Hubert Wiest

Rußatem


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leuchtete in roten Buchstaben: Ringverwaltung. 3. Industrie-Ring. Neben dem Eingang war ein Bildschirm in die Wand eingelassen. Ein Werbeclip zeigte einen jungen Mann in grauem Overall. Er strahlte übers dreckverschmierte Gesicht. In der linken Hand hielt er eine Atemschutzmaske, in der rechten eine Zahnbürste. So wichtig wie Zähneputzen: die tägliche Filterreinigung für deine Gesundheit.

      Ich musste husten. Der Eingang war durch eine Schleuse gesichert. Zuerst wurde der Dreck aus unserer Kleidung gesaugt. Dann wurden wir mit einer Flüssigkeit besprüht, die nach Krankenhaus roch. Schließlich durften wir durch die zweite Schleusentür gehen und standen in der Eingangshalle der Ringverwaltung. Auf den Bänken im Wartesaal saßen ein paar in dreckige Lumpen gehüllte Gestalten. Ihre Blicke waren starr und leer. Die Beamten der Ringverwaltung saßen hinter Panzerglas. Bestimmt gab man ihnen ordentlich gefilterte Luft zum Atmen. Wir zogen Wartenummern für Neueingewiesene. Wie sich das anhörte. Aber es stimmte schon, sie hatten uns in den Dritten eingewiesen, hierher deportiert.

      Nach etwa zwei Stunden waren wir endlich dran. Nervös trat ich an den Schalter. Eine kleine Frau saß dahinter. Ihr Gesicht war grau. Falten hatten sich tief in die Haut gegraben. Am schlimmsten aber war ihr müder Blick. Bestimmt hatte sie seit Jahren nicht mehr gelacht.

      Als ich mein Spiegelbild in der Panzerglasscheibe betrachtete wurde mir klar, dass ich in ein paar Jahren genauso aussehen würde.

      „Ja?“, sagte die Frau ausdruckslos.

      „Ich bin neu hier, gerade angekommen.“

      „Name?“

      „Kalana Zookie.“

      Sie tippte etwas auf den Bildschirm vor ihr. Schließlich legte sie ihre Handflächen ineinander und hob den Kopf.

      „Ich kann dir nur eine Halbtagsstelle anbieten, bei Plastic Fantastic in der Dreiundvierzigsten. Na ja, für den Anfang wirst du damit schon zurechtkommen.“

      Halbtagsstelle, das klang gar nicht so übel. Ich hatte sowieso keine Lust, den ganzen Tag zu schuften. „Und wo bekomme ich eine Wohnung?“

      Die Frau sah mich mitleidig an. „Für deine Unterkunft ist der Arbeitgeber zuständig. Bei Plastic Fantastic werden sie dir einen Platz im Schlafsaal zuweisen.“

      Ich schluckte und musste völlig fassungslos ausgesehen haben.

      „Die Zeiten waren für uns alle schon einmal besser“, versuchte sie mich zu trösten. „Das kannst du mir glauben.“

      Ich drehte mich um und ging zu den anderen.

      „Und?“, fragte Ropex.

      „Halbtagsjob bei Plastic Fantastic“, murmelte ich und war wie vor den Kopf gestoßen. Das war doch nicht mein Leben, was hier draußen auf mich wartete.

      Ropex wurde aufgerufen. Er nahm Amali einfach mit. Ich wartete auf die beiden. An der Wand hing eine Karte des dritten Rings. Die Straßen waren mit farbigen Pfeilen markiert. Ich starrte die blinkenden Pfeile an, ohne den Weg zu erkennen. Ich wartete darauf, jeden Moment aus diesem widerlichen Albtraum aufzuwachen.

      Erschrocken drehte ich mich um, als mir jemand auf die Schulter klopfte. Ropex sah mich an. „Wir haben auch einen Job bei Plastic Fantastic.“ Dann wandte er sich der Karte zu und murmelte: „Wir müssen den gelben Pfeilen folgen und dann die lila Route nehmen bis zur Dreiundvierzigsten. Sie war mit blauen Doppelpfeilen markiert.“

      Ich nickte und folgte Ropex und Amali wortlos.

      Keine Ahnung, wie lange wir durch den dritten Industrie-Ring irrten. Auf der Karte hatte es nicht so weit ausgesehen. Keiner sprach. Mit den Atemschutzmasken konnte man sowieso nicht richtig reden. Überall der Dreck und die schier undurchdringliche Luft. Alles sah gleich aus. Ohne die leuchtenden Markierungen im Boden hätten wir Plastic Fantastic niemals gefunden.

      Aber schließlich waren wir dort. Der Eingang war mit einer Schleuse gesichert. Die gleiche Prozedur wie vorhin, und wir standen im Empfangsbereich: ein Tresen, daneben eine dunkelbraune Ledersitzgruppe auf einem weinroten Teppich. Über die Wand flimmerten Bilder von Jaikong. Sehnsüchtig blickte ich auf den hellgrauen Himmel.

      Die Frau an der Rezeption lächelte uns säuerlich an: „Ihr seid von der Ringverwaltung geschickt worden?“

      Wir nickten.

      „Dies ist der Kundeneingang. Mitarbeiter nehmen den Lieferanteneingang im Hof.“

      Auf dem Bildschirm funkelte jetzt das Foto eines schwarzblau verspiegelten Hochhauses. Jeder kannte den Wolkenkratzer mit dem weißen Adler vorne drauf. Es war die Zentrale der Aeronauten. Obwohl es idiotisch war, suchte ich das Bild nach Quinn ab.

      Die Frau murmelte ein paar Worte in ihren Kommunikator. Dabei hielt sie die Hand vor den Mund. Schließlich sagte sie laut zu uns: „Direktor Bo will euch sprechen. Den Gang entlang, dann das dritte Zimmer rechts.“

      In dem Raum, den uns die Frau zugewiesen hatte, gab es weder Teppich noch Fenster. Auf blankem Betonboden stand ein Tisch mit verrosteten Metallfüßen und vier Stühlen. An der Wand war ein Waschbecken montiert, sonst nichts. Neonlicht flutete den Raum.

      Ein Mann mit schwarz glänzenden Haaren trat ein. Die Haare waren mit irgendeiner Paste eng an den Kopf frisiert. Der Mann sah aus, als wäre er früher einmal ein guter Sportler gewesen, Zehnkämfer oder Schwimmer. Jetzt war er in die Jahre gekommen und hatte einige Kilo zu viel auf den Rippen. Aus seinem Hemdkragen quollen schwarze Haare, genau wie aus den Manschetten des strahlend weißen Hemds. Sein durchdringender Blick scannte uns ab, als könnte er unsere Gedanken lesen. Ich versuchte, ihm auszuweichen. Sein Blick folgte mir.

      „Ihr seid die Neuen? Die Ringverwaltung hat euch geschickt?“, fragte der Mann und blickte jetzt auf seinen Computer. „Mehr als Halbtagsjobs kann ich euch nicht bieten“, brummte er. „Da könnte ja jeder kommen. Alle wollen immer mehr, aber ordentliche Atemluft ist teuer. Der Strom für die Filteranlage kostet mich ein Vermögen, ganz zu schweigen von der Reinigung der Filter. Solange ihr nicht eingearbeitet seid, zahle ich immer drauf. Das ist kein Geschäft für mich. Ich nehme euch nur, um die Quote der Ringverwaltung zu erfüllen. Und wenn ihr euch nicht reinkniet, fliegt ihr. Zehn andere stehen längst Schlange. Verstanden?“

      Ich hatte nicht das Gefühl, dass er auf eine Antwort von uns wartete. „Wie viel Geld bekommen wir, Herr Bo?“, fragte Ropex.

      Der Mann sah uns an, als verstünde er nicht recht. Barsch sagte er: „Direktor Bo, ich heiße Direktor Bo. Darauf lege ich Wert. Dafür habe ich jahrelang hart gearbeitet. Mir wurde auch nichts geschenkt. Und was die Bezahlung angeht: das wäre ja noch schöner. Ihr bekommt zwei Malzeiten am Tag und dürft euch im Schlafsaal aufhalten. Dort gibt es natürlich keine Atemluft der Qualität B-minus, aber einfach gefilterte Luft ist in jedem Fall besser als draußen zu leben. Wo kämen wir da hin, wenn ungelernte Hilfskräfte 24 Stunden am Tag B-minus Atemluft fordern würden. Dann könnte ich meinen Laden sofort zusperren. Die Konkurrenz ist groß.“

      „Entschuldigung, wir sind neu hier“, sagte ich unsicher.

      Direktor Bo schnaufte ungeduldig. „Also gut, Mädchen, dann noch einmal ganz langsam zum Mitschreiben: Hier draußen in den Industrie-Ringen gibt es nirgendwo Luftqualität der Klasse A-plus, so wie ihr es aus Jaikong kennt. Davon können wir hier nur träumen. In den Produktionshallen sorge ich dank aufwändiger Filtertechnologien für hervorragende Luft der Qualität B-plus. Aber das ist teuer. Ihr solltet einmal meine Rechnungen sehen, Stromkosten, Sauerstoffkosten und Reinigung der Filter. Diese Luftqualität steht euch nur während der Arbeitszeit zur Verfügung. In den Schlafsälen sind nur einfache Luftsiebe installiert, die den gröbsten Dreck raushalten. Mehr ist nicht drin. Deswegen will jeder so lange wie möglich arbeiten. Wenn ihr fleißig seid und euch geschickt anstellt, könnt ihr euch in ein paar Monaten um Sonderschichten bemühen und irgendwann vielleicht für einen 8-Stunden-Job bewerben. Meine allerbesten Mitarbeiter erhalten das Privileg von 14-Stunden-Schichten. So lässt sich das Leben hier draußen aushalten, kaum schlechter als in Jaikong.“

      Der spann doch komplett. Ich schielte auf mein Aerometer. Es leuchtete gelb. Dabei waren wir kaum zwei Stunde draußen