n Zusammenstoß oder ... "

      Anton schüttelte den Kopf und dachte angestrengt nach.

      "Aber warum sollten die Ihnen denn ..."

      "Wenn du versprichst, Nitte, mit niemand darüber zu reden, werde ich's dir erklären."

      Nitte nickte mit kindlichem Ernst.

      "Für jetzt nur so viel: Kurz bevor ich hier angefangen habe, bin ich aus dem Zuchthaus entlassen worden."

      "Gloob ick nich!" Der Junge sah den Älteren trotzig an.

      "Warum nicht?"

      "Sie würden bestimmt nich einbrechen, een' dotschlagen oder ... "

      "Du warst noch klein damals, aber vielleicht entsinnst du dich, wie dreiunddreißig auch aus eurer Straße welche abgeholt worden sind von der SA?"

      Nitte überlegte. "Kann sein - ja. In Nummer zweiundsechzig woll eener, und denn - ja, stimmt - in Nummer vierundachtzig, schräg rüber von uns, waren's zweie. Aber die sind dann bald wieder rausjekommen und verzogen."

      "Hatten die jemand umgebracht?"

      "Nee - war woll wejen politisch und so."

      "Viele von denen sind noch heute im KZ oder im Zuchthaus, genau wie ich bis vor ein paar Wochen."

      "Warum sind Sie denn einjesperrt worden?"

      "Weil ich für Kollegialität war, für Solidarität."

      "Wat iss'n det?"

      "Dass die Armen sich immer beistehen, beispielsweise."

      "Aber die Nazis sagen doch ooch, sie sind für Volksgemeinschaft. So wat meinen Sie doch, nich?"

      "Machen die Volksgemeinschaft? Du bist 'n fixer Bengel, wirst aber immer getreten. Der Halpope wird gehätschelt."

      "Stimmt." Nitte bekam ein grimmiges Gesicht. Viele Fragen stauten sich hinter seiner gefurchten Stirn.

      "Wir wollen uns hier nicht zu lange unterhalten, Nitte. Aber wir werden ab und zu ins Kino gehen. Dabei kann ich dir mehr darüber erzählen. Und wenn jemand mal fragen sollte, können wir immer sagen, wir haben uns über den Film unterhalten."

      "In Ordnung. Wann jehn wir?"

      "Kannst bei Gelegenheit auf der Anschlagsäule nachsehen. Jeden Mumpitz sehen wir uns natürlich nicht an. Kurz vor Feierabend sprechen wir dann noch mal."

      Anton ging zu Frau Bräutigam, nachdem er festgestellt hatte, dass sie allein im Büro war. "Gut, dass Sie kommen, Herr Born", empfing sie ihn ernst. "Ich muss sowieso mit Ihnen sprechen." Mit nervösen Händen steckte sie eine Zigarette in die elegante Damenspitze und schob Anton das Päckchen hin. Offensichtlich suchte sie nach einer geschickten Einleitung, platzte dann aber heraus: "Man will Ihnen den Führerschein wegnehmen."

      "Wenn man ihn bekommt."

      "Wollen Sie ihn verbrennen?"

      "Ich hab' ihn vergessen, wenn sie ihn auf dem Revier fordern. Am nächsten Tag bringe ich eine Bescheinigung meines Arbeitgebers, dass er mich entlassen müsste, falls mir der Führerschein entzogen wird. Darauf gründe ich meinen Antrag auf Belassung, weil andernfalls nachweisbare Benachteiligung in meinen Arbeitsaussichten beständen und so weiter. Sie wissen ja, wie man denen kommen muss."

      Mit verächtlichem Schnauben pustete Frau Bräutigam den Rauch durch die Nase. "Das unterschreibt Höhler nie."

      "Sie haben doch Prokura, schmeißen hier sowieso den Laden."

      "Danke für die Blumen. - Aber irgendwann würde er es erfahren." Sie seufzte und überdachte alle Möglichkeiten.

      Ein Wagen fuhr draußen vor. Nach einem Blick aus dem Fenster drückte sie Anton nervös eine Pappschachtel in die Hand und flüsterte: "Sie haben das hier für Ehmsen geholt."

      Anton ging gemächlich, in der offenen Tür sagte er laut: "Schön, Frau Bräutigam, werde ich Ehmsen bestellen." Eilig ging er zur Werkstatt. Höhler beachtete ihn kaum und hastete grußlos an ihm vorbei. Gern spielte der Herr Gefolgschaftsführer den überlasteten Chef.

      Höhler saß bis zum Feierabend im Büro, deshalb war keine endgültige Antwort von der Bräutigam zu erwarten. Und morgen war der Gang zum Revier fällig. Nicht sehr fröhlich verabredete Anton mit Nitte den ersten Kinobesuch.

      Am nächsten Morgen tauchte Höhler gleich nach Arbeitsbeginn auf. Antons Hoffnung sank noch tiefer. Der Herr Chef blieb den ganzen Vormittag. Kurz vor der Mittagspause kam Vera Bräutigam. In einem unbewachten Augenblick steckte sie Anton einen Briefumschlag zu.

      Das Polizeirevier lag im ersten Stock. Anton war nicht der einzige Besucher dieser Art, und alles, was sich ständig wiederholt, wird Routine. Gruß, gebrummter Wiedergruß, kurzes Mustern des Zwangsbeauflagten, Eintragung ins Kontrollbuch, manchmal eine joviale Ermahnung, und der Auflage war von beiden Seiten Genüge getan. Anton war schon wieder an der Tür, als der Hauptwachtmeister leichthin sagte: "Übrigens, Born, Sie möchten mal zum Reviervorsteher kommen."

      Der Reviervorsteher, ein Polizeiobermeister, hatte kein Bürokratengesicht, eher das eines Arbeiters. Wahrscheinlich ein Sozialdemokrat, der sich bis jetzt durchlaviert hat, dachte Anton.

      "Herr Born - Sie haben sich eben eintragen lassen?"

      "Ja."

      "Darf ich mal Ihren Ausweis sehen?" Er tat, als prüfe er sehr gewissenhaft, und forderte dann monoton: "Ihren Führerschein."

      "Den habe ich nicht bei mir."

      Der Uniformierte blickte den Mann vor sich müde und vorwurfsvoll an. "Sie kutschieren ohne Führerschein umher?"

      Sie haben spitzgekriegt, dass ich ab und zu hier mit einem Wagen hergerutscht bin, dachte Anton innerlich amüsiert und sagte todernst: "Heute musste ich laufen, Herr Obermeister."

      "Wenn Sie laufen, lassen Sie den Führerschein natürlich zu Hause."

      "Nein, ich habe ihn heute vergessen, weil ich ein anderes Jackett angezogen habe."

      Mit raschem Blick überflog der Reviervorsteher ein vor ihm liegendes Schreiben. "Jedenfalls verlangt die zuständige Stapoleitstelle Ihren Führerschein. Bringen Sie ihn nächstes Mal mit."

      "Eine Bitte, Herr Obermeister: Darf ich die Anschrift der Leitstelle erfahren?"

      Ohne aufzusehen, langsam und eintönig las der Reviervorsteher den Briefkopf vor, mit Aktenzeichen und Zimmernummer. Im gleichen Tonfall, immer noch auf das Blatt starrend, sagte er dann: "Und wenn jemals einer erfährt, wo Sie die Anschrift herhaben, mache ich Ihnen das Leben sauer. - Sie können gehen."

      "Danke", stotterte Anton überrascht. Im Bemühen, die Anschrift seinem Gedächtnis einzuprägen, vergaß er zum ersten Mal den offiziellen Gruß. Er wurde nicht zurückgeholt.

      Anton überlegte. In die Höhle des Löwen gehen, versuchen, denen dort die Belassung abzulisten? Nein, ihm graute vor der Bande. Er schickte seinen Antrag mit der Bescheinigung Frau Bräutigams per Eilpost an die Stapoleitstelle. Einige Tage später bekam er eine Vorladung. Betroffen fluchte er in sich hinein. Was er verhindern wollte, hatte er nun provoziert. Schweren Herzens machte er sich auf den Weg.

      Durch mehrere Kontrollen gelangte