„Was?“
„Na, dass du wegen Vincoon zu den Aeronauten gekommen bist. Sicherlich haben sie hier herausragende Teams und die Nachwuchsarbeit ist phänomenal, aber in erster Linie dienst du als Kadett der Aeronauten. Die wenigsten schaffen es in die Auswahlmannschaften.“
Quinn schluckte. „Ja, genau. So sehe ich das auch.“
Lyrah war vor einer Tür stehen geblieben und klopfte. Es dauerte, bis sich eine verschlafene Stimme meldete: „Herein.“
Quinn erschrak, als sie eintraten. Das fensterlose Zimmer war eine winzige Kammer. An einer Wand waren zwei Bettmulden übereinander eingelassen. Gegenüber schlossen zwei Spindtüren bündig mit der Wand ab und dann gab es noch zwei Bildschirmarbeitsplätze. Das war alles. Wenn man in der Mitte des Raums stand und die Arme ausstreckte, konnte man fast die Wände berühren. Aus dem oberen der beiden Betten tauchte ein Junge mit kurz rasierten Haaren auf. Er sah Quinn wenig begeistert an. „Was willst du?“, fragte er mürrisch.
Quinn stellte die schwere Tasche auf den Boden. „Ich bin Quinn. Sie haben mich in dieses Zimmer eingeteilt.“
Der Junge drehte sich im Bett um und murmelte. „Da musst du nicht so einen Aufstand machen. Siehst doch, dass das obere Bett meines ist. Also nimmst du das untere und lässt mich in Ruhe weiterschlafen.“
„Alles klar, Kirk?“, rief Lyrah und drängte sich von hinten in die winzige Kammer.
Sofort tauchte Kirk wieder aus seinem Bett auf. Diesmal mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Seine Müdigkeit schien wie weggewischt. „Hi Lyrah. Ja, alles klar. Es nervt nur, dass ich mein winziges Zimmer mit dem da teilen muss.“
„Er ist auch Vincoon-Spieler“, erklärte Lyrah, als müsste sie Quinn verteidigen. „Sag mal, welche Position spielst du eigentlich?“
„Mittelfeld, offensives Mittelfeld.“
„Genau wie ich.“ Lyrah schenkte Quinn ein geheimnisvolles Lächeln.
„Immer mit der Ruhe“, mischte sich Kirk ein und ließ sich aus seinem Bett gleiten. Jetzt stand er zwischen den beiden und sah Lyrah an. „Die Auswahlspiele werden zeigen, wer es in die Aero-Cadets schafft. Und ich glaube nicht, dass der dabei ist.“ Dabei deutete er mit dem Daumen auf Quinn.
Quinn ließ sich auf sein Bett fallen, um ein wenig Abstand zu diesem Kirk zu bekommen. Mann, war ihm der Typ unsympathisch.
„Ciao, Quinn. Ciao, Kirk. Bis morgen“, verabschiedete sich Lyrah.
Als die Tür hinter Lyrah ins Schloss gefallen war, baute sich Kirk direkt vor Quinn auf:
„Eine Sache will ich gleich mal klarstellen“, schnauzte Kirk.
„Ja?“, stotterte Quinn wie ein eingeschüchterter Erstklässler. Dabei kam er sich unglaublich dämlich vor. Dieser Kirk hatte ihm gar nichts vorzuschreiben.
„Von Lyrah lässt du deine Finger! Haben wir uns verstanden?“
„Also …“
„Lyrah ist meine Freundin“, erklärte Kirk und verschränkte seine Arme.
Quinn wollte noch etwas erwidern, sagen, dass das Kirk gar nichts anginge und …
Doch Kirk war schon wieder nach oben in sein Bett geklettert, als wäre er an einer Antwort von Quinn nicht im Geringsten interessiert.
Am nächsten Morgen riss der Wecker Quinn viel zu früh aus dem Bett. Es war noch stockdunkel. Quinn brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass das an der fensterlosen Kammer lag. Albträume hatten ihn durch die Nacht verfolgt. Kalana. Er wollte sich nicht mehr daran erinnern und verdrängte die verblassenden Erinnerungen.
„Trödel nicht so rum“, fauchte Kirk, der schon in seiner stahlgrauen Kadetten-Uniform vor dem Bett stand. „Es gibt Frühstück bis sieben. Um sieben Uhr fünfzehn beginnt der Unterricht in 2301.“
„Danke“, murmelte Quinn und riss nervös am Reißverschluss seiner Tasche. Er hatte sich gestern Abend nicht mehr darum gekümmert. Mit fahrigen Bewegungen schaufelte er durch den Inhalt der Tasche und versuchte, eine komplette Uniform herauszufischen. Ein etwa vierzig Zentimeter langer Metallstab fiel dabei heraus und donnerte auf den Boden.
„Mann, du Idiot, pass gefälligst auf deinen Egalisierer auf!“
Ehrfürchtig hob Quinn die Waffe auf und legte sie vorsichtig zurück in die Tasche. Natürlich wusste er, was ein Egalisierer war. Jedes Kleinkind kannte die Waffe der Aeronauten. Irgendwie war Quinn heute Morgen total durch den Wind. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis seine Uniform einigermaßen korrekt saß.
Das Frühstück war schnell erledigt. Es gab eine ernährungstechnisch ausgewogene Paste, die alles Notwendige enthielt. Quinn freute sich schon darauf, andere Kadetten im Unterricht kennenzulernen. Aber die Sache war gar nicht so einfach. Alle schienen auf Kirk zu hören und der brauchte nicht einmal Worte, um klarzumachen, dass Quinn unerwünscht war. Quinn hatte den Fehler gemacht, Lyrah als Erstes zu begrüßen und gemeint, er könnte neben ihr sitzen. Doch das war Kirks Platz. Wie ein geprügelter Hund zog Quinn ab und setzte sich weit hinten, ganz außen in eine Reihe. Dort saß er ganz alleine.
Auf die Sekunde pünktlich betrat Cassaio den Hörsaal. Er ließ die Tür hinter sich zuschlagen. Augenblicklich war selbst das leiseste Flüstern verstummt.
„Guten Morgen, Kadetten!“
„Guten Morgen, Leutnant Cassaio!“
Auf einen Wink Cassaios setzten sich alle.
„Nehmt euch einen Moment Zeit, um eure Nachbarn anzusehen!“
Alle Kadetten blickten nach links und rechts. Quinn hatte keinen Nachbarn. Da sorgte Cassaio mit einem kurzen Schlag auf das Pult für Ruhe: „Es ist unwahrscheinlich, dass am Ende der Kadettenausbildung eure Nachbarn noch da sind. Mehr als die Hälfte von euch wird die Ausbildung nicht zu Ende bringen. Und falls ihr nur wegen einer Karriere als Vincoon-Spieler gekommen seid, könnt ihr gleich eure Sachen packen. Jedes Jahr beginnen über tausend Kadetten die Ausbildung. Davon schafft es nur ein halbes Dutzend in unsere Auswahlmannschaft, die Aero-Cadets.“
Quinn lief eine Gänsehaut über den Rücken. Aero-Cadets – schon der Klang dieser legendären Nachwuchsmannschaft löste ein wohliges Kribbeln bei ihm aus. Er würde es allen zeigen und sich an Kirk vorbei in die Mannschaft spielen. Lyrah würde ihn bewundern. Das Problem mit Kirk würde sich dann ganz schnell lösen.
„Wer kann mir die Hauptaufgaben der Aeronauten nennen?“, stieg Cassaio ohne Vorgeplänkel in den trockenen Unterrichtsstoff ein.
„Verbrecher fangen“, rief einer aus der ersten Reihe, ohne sich zu melden.
„Du verlässt augenblicklich meinen Unterricht und packst deine Sachen“, schnauzte Cassaio. Der Typ aus der ersten Reihe stand auf und schlich benommen davon.
„Bei den Aeronauten herrscht Disziplin. Das hier ist keine antiautoritäre Sing- und Tanzschule. Wer meint, etwas zum Unterricht beitragen zu können, meldet sich über den Touchscreen, der an jedem Arbeitsplatz angebracht ist.“
„Ja, Toto“, rief Cassaio einen Jungen auf, der neben Kirk saß.
„Die Aeronauten sorgen für die Einhaltung der Luftgesetze. Menschen in den Industrie-Ringen dürfen den ihnen zugewiesenen Ring nur mit einem entsprechenden Visum verlassen. Der Zutritt nach Jaikong wird von den Aeronauten kontrolliert.“
„Sehr gut, das hört sich schon besser an. Wie oft dürfen die Menschen aus den Industrie-Ringen nach Jaikong reisen?“
Kirk wurde aufgerufen. „Das ist in der Luftkurverordnung festgeschrieben. Alle Menschen aus den Industrie-Ringen erhalten einmal im Monat einen zweistündigen Aufenthalt im Luftkurzentrum von Jaikong. Zusätzliche Luftkurstunden können durch herausragende Arbeitsleistung gewährt werden. Die ordnungsgemäße Durchführung der Luftkuren obliegt den Aeronauten.“
Quinn rutschte nervös auf seinem Stuhl.