Stephan Lake

Palmer :Black Notice


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      Der älteste Trick der Welt.

      Aber nicht mit Palmer.

      Mit beiden Händen fasste er das rechte Handgelenk mit dem hellen Gegenstand und trat zugleich mit der harten Ledersohle seiner Boots dem Mexikaner gegen die Innenseite seines Knies. Palmer stand zu dicht, um viel Kraft zu entwickeln, und der Mexikaner stöhnte nur kurz auf und schlug dann einen Uppercut in seine ungeschützte rechte Seite, dem Palmer noch im letzten Moment durch eine Drehung seines Oberkörpers den Großteil der Wucht nehmen konnte. Aber trotzdem prallte die Faust gegen seine Rippen, was ihm für einen Moment die Luft nahm.

      Der Mexikaner, der Boxer, holte sogleich wieder aus und schlug einen kurzen, steifen Haken. Eine sparsame Bewegung, unauffällig, so kam es Palmer vor.

      Palmer duckte sich und zog zugleich die Schulter hoch. Und die Faust des Boxers rutschte über seinen Kopf hinweg.

      Noch immer hielt er das Handgelenk mit beiden Händen umklammert. Er konnte nicht endlos die Attacken aus nächster Nähe unbeschadet abwehren, und die nächste Attacke würde die Menschen um sie herum endgültig auf sie aufmerksam machen. Die ersten Passanten beobachteten bereits im Vorbeigehen die seltsame Szene, die sie ihnen boten.

      Da er unbemerkt bleiben wollte, ging Palmer das Risiko ein. Ließ das Handgelenk los, machte zwei schnelle Schritte nach hinten und blieb stehen.

      Er hatte recht beobachtet. Der Mexikaner wollte ebenfalls nicht auffallen und versuchte keinen Tritt mit seinen Motorradstiefeln mit Stahlkappen, keine rechte Gerade, keinen weiteren steifen Haken, sondern blieb auch stehen und sah ihn mit offenem Mund an, schwer atmend.

      Palmer warf einen Blick auf die beiden Polizisten. Sie hielten die Gesichter immer noch in die Sonne gestreckt, ihre Hände ruhten immer noch auf den Tanks ihrer Maschinen. Sie hatten von alledem nichts mitbekommen.

      Cops.

      Der Mexikaner hatte bei der Aktion seinen Hut verloren. Sein kahlgeschorener, weißer Schädel glänzte im Sonnenlicht. In der rechten Hand konnte Palmer jetzt den Gegenstand erkennen.

      Kein Messer. Kein Schlagring. Kein Eisenstick. Auch kein Nagel mit einem Stück Tuch um das Ende gewickelt.

      Sondern ein Briefumschlag.

      Der Mexikaner hob seinen Hut auf. „Fuck, Mann, was zur Hölle ist denn mit dir los?“

      „Was willst du von mir?“, sagte Palmer.

      „Ich hab eine verdammte Nachricht für dich“, sagte der Mexikaner und hielt ihm den Umschlag hin. „Was zur Hölle hast du denn gedacht?“

      „Und warum machst du ein solches Theater darum?“

      „Ich wollte ...“ Der Mexikaner sah ihn an. Und grinste.

      „Ich wollte, huh? Du wolltest nur ein bisschen Spaß haben, nicht?“

      „Fuck, alles ganz harmlos, Mann.“

      Palmer sagte, „Von wem ist das? Und woher kennst du meinen Namen? Und woher wusstest du, dass ich heute hier sein würde?“

      „So viele Fragen, huh?“, sagte der Mexikaner. Drehte sich dann um und schlenderte davon. Das linke Bein zog er nach.

      Palmer sah ihm hinterher, quer über den Plaza, an den Polizisten auf ihren Motorrädern vorbei, bis er ihn hinter einer Straßenecke verschwinden sah. Er wartete noch eine Minute, aber der Mexikaner blieb verschwunden.

      Palmer ging in die entgegengesetzte Richtung, lehnte sich dort an eine Hauswand, den Plaza im Blick, und öffnete den Umschlag. Darin ein Werbezettel, der eine Jazzband ankündigte, die am Abend ab acht Uhr im Roadhouse in Benson Trail spielte.

      Palmer hatte im Roadhouse bereits das eine oder andere Guinness getrunken und schon viel gute Rockmusik gehört, aber noch nie Jazz.

      Und er kannte Benson Trail, zwanzig Meilen südlich von Santa Fe.

      Er lebte dort.

      Jemand hatte ihn gefunden und wollte sich wohl heute Abend um acht dort mit ihm treffen.

      Border Patrol?

      Warum dann aber so kompliziert? Sie könnten ihn doch einfach verhaften. Und würde die Border Patrol wirklich einen abgehalfterten Rocker wie Hernandez mit einer Nachricht schicken?

      Er öffnete sein Hemd und besah sich den Verband. Kein Blut. Der halbe Treffer von Hernandez hatte keinen Schaden angerichtet.

      Er machte das Hemd wieder zu. Aber wer sonst? Und wenn nicht Border Patrol, woher wusste der Absender dann, dass Palmer jetzt, heute Nachmittag, auf dem Plaza in Santa Fe war?

      Niemand wusste das.

      Er hatte es bis vor einer Stunde selbst nicht gewusst.

      8

      Es war bereits dunkel, als Palmer den kleinen Canyon in den Ortiz Mountains erreichte, in dem Benson Trail lag. Halb neun.

      Die Tachonadel seines alten Ford Pickup Trucks zitterte bei fünfzehn Meilen pro Stunde, fünf weniger, als das Straßenschild am Ortseingang von ihm forderte. Aber hier gab es freilaufende Hunde, die die Straße überquerten ohne Respekt vor den Autos, und er wollte keinem Hund etwas zuleide tun.

      Sein Truck rollte an den Holzhäusern und Geschäften vorbei, die rechts und links die Hauptstraße säumten. Manche Häuser waren buntbemalt, andere verwittert und jedes einzelne so alt, dass es die beste Zeit lange hinter sich hatte. Vorbei an der ersten Straßenlaterne, links die Soda Fountain, rechts Java Junction, die zweite Straßenlaterne, Breakfast, Lunch, Dinner, Armbänder und Halsketten aus Türkis, Skulpturen aus Stahl und Holz, handgewebte Teppiche und Umhänge der Navajo, Eiscreme, Kaffee. Alles, was Touristen wollten.

      Aber jetzt waren die Touristen weg, die Geschäfte waren dunkel. Benson Trail hatte geschlossen.

      Die schönste Zeit des Tages.

      Vorbei an der dritten Straßenlaterne, dann die langgezogene Rechtskurve und in der Rechtskurve, auf der linken Straßenseite, das Roadhouse. Gelbes Licht drang aus den Fenstern des großen Saals nach draußen bis auf die Straße. Die Bar war Treffpunkt und einzige Attraktion am Abend und hatte immer geöffnet.

      Der Mexikaner wusste das.

      Ohne anzuhalten musterte Palmer die überdachte Veranda und den Parkplatz, nur spärlich beleuchtet von der vierten, der letzten Straßenlaterne in Benson Trail. Auf der Veranda sah er Bewegung, Frauen und Männer. Auf dem Parkplatz standen Pickup Trucks und Muscle Cars und Motorräder. Er kurbelte das Fenster herunter, atmete die Luft aus Staub und Asphalt und Benzin und hörte das undurchdringliche Gemisch von lauten Stimmen und Livemusik, wie er es hier so oft gehört hatte und wie es in diesem Moment in etlichen tausend Bars überall in den USA zu hören war.

      Sein Truck rollte durch die langgezogene Linkskurve, nahezu fünfundvierzig Grad, das Roadhouse verschwand aus seinem Rückspiegel. Musik und Stimmen wurden leiser und leiser und waren bald nur noch ein dumpfes Rauschen.

      Palmer lenkte den Truck auf den Seitenstreifen, Staub wirbelte im Lichtkegel. Er schaltete die Scheinwerfer aus, stellte den Motor ab. Drehte das Radio an, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Er hatte es nicht eilig.

      Sein Fuß wippte leise im Rhythmus der achtziger Jahre Musik aus dem achtziger Jahre Radio seines achtziger Jahre Trucks. Der frühere Besitzer hatte Classic Rock Rewinds eingestellt, und Palmer hatte es so gelassen.

      Nach einer Weile sangen Thin Lizzy über die Jungs, die wieder in der Stadt sind, bereit zu töten, die trinken und kämpfen wollen bis das Blut spritzt, und wenn die Jungs kämpfen wollen, dann lässt du sie besser – The boys are back in town, Friday night they´ll be dressed to kill, down at dino´s bar´n´ grill, the drinks will flow and the blood will spill, and if the boys wanna fight, you better let´em.

      Er öffnete die Augen und schaltete das Radio aus.

      Zeit zu gehen.