Dominik S Walther

Resonanzfrequenz


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fährt sich durch die Haare. Dann rümpft er die Nase.

      »Deine fundamentale Kritik an unserem Studium und den Personen, die uns unterrichten, hat nicht zufällig etwas mit einem Ausflug zu tun, den wir beide vor drei Wochen zusammen unternommen haben?«

      Mit dieser kleinen Bemerkung hat Stefano es wieder geschafft. Blitzartig ist er zum Gegenangriff übergegangen. Ansatzlos. Totale Überrumpelung. Es bleibt nichts anderes übrig, als sich darauf einzulassen.

      »Du meinst, es könnte etwas damit zu tun haben?«

      »Ich denke, es geht nicht nur um Kunst versus Technik, Geisteswissenschaft versus Naturwissenschaft und so. Wir haben auch einen ästhetischen Konflikt. So in der Art: Live–Art versus Objektkunst. Wie sieht es damit aus?«

      Brent zögert, dann beschließt er, diesem Weg doch noch eine Weile zu folgen.

      »Vielleicht.«

      Stefanos Lachen enthält eine Spur Anerkennung.

      »Du willst es wirklich wissen, Brent. Respekt! Du machst keine halben Sachen.«

      Um ehrlich zu sein – und Brents Anspruch, ehrlich gegenüber sich selbst zu sein, ist im Laufe der letzten Jahre unablässig gewachsen – hat Brent den Ausflug auf das Live–Art–Festival mit Stefano noch nicht mit seiner jetzigen Situation in Zusammenhang gebracht. Aber Stefano kann mit seiner Vermutung nicht ganz falsch liegen. Da gibt es eine Spannung, ganz tief, mit dem sich oft überraschende Erkenntnisse ankündigen. Ein innerliches Zittern wie das Vibrieren einer zum Bersten gespannten und dann angeschlagenen Saite. Es erinnert ihn an das Gefühl von Entspanntheit bei gleichzeitiger geistiger Anregung. Wie an diesem Abend in der ehemaligen Kirche. Vielleicht hatte es damals schon angefangen. Und bis heute nicht aufgehört? Vielleicht war es schwächer geworden, weil niemand diese Faszination teilte, aber es war niemals verstummt. Wie der Ausläufer eines Erdbebens auf der anderen Seite des Globus, dessen Schockwellen auch in der Ferne noch zu messen sind. Brent gibt sich etwas entrüstet:

      »Tu nicht so, als ob dich das ruhig gelassen hätte.«

      »Habe ich nie behauptet.«

      »Dann tue doch nicht so verwundert.«

      Stefano hebt abwehrend die Hände: »Ich will mein Lebenskonzept nicht wegschmeißen, nur weil ein paar Musiker in einer alten Kirche Cage gespielt haben.«

      »Du vergisst die Käfige. Die Videoprojektionen. Und vor allem vergisst du diese unglaubliche Musik. Dieses Klanggebilde. Die Texte. Als ob die Musik nur für sie gespielt wird. Diese Stimmen. Diese absolut paranoiden Texte.«

      »Schon klar. Very Rilke, mein Freund. So Du–Musst–Dein–Leben–Ändern–mäßig. Ein bisschen zu romantisch für meinen Geschmack, aber vielleicht ist es ja die richtige Zeit für große Gefühle.«

      »Es formt sich aus, der Gegenstand liegt schon im Stein verborgen, muss freigelegt werden von seiner Hülle. Nicht der Stein ist es, der den Gegenstand zum Kunstwerk macht.«

      Stefano rückt auf seinem Platz herum, setzt sich schließlich kerzengerade auf und seinen belehrenden Zeigefinger aus. In Brents dozierenden Ton fährt er fort:

      »Es ist das Nichts, das ihn umgibt. Das Nichts, dass wir als Künstler aus dem Stein herauszuschlagen haben.«

      Sie lachen. Dann prosten sie sich zu und Brent schüttelt den Kopf. Stefanos Stimme klingt jetzt fast melancholisch.

      »Mensch, was waren wir begeistert. Ich meine, der Weichler ist nun nicht gerade ein Ästhetikexperte, aber wir haben seine Worte wie Drogen aufgesogen. Der hätte uns alles erzählen können und wir hätten es für die größte Erkenntnis dieser Welt gehalten. Erinnerst du dich? Da gibt es einen Studienanfängerstefano, der mit einem Studienanfängerbrent zusammen hier in dieser Kneipe sitzt und beide fühlen sich großartig bei dem Versuch, vor gedachte Gedanken als ihre eigenen zu empfinden.«

      Brent ballt die Hand zur Faust und lässt sie auf eine Erdnuss nieder fahren.

      »Ich habe keine Lust mehr, mich ins Nichts zu arbeiten. Einem Gegenstand auf den Leib zu rücken und ihn Stück für Stück zum Nichts machen, bis nur noch ein Werk übrig bleibt, was man im Idealfall Kunstwerk nennt und einen riesigen Haufen Abfall. Das ist scheiße.«

      »Und was haben diese Performer, was du in deinen Arbeiten nicht findest?«

      »Leben!«

      »Blödsinn. Das liegt nur an dir.«

      »Nein. Es liegt am Material. Ich habe keine Lust mehr, mich mit totem Material auszudrücken. Mein Material muss leben. Ich muss selbst zu meinem Material werden.«

      Der Keller beginnt sich zu leeren. Das ist jeden Samstag das Gleiche, die Palästinenser brechen alle gleichzeitig auf und nur noch eine handvoll Gäste bleiben übrig. Brent beobachtet die Arbeit des Studenten hinter der Theke. Mit langsamen, kreisenden Bewegungen fährt er konzentriert über den polierten Holztresen, während er mit der anderen hin und wieder zum Abschied für einen der Gehenden hebt.

      Manchmal kommt die Klarheit vollkommen unerwartet.

      »Es muss etwas passieren.«

      Stefano lässt ihm die Zeit, damit sich die Gedanken setzen können.

      »Nachdem du deine Abschlussarbeit selbst zerstört hast, wird zwangsläufig etwas passieren.«

      Brent seufzt, aber Stefano scheint Spaß an der neuen Situation zu finden.

      »Da wir das nun geklärt haben, sollten wir anfangen uns Gedanken zu machen, wie du mit der Situation in der Schule umgehst. Jetzt alles hinzuschmeißen wäre irgendwie schon daneben.«

      Widerwillig stimmt Brent zu.

      »Es wäre einfach.«

      »Und unehrlich.«

      Es war nicht perfekt gewesen, aber es hatte eine gewisse Schönheit besessen. Ein glatter Übergang. Ein Studium endet, ein neues fängt an. Ein Abschlusszeugnis ist Brent nie wichtig gewesen. Er stemmt sich aus dem Spalt zwischen Tisch und Sitzbank und steuert zur Theke. Ohne ein Wort stellt Brent die leeren Bierflaschen auf die saubere Theke. Er zahlt so, dass er genügend Wechselgeld für den Zigarettenautomaten zurück bekommt. Als er zur kleinen Sitzecke in der Wand zurückkommt, bläst Stefano den Rauch seiner letzten Zigarette in einem scharfen Strahl nach oben.

      Brent stellt die Flaschen polternd auf den Tisch.

      »Hast du schon einen Plan, wie es weitergehen soll?«

      »Bis eben wusste ich noch nicht einmal, dass es überhaupt weitergehen würde.«

      Stefano nickt. Seine Augen funkeln vor Freude.

      »Außerdem würdest du dir einen riesigen Spaß entgehen lassen.«

      Brent ist zu müde, um seinen fragenden Blick hinter einer abgeklärten Fassade aus Langeweile zu verbergen. Aber Stefano versteht Brents Schweigen wie immer genau richtig. Es ist eine Aufforderung.

      »Ich hab da eine Idee.«

      Stefano lächelt verschmitzt.

      »Und ich glaube, es ist eine gute Idee. Wir machen die Zerstörung einfach zum Schlusspunkt deiner Arbeit. Aufbau und Zerstörung. Das passt doch super zum Titel! Damit könntest vielleicht noch etwas retten. Und etwas von deinem Frust los werden.«

      Stefano lässt sich von Brents noch fehlender Begeisterung nicht zurückhalten.

      »Außerdem könntest du den Laden ein wenig aufmischen. Und du könntest deine neu entdeckte Leidenschaft fürs Performative ausleben.«

      Brent seufzt: »Diese Gespräche bringen meist mehr Schwierigkeiten ein, als sie lösen.«

      »Genau, mein Freund.«

      Stefanos Lächeln wird breiter. Er schweigt bis sich auch auf Brents Gesicht ein Lächeln andeutet. Dann prosten sie sich zu.

      »Genau.«

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