Stephan Lake

Palmer :Black Notice


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sie heute auch nicht. Denn ich gebe dir eine Chance, eine ehrliche Chance, okay? Du lässt deine Frau und deine Kinder in Ruhe. Ab sofort, ab jetzt, ab heute und hier und jetzt. Okay? Du folgst ihnen nicht mehr, du bedrohst sie nicht mehr, du lässt sie in Ruhe. Als ob sie nicht mehr existierten. Sie existieren für dich nicht mehr. Okay? Wenn du das tust, dann lasse ich dich in Ruhe.“ Und er hatte wieder gelächelt, freundlich, nett, nicht provozierend. „Das ist mein Angebot. Wir einigen uns darauf. Was sagst du?“

      Der Cop hatte wieder gelacht und Palmer an der Schulter gefasst und geschüttelt.

       Don t touch.

      Palmer hatte das Handgelenk gepackt und fest an seine Schulter gedrückt und zugleich mit einem Ruck den Oberkörper eingedreht. Der Arm des Cops wurde gestreckt, gegen die Beugerichtung, seine Marke flog auf den Asphalt.

      In derselben Bewegung hatte Palmer mit seiner offenen Hand den Ellbogen gebrochen.

      Ein lautes Knacken. Ein glatter Bruch. Nichts wirklich Schlimmes.

      Der Cop hatte vor Schmerz geschrien und den Arm festgehalten, eingeatmet und ausgeatmet, dreimal, viermal. Kräfte gesammelt.

      Dann gelächelt. Und ein Messer aus der Jacke gezogen.

      „I’cut your head off, asshole.“

      Dreizehn Stationen später hatte Palmer die Bronx und den Harlem River hinter sich gelassen. Er verließ die U-Bahn am nördlichen Teil des Central Parks in Manhattan. Auch hier keine Spaziergänger, keine Jogger, Obdachlosen, Jugendlichen, keine Cops. Bald würde es ganz dunkel sein, die dunkelste Zeit der Nacht, kurz vor dem Morgen. In der Stadt machte es keinen Unterschied.

      Zwei Tage zuvor hatte er einen Anruf von Doc bekommen.

      „Meine Schwester hat so oft gebettelt und gefleht, wenigstens die Kinder sollte er verschonen. Schließlich hat sie Anzeige erstattet. Aber die Richter, Palmer“, hatte sie gesagt, „die Richter haben diesen Kerl frei gesprochen. Gestern.“

      „Ich bin nicht in New York“, hatte Palmer geantwortet.

      „Die Richter haben die Beweise ignoriert“, hatte Doc gesagt. „Sie meinten, die Verletzungen zählten nicht, weil es keine Zeugen gäbe. Chef und Kollegen haben für ihn gesprochen, achtzehn Dienstjahre als Cop in New York, angeblich nie eine Beschwerde. Aussage gegen Aussage. Sie haben ihn frei gesprochen, Palmer, gestern. Er wird sich betrinken und sie prügeln, bis sie tot sind. Sie brauchen Hilfe.“

      „Ich bin nicht in New York, Doc.“

      „Aber Sie können herkommen.“

      Er hatte vor seinem Trailer gesessen, Telefon in der einen Hand, Becher mit dampfendem Kaffee in der anderen, die letzten Sonnenstrahlen des Tages über dem Land, die Luft kalt und klar. Er hatte zugesehen, wie das Wildkaninchen aus dem Gebüsch gelaufen war, hakenschlagend, in das ausgetrocknete Flussbett hinein. Kurz darauf der Coyote, cool, joggend, seiner Sache sicher.

      „Nicht wahr, Palmer? Sie können herkommen?“

      Er hätte seinen Kaffee trinken und am Abend ins Roadhouse gehen sollen.

      Jetzt hatte er Homeland Security am Hals.

      7

      Santa Fe, New Mexico

      „Hey, Josh, man, a’don’t believe it, how’ya doin’?“

      Palmer saß auf einer Parkbank auf dem Central Plaza in Downtown Santa Fe und schaute nach oben. Er blinzelte. Die gleißende, kalte Nachmittagssonne schien ihm direkt ins Gesicht, was er gerade noch genossen hatte. Aber jetzt hinderte sie ihn daran, den Kerl zu betrachten, der viel zu nah vor ihm stand und dessen dunkle Stimme ihm gänzlich unbekannt war und der doch so selbstbewusst behauptete ihn zu kennen.

      Wenige hier kannten sein Gesicht.

      Niemand kannte seinen Namen.

      Dieser Kerl kannte ihn.

       Hey, Josh, Mann, ich glaubs ja nicht, wie gehts?

      Palmer stand auf und trat zwei Schritte zur Seite. Er vergrößerte damit den Abstand zu dem Fremden und hatte jetzt die Sonne im Rücken. Sein Vorteil.

      Der Kerl war Mexikaner. Dicker Bauch, starke Schultern, dickes Gesicht mit einem gar nicht mal unsympathischen Lächeln. Flache Nase. Boxernase, kein Zweifel. Stetson, Lederjacke, Motorradstiefel, vermutlich mit Stahlkappe. Knappe einsfünfundachtzig, nicht weniger als einhundertzehn Kilos. Irgendwo zwischen Mitte Dreißig und Anfang Vierzig, irgendwo zwischen immer noch stark und fit von vielen Runden im Ring und nicht mehr so fit von zu viel Bier und Tacos und die letzte Runde zu lange her. Die groben, fleischigen Hände hatte er in die Hüfte gestemmt. Palmer konnte sie gut sehen.

      Der Mexikaner blinzelte in die Sonne und machte einen Schritt nach vorne. Gefährlich nah, sollte er angreifen wollen, aber bloß unangenehm, wenn ein Plausch zwischen alten Bekannten folgte. Hey, Josh, Mann, ich glaubs ja nicht, wie gehts?

      Aber der Mexikaner war kein alter Bekannter. Palmer hatte ihn noch nie gesehen.

      Palmer ging einen Schritt zurück, der rechte Fuß vorne, die Ellbogen locker und nah am Körper, die Hände geöffnet, das Körpergewicht gleichmäßig auf beide Beine verteilt.

      Er sagte, „Tut mir leid, kennen wir uns?“

      Zwischen dem Cop in New York und Santa Fe lagen zwei Tage und eine Strecke von mehr als dreitausend Kilometern. Vom Port Authority in Manhattan aus hatte er den Bus nach Chicago genommen, von Chicago die Eisenbahn nach Albuquerque, von Albuquerque den Bus zurück nach Santa Fe. Vierzig Stunden Fahrt, bar bezahlt, alles anonym. Niemand wusste, dass er zurück war in Santa Fe.

      Der Mexikaner wusste es.

      Der Mexikaner machte wieder einen Schritt nach vorne, sein Lächeln wurde breiter, die Hände jetzt von seinem Körper gestreckt, als wollte er Palmer vielleicht umarmen. Drehte sich dann in einer fließenden Bewegung um die eigene Achse und sagte, „Josh, du erkennst mich nicht? C'mon, man, you're shittin' me. Hab' ich mich wirklich so verändert?“

      Die fließende Bewegung eines Boxers.

      Palmer lächelte ebenfalls, nicht so sympathisch, da war er sicher, und machte erneut einen Schritt zurück und tat, als würde er sich den Mexikaner genauer ansehen.

      „Ich weiß nicht, aber, hm, vielleicht ...?“

      In Wirklichkeit musterte er den Platz und die Menschen hinter sich und rechts und links. Sah Familien mit Kindern, Paare Hand in Hand, ältere Frauen mit Hunden, Jugendliche mit hängenden Hosen und Skateboards, Angestellte in Anzügen und dicken Mänteln. Weiter hinten zwei Polizisten auf Motorrädern, ohne Helme, die Gesichter in die Sonne gestreckt, so wie er selbst vorhin, die Hände ruhten auf den breiten Tanks ihrer Maschinen.

      Niemand löste bei ihm Alarm aus. Der Mexikaner war alleine.

      „Nein, ich komme nicht darauf, tut mir leid. Aber du kennst meinen Namen, dann verrate mir doch auch deinen. Dann erinnere ich mich bestimmt.“

      „Miguel Hernandez“, sagte der Mexikaner, „unten aus Las Vegas.“

      Dabei schmiss er seinen linken Arm nach Osten, in die Richtung der Sangro de Christo Mountains, hundert Meilen von Santa Fe entfernt, an deren östlichem Fuß die Stadt lag, die zwar so hieß wie die Spielermetropole in Nevada, aber viel kleiner und noch trostloser war. Palmer war einmal dort gewesen und gerade so lange geblieben, wie es gedauert hatte, den Tank seines Trucks zu füllen.

      Palmer achtete nicht auf den linken Arm des Mexikaners, der im blauen Himmel herumfuchtelte, sondern auf den rechten, der in der Hosentasche verschwand und mit einem hellen Gegenstand wieder herauskam.

      Der älteste Trick der Welt. Dein Gegner guckt dem ausgestreckten Arm nach, der in eine Richtung zeigt – die Geste ist Teil der Unterhaltung und scheinbar völlig harmlos. Und du ziehst mit der anderen Hand ein Messer. Oder einen Schlagring oder