E.R. Greulich

Keiner wird als Held geboren


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"ich kann mich verbessern."

      Sie war gekränkt. "Ich habe Ihnen geholfen, den Führerschein zu behalten, und sie verlangen die Flebben."

      "Für Ihre Gefälligkeit bin ich Ihnen dankbar und habe auch immer eine saubere Arbeit hingelegt."

      Sie wollte nicht kleinlich erscheinen und bemühte sich um einen freundlicheren Ton. "Wo wollen Sie anfangen?"

      "Bei Sendler, den Horch fahren. Balusik ist zu den Fahnen des Führers gerufen worden."

      "Dem SA-Kacker gönne ich das."

      Sie führte ihre Zigarettenspitze langsam an die sehr roten Lippen, stieß ein blaues Wölkchen in die Luft und sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Ging es ihm nur ums Geld? Sie sollte ihm die Kündigung nur nicht zu billig machen. "Man verliert nicht gern einen zuverlässigen Arbeiter. So was muss gut überlegt werden."

      "Mir eilt es sehr", sagte Anton. "Sendler hat es so eingeteilt, dass ich abends zweite Schicht fahren kann, bis meine Kündigung hier geklärt ist. Aber das ist natürlich kein Dauerzustand." Eine Falte des Missmuts stand zwischen seinen dunklen Brauen.

      Was nützte es ihr, ihn zu verärgern. "Na schön, ich werde mit dem Arbeitsamt telefonieren. Vielleicht kriegen wir heute schon Ersatz, dann mache ich Ihre Papiere fertig. Dem Chef werde ich's schon irgendwie beibiegen. Am besten, wenn der Neue da ist."

      Anton war freudig überrascht. Erleichtert verließ er das Büro. Anderthalb Stunden später trat der Nachfolger Anton Borns mit vorschriftsmäßigem Hitlergruß ins Büro. Erich Wittig war jünger als Born. Wie er Vera Bräutigam mit seinen schnellen Augen ansah, machte sie unruhig. Einen Führerschein hatte er nicht, erklärte aber flott, das ginge schnellstens nachzuholen, denn fahren könne er. In der SA oder in der Partei war er nicht. Die Art, wie er sie betrachtete, verursachte ihr Prickeln unter der Haut. Wittig scheint ein Windhund zu sein, dachte sie.

      Am Samstag, Anton hatte eben den Horch an seinen Garagenplatz bugsiert, kam Nitte geflitzt. "Frau Bräutigam will dich sprechen."

      Anton dachte beunruhigt, hoffentlich ist ihr die Kündigungsgenehmigung nicht leid geworden. "Weißt du, was sie will?"

      "Nee. Ich soll bloß aufpassen, dass du ihr nicht durch die Lappen gehst. Da kommt sie schon."

      Vera Bräutigam war nicht in bester Stimmung. Sie fragte Anton, ob er ihr zuliebe einmal Sonntagsarbeit übernehmen und sie morgen früh nach Karolinenhof fahren würde.

      "Doch wohl Sie und den Chef", mutmaßte Anton.

      Im Gegenteil, bekannte sie, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Nitte wieder an seine Arbeit gegangen war. Der Höhler mache wieder einmal eine Extratour, weil sie sich wegen der Kündigung gezankt hätten. Er behaupte, sie tue brav, was Born verlange. Und dafür gebe es keine andere Erklärung, als dass sie etwas mit ihm habe. Lächerlich, aber er besuche jedenfalls morgen eine Flamme, obwohl die Fahrt nach Karolinenhof schon verabredet gewesen sei.

      "Können Sie segeln?" fragte sie unvermittelt.

      "Nein", gestand Anton, war sich aber sofort klar, dass es unklug wäre, die Gefälligkeit abzulehnen. Welche Gründe ihre plötzliche Bitte auch haben mochte, für ihn war es wichtig, sich Vera Bräutigam nicht zur Feindin zu machen. Deshalb lenkte er ein: "Aber es muss großen Spaß machen. Haben Sie ein Boot?"

      "Eigentlich gehört es Höhler. Doch wenn ich nicht ab und zu hinausfahren würde, wäre es weggeschmissenes Geld."

      "Wenn Sie sich mit einem Laien herumquälen wollen? Von mir aus können wir morgen ganz früh starten."

      "Sagen wir um halb sechs", schlug sie vor, "mit dem Horch sind wir in einer guten halben Stunde draußen."

      Um fünf Uhr früh lag die Stadt still, atmete aus allen Poren Sonntagsschlaf. Hallende Schritte eines einsamen Fußgängers machten die feierliche Ruhe noch deutlicher. In den Anlagen funkelten tausend kleine Sonnen im Tau. Es roch nach frischem Gras und feuchter Erde. Vera Bräutigam kam durch den breiten Mittelgang des Parks. Anton, der bereits getankt hatte, fuhr vom Garagenhof und wartete an der Bordschwelle. Er begrüßte sie und verstaute ihr Köfferchen. Sie hatte sich fein gemacht. Im Rückspiegel prüfte sie den Sitz der Frisur.

      Es fuhr sich gut über die leeren Straßen. Der Asphalt sirrte unter den Reifen. Auf dem Adlergestell fuhren sie eine Weile in gleicher Höhe mit einem S-Bahn-Zug. Er war nur mäßig besetzt. Ein Pärchen schaute eng aneinandergeschmiegt aus einem Fenster, sah hinüber zu denen im Wagen.

      In Karolinenhof ließ Anton den Horch auf dem geräumigen Parkplatz ausrollen. Das große, villenartige Haus lag hinter seinem Efeugrün noch im Schlaf. Der Hausvater war nicht zu sehen. Vera Bräutigam schloss im Garderobenraum ihren Schrank auf. Sie bepackte Anton mit Trainingsanzügen, Decken, Luftmatratzen, klemmte sich selbst einiges unter den Arm und ging vor ihm her zum Bootssteg. Dort legten sie ihren Kram nieder und lösten die Persenning des "Albatros".

      "Donnerwetter", staunte Anton, "das ist ja ein Boot mit Kajüte."

      "Darum heißt's auch Kajütkreuzer", bemerkte sie amüsiert. Sie erklärte ihm, wie das Segel aufzuziehen sei, was dann beide ganz ordentlich zuwege brachten. Bootshaken und Stechpaddeln benutzend, kamen sie ins freie Wasser, und rasch füllte die Morgenbrise fünfunddreißig Quadratmeter weißen Nesselleinens. Vorbei an der Krampenburg steuerten sie östlich ins größere Wasser des Seddinsees. Hier drückte Vera Bräutigam ihrem Begleiter Pinne und Großschoot in die Hand, und während sie die Fock bediente, erteilte sie Unterricht. Bald wusste er, wie man sanft zum Wind hin wendet und ohne zu kentern, scharf vom Wind abhalst. Und ein Tau war ein Ende, das Ende vom Tau der Tampen. Den wickelte man nicht, sondern belegte damit die Klampe. Damit es hielt, schlug man einen Seemannsknoten. Anton erwies sich als ein gelehriger Schüler.

      Nach drei Stunden, der Morgenwind begann merklich abzuflauen, steuerten sie eine Landzunge an und glitten in eine stille Bucht. Schilf streifte die Bordwände. Vera Bräutigam warf den Anker.

      Sie saßen dann auf Klappstühlen im Kiefernwald und tranken Kaffee. Es war still hier. Fünfzig Meter weiter links leuchtete eine schmale weiße Badestelle. Nur dort lagen noch zwei Paddelboote, deren Besitzer ein Zelt aufgeschlagen hatten. Am Tage würden wohl noch einige Boote kommen, sagte Vera Bräutigam, aber kaum Landratten, denn es gebe nur einen Weg von Müggelheim zu dieser Halbinsel, den wenige kannten.

      Dies alles ist gut zu wissen, dachte Anton, man würde sich in Zukunft viel mehr die wald- und wasserreiche Umgebung Berlins zunutze machen müssen, um es der Gestapo schwerer zu machen. Vera Bräutigam suchte die Zigaretten, und er holte eine Schachtel aus dem Boot. Es war erholsam, den blauen Wölkchen nachzusinnen, die in den dunklen Kiefernkronen verschwammen. Das leise Plätschern, der frische Geruch des Wassers, lockten. Anton vergrub seinen Stummel und streckte sich. "Gehen wir schwimmen?"

      Verlegen blinzelte sie ihn an. "Ob Sie es glauben oder nicht: Ich kann nicht schwimmen."

      Vorwurfsvoll schüttelte er den Kopf. Faul gähnend rekelte sie sich zu einem Schläfchen zurecht.

      Anton stand auf, ein bisschen die Gegend zu erkunden. Der hohe Kiefernwald der Seeseite ging weiter hinten in eine Schonung über, die von einem Jagenweg geteilt wurde. Anton hörte Stimmen, und dann sah er eine Gruppe diesen Weg heraufkommen. Es gab also doch Landratten, die diesen stillen Winkel kannten. Von einer Kussel gedeckt, beobachtete er. Es waren fünf Erwachsene und drei Kinder. Die Kinder liefen zwanzig Meter voraus, sangen, hüpften und waren guter Dinge. Die Erwachsenen unterhielten sich angeregt, es schienen interessante Dinge zu sein, die sie besprachen. Antons Sinn für Menschen und Situationen wurde rege. Die da kamen, schienen im vertraut. Er hätte schwören mögen, es seien frühere Arbeitersportler. War seine Vermutung richtig, durfte er sich durch plumpe Aufdringlichkeit nicht verdächtig machen. Anton zog sich zurück und sah dann, wie die Gruppe am Rastplatz der Paddler freudig begrüßt wurde. Bald spielten sie Faustball mit noch andern Paddlern und Ruderern, die inzwischen angelegt hatten. Irgendeinen alten Bekannten entdeckte Anton nicht. Hinter dem Faustballfeld tummelten sich Kinder, Jugendliche und Frauen beim Völkerballspiel. Deren Gesichter waren nicht klar zu erkennen. Ob ich hinübergehe? überlegte Anton. Doch hätten sie