Stephan Lake

Palmer :Black Notice


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sie ihm einen Namen gegeben.

      Der Cop schrie weiter und sah Palmer weiter an, Tränen in den Augen. Vor Schmerz und Wut und weil ihm klar sein musste, was vor ihm lag: Krankenhaus, Operationen, Stahlschrauben. Monatelange Therapie. Die Gelenke würden vermutlich trotzdem versteifen, Muskeln und Bänder vermutlich nie wieder richtig funktionieren.

      Palmer ließ nicht los, hielt weiter das Handgelenk mit beiden Händen und kniete weiter auf dem schlaffen Arm. Zwei gebrochene Arme bedeuteten nicht zwangsläufig, dass der Gegner aufgab. Es gab harte Kerle überall auf der Welt, und noch wusste Palmer nicht, ob der Cop ein harter Kerl war.

      „Ich muss noch einmal fragen“, sagte Palmer, ehrlich erstaunt. „Hast du wirklich deine Waffe nicht eingesteckt? Typen wie du, ihr geht doch nie ohne Schießeisen vor die Tür. Ihr sitzt noch nicht mal unbewaffnet zuhause auf eurem Sofa und guckt ... was immer ihr guckt. Starsky and Hutch. Magnum P.I. The Rockford Files.“

      Palmer mochte die Achtziger.

      Der Cop sah hoch, schwer atmend, die Augen zuckten wild hin und her.

      „Noch eine Frage“, sagte Palmer. „Ihr dürft euch aussuchen, was ihr als Dienstwaffe benutzt, oder? Ich meine, Beretta oder Glock? Sig? Vielleicht auch eine ganz andere, aber jedenfalls, ihr dürft euch aussuchen. Korrekt?“

      Der Cop guckte immer noch. Speichel floss in Fäden aus seinem Mund und sammelte sich neben seinem Kopf auf dem Asphalt. Seine Lippen bewegten sich nicht.

      „Okay, du hast keine Lust zu plaudern“, sagte Palmer, „kann ich verstehen. In deinem Zustand, huh? Dann übernehme ich mal. Das Reden, meine ich.“ Er sagte, „Du hast mein Angebot nicht angenommen. Deswegen liegst du jetzt hier auf dem Boden. Das ist kein Zufall, sondern da besteht ein ganz direkter Zusammenhang. Du verstehst das, ja?“

      Der Cop guckte.

      „Ich brauche jetzt eine Antwort“, sagte Palmer und drehte das Handgelenk. Nur leicht, einen halben Zentimeter. Der Cop stöhnte. „Du verstehst diesen Zusammenhang. Ja?“

      Jetzt schloss der Cop die Augen und nickte.

      „Du verstehst, das ist gut“, sagte Palmer. „Also, dann noch einmal von vorne: Du wirst deine Frau und deine Kinder in Ruhe lassen. Damit meine ich, du wirst ihnen nicht mehr folgen, sie nicht beschimpfen, sie nicht bedrohen. Du wirst sie nicht anrufen und ihnen keine Nachrichten schicken, und solltest du ihnen zufällig einmal auf der Straße begegnen, wechselst du die Seite und wirst sie nicht einmal ansehen.“ Er sagte, „Und das ist mein Angebot: Lässt du sie in Ruhe, dann lasse ich dich in Ruhe.“

      Der Cop atmete schwer. Dann ein Nicken, die Augen geschlossen.

      Palmer glaubte ihm nicht. Aber was konnte er jetzt noch tun?

      „Sieh mich an.“

      Der Cop gehorchte. Wieder zuckten seine Augen wild hin und her.

      „Nutze diese Chance. Denn sollte ich zurückkommen müssen, werde ich dir den Kopf abreißen. Asshole.“ Er ließ das Handgelenk los und stand auf.

      Der Cop lag zusammengekrümmt neben seinem Messer auf dem harten, kalten Asphalt vor seiner Lieblingsbar in der East Bronx in New York City. Fremde Leute würden ihn füttern und ihm den Hintern abwischen. Er würde kein Cop mehr sein. Sein Leben, wie er es kannte, war zu Ende.

      Er begann zu wimmern.

      Palmer fühlte nichts für den Cop. Irgendjemand würde ihn finden und sich um ihn kümmern.

      Im Weggehen hörte Palmer, wie der Cop sich übergab.

      Kein harter Kerl.

      5

      Tief im Laternenschatten hinter der Kneipe stand ein Mann in einem dunklen Anzug. Seinen hellen Mantel hatte er ausgezogen und hinter sich auf den Boden gelegt, weil er befürchtete, von Palmer gesehen zu werden. Er zitterte vor Kälte und schwitzte zugleich von dem, was sich vor ihm abspielte. Seine rechte Hand umklammerte die Waffe in seinem Holster.

      Als Palmer wegging, zog der Mann sein Telefon hervor. Mit der linken Hand. Er traute sich nicht, die Waffe loszulassen.

      Jetzt wählte er eine Nummer.

      „Er geht los. Soll ich ... Soll ich ihm folgen?“

      „Nein, Pelosi, das sollst du nicht. Was ist passiert?“

      Pelosi atmete aus. Erleichtert.

      Dann erzählte er.

      „Der Kerl war also ein Cop?“

      „Ist ein Cop. Soweit ich von hier sehen kann, bewegt er sich. Noch. Ein wenig.“

      „Wenig? Gut.“

      „Was soll ich tun? Er sieht wirklich übel aus. Dieser Palmer ist ein verdammtes Tier.“

      „Tun? Nichts.“

      Pelosi zögerte. „Nichts?“

      „Was habe ich gerade gesagt?“

      „Aber doch Erste Hilfe? Ich habe einen Kurs gemacht. Der Typ stöhnt und röchelt, ich kann es bis hierher hören. Und es kann dauern, bis jemand ihn findet. Die Autos parken alle auf der anderen Seite, und es sind auch nur eine Handvoll. Hier kommt niemand so schnell her.“

      „Habe ich einen Sprachfehler? Oder bist du taub?“

      „Aber er ist ein Cop. Praktisch einer von uns. Wenigstens NYPD kann ich doch Bescheid geben. Ein kurzer Anruf.“

      „Verletzt nutzt er uns mehr. Tot noch mehr. Lass ihn liegen und verschwinde.“

      Pelosi zögerte wieder. „Okay“, sagte er dann, „Copy that.“

      Er sah noch einmal in die Richtung, in die Palmer verschwunden war.

      Niemand mehr zu sehen.

      Erst dann ließ er den Griff seiner Waffe los.

      Keine Hilfe, kein Anruf, verletzt nutzt er uns mehr, tot noch mehr. Was sollte das? Das war doch auch strafbar, unterlassene Hilfeleistung. Das konnte ihm eine Menge Ärger einbringen.

      Er bückte sich nach seinem Mantel.

      Ein verdammtes Tier, dachte Pelosi noch, als es ihm die Beine wegschlug und sein Körper in der Luft eine halbe Drehung machte und er, ohne sich abfedern zu können, mit dem Rücken auf dem Asphalt landete.

      Der Aufprall nahm ihm die Luft.

      Er wollte die Augen öffnen, aber da spürte er bereits einen harten Druck quer in seinem Gesicht, auf Kiefer und Wangenknochen und Stirn. Zugleich wurde sein Hinterkopf in den rauen Asphalt gepresst, was ihm unverzüglich einen Schmerz im Kopf verursachte, als würde seine Schädeldecke auseinanderbersten.

      „Copy that, huh?“

      Er bekam immer noch keine Luft.

      „Also, Copy that, wer bist du?“

      Pelosi wusste, was die Ursache des Drucks war.

      Schienbein und Knie.

      Dasselbe Knie, das eben noch den Arm dieses Cops gebrochen hatte.

      „Und mit wem hast du gesprochen?“

      Sehen konnte er nichts, da ihm das Schienbein die Augen zudrückte. Aber er wollte auch gar nichts sehen. Und er versuchte auch nicht, sich zu bewegen. Sein Kopf würde das nicht aushalten.

      Und wenn er nicht bald wieder Luft bekäme ... Luft ... Luft ...

      „An dieser Stelle brauche ich eine Antwort“, hörte er Palmers Stimme.

      Aber wie denn? Das Schienbein drückte so hart gegen seinen Kiefer und seine Zähne, wie sollte er da sprechen? Antworten? ... Er röchelte und spürte plötzlich Sauerstoff eindringen, spürte seinen Brustkorb pumpen und Sauerstoff eindringen ... endlich, endlich.

      Aber sein Schädel, sein Gesicht,