Stephan Lake

Palmer :Black Notice


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den Hals des Mexikaners, bevor der seinen Fehler erkannte. Und einen Lidschlag später traf sein linker Handballen das Kinn, das hart gegen den Oberkiefer krachte.

      Innerhalb einer halben Sekunde wurde der Schädel des Mexikaners erst nach links, dann weit nach hinten in den Nacken geschleudert; sein Gehirn schwappte unausweichlich in die entgegengesetzten Richtungen. Die Folge war ein Schleudertrauma wie bei einem Aufprall mit dreißig Meilen pro Stunde gegen eine Wand. Zehn mehr als in Benson Trail erlaubt.

      Der Mexikaner verlor die Kontrolle über seinen Körper, sackte zuerst auf die Knie, dann auf den Boden, wo er regungslos liegen blieb. Neben seiner Bierflasche, die ihm aus der Hand geglitten war.

      Noch bevor der Mexikaner auf den Boden aufschlug hatte Palmer den rechten Coyote an beiden Stiefeln gepackt und nach oben gewuchtet. Das Geländer im Rücken wirkte wie ein Hebel und einhundertzwanzig Kilos Muskeln und Fett und Arroganz schnellten darüber hinweg und in einem vollen Überschlag zwei Meter nach unten in den Staub. Offensichtlich ohne sich abzurollen landete der Rocker flach auf dem Rücken, denn Palmer hörte ein dumpfes, sattes Geräusch. Einen Moment später knallte seine Bierflasche gegen einen der Trucks. Dann hörte Palmer nichts mehr.

      Er hatte sich bereits umgedreht, den Blick auf den dritten Coyote gerichtet. Der stand breitbeinig vor ihm, die Flasche mit der rechten Hand fest umklammert.

      Palmer spürte das Geländer in seinem Rücken. „Mit dir habe ich nichts zu tun“, sagte er, „nur mit Hernandez. Also, wenn du willst, dann geh nach unten zu deinem Kumpel.“

      Im Augenwinkel sah Palmer, dass Hernandez immer noch am Boden lag, regungslos. Aus seinem Mund quoll dickes Blut.

      „Mein Bruder“, sagte der Rocker, „du hast gerade meinen Bruder von der Veranda geworfen“, nahm die Zigarette aus dem Mund und warf sie weg. „Wir sind Coyotes. Einer steht für den anderen ein. Immer.“

      Palmer wusste, was das bedeutete. Zu einer Gang wie den Coyotes gehörst du ein Leben lang. Kündigung ausgeschlossen. Nur der Tod scheidet euch.

      „Dann wird es dir wie ihm ergehen“, sagte Palmer mit Kopfnicken auf Hernandez. Sein Blick blieb auf dem Rocker.

      Er sah den Rocker seine mächtigen Schultern heben.

      „Das glaube ich nicht“, sagte der Rocker und machte einen großen Schritt und holte zugleich weit mit dem rechten Arm aus. Die Flasche in seiner Faust mit dem Boden nach unten zielte auf Palmers Kopf.

      Der Angriff war unvorbereitet und langsam und nur von dem dumpfen Selbstbewusstsein eines massigen Kerls geprägt, der es gewohnt war, seine Kämpfe durch rohe Gewalt und sein schieres Gewicht zu gewinnen.

      Palmer tauchte unter dem Arm hinweg, kein Problem. Die Flasche schlug ins Leere, prallte dann auf das Geländer und zerplatzte. Blut spritzte in einem Bogen in die Luft und auf den Boden.

      Durch die Wucht seines Angriffs verlor der Rocker das Gleichgewicht und fasste mit der linken Hand das Geländer, um nicht darüber zu stürzen wie sein Bruder.

      Palmer hinter ihm hatte den perfekten Winkel.

      Ein Tritt, der linke Unterarm des Rockers brach auseinander. Die Hand ließ das Geländer los. Der Rocker fiel schwer neben Hernandez auf den Boden.

      Er wollte sogleich wieder aufstehen, konnte aber keine seiner Hände benutzen – der linke Arm gebrochen, die rechte Hand zerschnitten – und fiel zurück auf den Boden. Blickte hoch, schwer atmend, wortlos, und beobachtete Palmer, der still da stand.

      „Du hast einen guten Bass“, sagte Palmer, „du solltest es tatsächlich mal mit Singen versuchen.“

      „Ich werds mir überlegen“, sagte der Rocker so ruhig, als wäre nichts geschehen.

      „Wenn du willst, dann darfst du unten nach deinem Bruder sehen“, sagte Palmer wieder.

      Der Rocker stemmte sich auf seinen unversehrten Ellbogen, schob sich auf die Knie und stand auf. „Ich hab für sie eingestanden, jetzt muss ich mich um sie kümmern. Um beide.“

      „Nicht um Hernandez“, sagte Palmer.

      Der Rocker zögerte. „Ich komme zurück und hole ihn.“ Er drehte sich um und ging langsam die Treppe hinab und zu seinem Bruder, der dort immer noch lag. Palmer hörte ihn jetzt stöhnen.

      Palmer ging zu Hernandez, packte den Kragen seiner Lederjacke, zog ihn die Treppe hinab auf den Parkplatz und ins Dunkel zwischen Trucks und Autos, weg von den beiden anderen. Lehnte ihn an die Beifahrertür eines Dodge Ram. Der Dodge, groß und breit, gebaut, um eine Tonne Ladung zu transportieren, verdeckte sie vollständig.

      Palmer tastete Hernandez ab und fand ein Springmesser in der Jackentasche. Er begutachtete die Klinge und steckte das Messer ein.

      Hernandez hatte die Augen geöffnet und starrte Palmer an und lehnte sich zur Seite und spuckte Blut aus. Er lächelte nicht mehr.

      Palmer hockte sich vor ihn und sagte, „Wir haben zu Ende gebracht, was wir heute Mittag angefangen haben.“ Und wartete.

      Danach musst du mir meine Frage beantworten, Hernandez.

      Hernandez schloss die Augen. Er antwortete nicht.

      „Ein Hinweis vielleicht noch, Hernandez“, sagte Palmer. „Ich bin kein sehr geduldiger Mensch.“

      Hernandez antwortete nicht.

      Sturer Kerl.

      Palmer packte die rechte Hand des Rockers und drückte sie flach auf den sandigen Boden, kniete darauf, nahm den Mittelfinger und bog ihn nach hinten, bis er brach.

      Hernandez wollte aufspringen, seine Hand unter Palmers Knie herausziehen, aber es gelang ihm nicht. Der Rocker riss dann den Mund auf und stieß einen langen, dunklen Schrei aus, tief aus seiner Brust, der Palmer an das Fauchen des jungen Braunbärs erinnerte, dem er im vergangenen Jahr bei einer Bergtour in den Rocky Mountains begegnet war. Kurz nach dem Fauchen kam Mamabär durch die Büsche gelaufen, und Palmer hatte sich zurückgezogen.

      Hier würde das nicht passieren. Keine Mama in Sicht. Auch keine Büsche.

      Palmer hielt den Mittelfinger weiter fest und flüsterte, „Hey, Easy Rider, don't blame me, okay?“

      Hernandez starrte auf seine Hand und den weit nach hinten gebogenen Finger und die blutig aufgerissene Haut. Er atmete röchelnd und in schweren Stößen und versuchte wieder, seine Hand herauszuziehen, gab es schließlich auf und starrte weiter auf seine Hand, ungläubig, was er da sah.

      Palmer hatte einmal einen Chinesen, dem es wie Hernandez ergangen war, gefragt, ob der Schmerz sehr groß wäre. Der Chinese hatte nicht mehr deutlich sprechen können, wegen vorausgegangener Dinge, aber Palmer hatte ihn doch verstanden. Der Schmerz wäre schon sehr groß, hatte der Chinese gesagt, aber auszuhalten; der Anblick aber, der wäre schlimm, der Finger bis auf den Handrücken gedrückt, so völlig unnatürlich, und die Haut weit aufgerissen, das wäre schlimm. Auf Palmers Entgegnung, Du hättest dir das ersparen können, hatte der Chinese dann nur noch genickt.

      Hernandez lag da mit geöffnetem Mund, Blut lief heraus, sein Blick starr auf Hand und Finger und aufgerissene Haut. Er sagte nichts.

      Palmer atmete hörbar ein und aus. Und wartete.

      Nahm dann Hernandez’ Ringfinger und bog ihn nach hinten bis er brach.

      Der Rocker schrie erneut und stöhnte und versuchte wieder, seine Hand herauszuziehen, heftiger dieses Mal, aber trotzdem vergeblich. Das Blut tropfte stärker aus seinem Mund, die Augen waren aufgerissen.

      Palmer wartete.

      Hernandez atmete schnell und schwer. Er sagte nichts.

      Palmer nahm den Zeigefinger und bog ihn nach hinten und sagte, „Don't blame me, Easy-“

      „Shit, Mann, warte, hör auf, warte, okay? Warte. Warte.“ Hernandez sprach undeutlich, ähnlich wie der Chinese. Bei Palmers Schlag gegen das Kinn hatte er sich wohl auf die Zunge gebissen. „Was bist du denn für einer? Finger brechen, wo gibts