E.R. Greulich

Keiner wird als Held geboren


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verschloss verstohlen ein Schranktürchen, als sie beide ins Büro traten. Übergangslos sagte Frau Bräutigam: "Ich habe eben dem Halpope eins aufs Dach gegeben, Edmund. Um den Nitte zu kujonieren, mischt er sich in interne Betriebsdinge."

      "Leg dich doch nicht dauernd an mit diesem - diesem ... ", er stockte und sah fragend auf Anton.

      Sie stellte vor: "Der neue Wagenwäscher, Herr ... Herr ... "

      "Born", sagte Anton und schob dem Gefolgschaftsführer die Karte vom Arbeitsamt vor die Nase.

      "Tscha, Herr - Herr Born ..." Höhler zögerte und sah unschlüssig zu Frau Bräutigam hinüber. Sie kniff bejahend ein Auge zu und sagte: "Herr Born versteht was von Motoren und hat auch einen Führerschein. Für fünf Pfennig über Tarif will er anfangen."

      Noch nie in Antons Leben hatte jemand für ihn seine ureigensten Angelegenheiten so resolut in die Hand genommen.

      "Gegen zehn Pfennig über Tarif hätte ich auch nichts einzuwenden", sagte er.

      "Da weiß ich nicht, warum Sie nicht als Autoschlosser arbeiten", wandte Höhler ein.

      Frau Bräutigam hatte jenes Schränkchen geöffnet, sich einen Schnaps eingegossen und hinuntergekippt. Nachdrücklich hieb sie mit dem Handballen den Korken in die Flasche, trat zu Höhler und sagte betont: "Dafür wird er schließlich seinen Grund haben - nicht?"

      "Meinetwegen", brummte Höhler, "also fünf Pfennig über Tarif und vierzehn Tage auf Probe. Morgen machen wir Ihre Arbeitspapiere zurecht."

      "Na schön", sagte Anton.

      "Erst mal Tagschicht", vervollständigte Frau Bräutigam die Einstellung, "von acht bis fünf. Vergessen Sie die drei Wagen nicht."

      Anton wandte sich zur Tür, und die Mahnung Frau Bräutigams fiel ihm ein. Doch statt zu grüßen, fragte er an der Tür: "Wo sind denn die Zündschlüssel für die Wagen?"

      "Die gibt ihnen Nitte."

      "Nitte?"

      "Der Krümel, unser Lehrling Heinz Nitzeband", erklärte Sie.

      Anton fand Nitte, und der zeigte ihm das Fach mit den Zündschlüsseln. "Wann fangen Se an?" fragte er.

      "Morgen früh."

      "Jott sei Dank", entrang es sich Nitte, "vor lauter Wagenwaschen bin ick überhaupt nich mehr ans Fachliche gekommen."

      "Ist das so wichtig?" reizte ihn Anton. "Spätestens nach dem Auslernen wirst du Soldat."

      Nitte nickte tiefsinnig. "Leider. Aber als jelernter Autoschlosser habe ick mehr Chancen, zur motorisierten Truppe zu kommen."

      "Totgeschossen werden kann man überall."

      "Aber die Infanterie kriegt immer zuerst 'n kalten Arsch."

      Anton wiegte den Kopf. "Schwer zu sagen. Am besten, es gibt überhaupt keinen Krieg."

      "Glooben Se?" Nitte brachte seinen Mund nahe an Antons Ohr. "Der Halpope da, der weeß über so wat immer Bescheid. Der sagt, et jeht bald los."

      "Wo denn?" Anton tat vertraut, ungläubig und neugierig.

      "Im Osten, jejen den Russen."

      "Wieso gerade gegen den?"

      "Hör'n Sie denn keen Radio? Det ist doch der bolschewistische Todfeind."

      "Deiner auch?"

      "Wie meinen Se det?"

      "Kennst du irgendeinen Russen, auf den du so wütend bist, dass du ihn umbringen möchtest?"

      "Wie komm ick 'n dazu? Aber det erzähl'n Se mal dem Führer."

      "Ich werde mich hüten. Doch mit dir kann man wohl reden."

      "Klar. Bloß müssen Se mir versprechen, dem Halpope nich zu verraten, wat ick Ihnen jesagt habe."

      "Ehrensache."

      Anton hielt Nitte die Hand hin.

      Der sah erstaunt auf, dann schlug er freudig ein. So ernst hatte ihn noch kein Erwachsener genommen.

      "Tschüss, bis morgen", sagte Anton und ging.

      Ganze drei Autoschlosser beschäftigte Herr Höhler. Der alte Ehmsen, graue Bürste und strenge Nickelbrille, war Meister in einem Großbetrieb gewesen. Als Mitglied der SPD bei den "Säuberungsaktionen" dreiunddreißig entlassen, hatte er als einfacher Arbeiter untertauchen müssen. Die Rente hätte nicht gereicht, um den Verpflichtungen, erwachsen aus den Hypotheken auf das Häuschen und den Grundbesitz, nachkommen zu können. Für seinen herabgedrückten Lebensstandard machte er nicht Hitler verantwortlich, sondern die SPD. Hätte er gewusst, wie alles kommt, wäre er nie in diese Schlappschwanzpartei eingetreten. Das gab er nicht offen zu, aber es sprach aus seinem Zynismus. Nicht mehr Meister sein zu dürfen, hatte seiner Seele einen Knick zugefügt. Er suchte es zu verschmerzen, indem er noch immer den ehemaligen Meister herauskehrte.

      Johannes Barkereit war unkomplizierter. Mit bescheidenem Köpfchen ein zuverlässiger Praktiker, war er gutmütig und anspruchslos. Wenn Frau und beide Kinder zu essen hatten, deuchte ihm diese Welt nicht übel. Seine Kollegen nannten ihn Tuddel, weil er freitags nach der Lohnzahlung die Aufforderung zu einem Kneipenbesuch jedes Mal mit den Worten einleitete: "Jehn wir ein' tuddeln?" Uneingestanden respektierte er in Ehmsen den Meister. Der sprach so gebildet und hatte theoretisches Fachwissen. Und da der Alte sich gegen Anton anfangs reserviert verhielt, war auch Tuddel gegen den Neuen zugeknöpft, obwohl ihm das offensichtlich Unbehagen bereitete.

      Emmerich Kohsel war der Jüngste der drei Schlosser, unverheiratet aus Berechnung. Er sparte für die Meisterprüfung, er sparte für die eigene Werkstatt. Bücher, Kino, Theater, Vereine? Firlefanz, der Geld kostet. Auch die Politik hält den Menschen vom Arbeiten und Sparen ab. Das hatte er doch an seinem Freund Siegfried Ehrengraf gesehen. Der Glückspilz sollte das väterliche Geschäft erben, war dreiunddreißig in die SA eingetreten, hatte sich dort das Trinken angewöhnt und, als dann sein Vater gestorben war, das ganze schöne Geschäft versoffen. Diese Tatsache hatte Kohsel derart erschüttert, dass er sie immer wieder erzählte. Sie war ihm ein unwiderleglicher Beweis, dass alle Politik nichts tauge, weder eine braune, eine schwarze noch eine rote.

      Gewohnheitsgemäß suchte Anton, Charakter und Einstellung der drei Kollegen zu ergründen. Immerhin kein Nazi dabei. Manche ihrer guten Anlagen waren von einer bösen Zeit verschüttet. Ehmsen hätte dem Lehrling fachlich am meisten geben können, aber er geizte mit seinen Kenntnissen und machte es sich bequem mit Redensarten wie: "Haben wir als Lehrlinge nicht viel öfter Bottkeule spielen müssen?"

      So blieb es Anton überlassen, den Kleinen zu ermutigen, ihm vorwärts zu helfen. Anton bemühte sich selbst um solide Kenntnisse im Motorenbau und fahndete ständig nach populären Fachbüchern. Davon profitierte auch Nitte. Mit Frau Bräutigams Hilfe verstand es Anton gelegentlich einzufädeln, dass Nitte bei Tuddel helfen musste. "Dem schau auf die Finger", sagte Anton dem Jungen, "der hat goldene Hände." Keiner rupfte einen Motor so reibungslos auseinander, keiner setzte ihn so schnell und präzise wieder zusammen wie Tuddel. Doch hätte er den Arbeitsvorgang des Otto-Motors erklären müssen, wäre er ins Stottern gekommen.

      Seit dem Tag jenes Handschlags begann etwas Neues, Schönes im Leben Nittes. Als Halbwaise ständig umhergestoßen und benachteiligt, spürte er, dass Antons Kameradschaftlichkeit und dessen Ablehnung der Nazis zusammengehörten. Er bewunderte, wie witzig Anton die Bosheiten Roderich Halpopes gegen ihn, Nitte, entschärfte, ohne dem Nazi eine Angriffsfläche zu bieten.

      Eines Tages kam Nitte mit erregt aufgerissenen Augen zu Anton und winkte ihn in eine stille Ecke. "Was iss'n eigentlich mit Ihnen, Toni?"

      Anton tat recht erstaunt. "Mit mir?"

      "Haben Se 'n Verkehrsunfall jebaut?"

      "Wieso?"

      "Na ja, da sitzt eener im Kontor, sieht aus wie 'n Kriminaler, der erzählt so allerhand."

      "Du hast gelauscht?"

      "Nich direkt. Ick sollte für Ehmsen