Anna Staub

Die neue Schulmeisterin


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hatte der Erzählung ihres Bruders mit dem größten Vergnügen zugehört und keine Scheu gehabt, sie ihren Freundinnen und Tante Trudi zu erzählen. Von dort aus machte die Geschichte über die Bezwingung des Davy Slane die Runde durch ganz Green Hollow, bis sie schließlich auch bei den Sullivans gelandet war.

      Beim sonntäglichen Mittagessen gab Luke sie zum Besten, der sie in der Stadt von Harriet gehört hatte und Charlie provozierte einen der seltenen Kommentare von seinem älteren Bruder.

      Der jüngste Sullivan dachte an seinen alten Schulmeister, der mit dem Stock immer schnell bei der Hand gewesen war, als er sagte: „Sie hätte ihm eine ordentliche Tracht Prügel verpassen sollen. Der kleine Teufel scheint nur Ärger zu machen, wie man so hört.“

      Charlie war keineswegs grausam, aber etwas unbedacht und er war der Meinung, dass die Prügel, die er des Öfteren in seiner Schulzeit bezogen hatte, bei ihm auch nicht von Schaden gewesen war.

      Doch bevor noch irgendwer ihn zurechtweisen konnte, hatte Bill sich etwas aufgerichtet. „Ich halte es für eine sehr kluge Idee, sich die Kinder nicht mit Prügel gefügig zu machen, sondern ihnen die Wirkung ihres Handelns aufzuzeigen.“

      Gleich darauf senkte der blonde Sullivan wieder den Kopf und machte sich weiter über Prudles Rinderbraten her, während seine Familie ihn für einige Augenblicke verblüfft anstarrte.

      Es war Josh, der schließlich das peinliche Schweigen brach und sich an Charlie wandte. „Wenn du jedes Mal eine Tracht Prügel bekommen solltest, wenn du uns Ärger machst, dann hätte Dad den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als dir eins überzubraten.“

      Doch Charlie grinste seinen älteren Bruder nur breit an und schnell wurde das Gespräch in andere Bahnen gelenkt. Es war offensichtlich, dass Bill seine Bemerkung am Liebsten zurückgenommen hätte, um so die Aufmerksamkeit wieder von sich zu lenken. Eigentlich war ihm selbst nicht so recht klar, was ihn dazu gebracht hatte, für Miss Van Halen Partei zu ergreifen. Fest stand nur, dass er ihre Art mit den Kindern umzugehen tatsächlich mochte und für vernünftig hielt.

      Doch dank dieses Zwischenfalls fiel Finney wieder ein, dass sie etwas vergessen hatte. Auf dem Heimweg berichtete sie ihrem Mann mit einiger Verspätung, dass sie die junge Lehrerin zu einem Abendessen eingeladen hatte und Luke sie doch am Freitag bitte abholen möge.

      Prinzipiell hatte der älteste Sullivan nichts dagegen diese verrückte Person, die für so viel Wirbel in Green Hollow sorgte, kennenzulernen. Die Tatsache allerdings, dass seine Frau über seinen Kopf hinweg entschieden hatte, nagte irgendwie an seiner Autorität als Familienoberhaupt. Er hatte wichtigere Dinge zu erledigen als am Freitagabend den Dienstboten zu spielen und irgendwelche jungen Frauen durch die Gegend zu kutschieren. Und das tat er auch reichlich unfreundlich kund.

      Was seine Frau dazu animierte, spitz zu bemerken, dass ihr nicht bewusst war, dass sie jedes Mal um Erlaubnis zu fragen hatte, wenn sie jemanden einladen wollte.

      Der Haussegen hing für die nächsten zwei Tage also reichlich schief und es dauerte bis zum Dienstagabend, dass wieder die gewohnte Eintracht herrschte.

      Finney, die glaubte, dass ihr Mann neben ihr bereits schlief, ließ ihren Tränen im Bett leise freien Lauf, denn irgendwie war es mit jedem Augenblick ein wenig unerträglicher neben Luke zu liegen und zu wissen, dass er wütend auf sie war.

      Umso überraschter war sie, als sich plötzlich von hinten ein starker Arm um ihre Taille schlang und Luke sie an sich zog. „Es tut mir leid, Finney. Ich habe wohl etwas überreagiert. Frag mich nächstes Mal einfach vorher“, bat er leise und Mrs. Sullivan drehte sich zögernd in den Armen ihres Mannes um. „Es tut mir auch leid. Vielleicht kannst du dich beim nächsten Mal ein bisschen zurücknehmen?“

      Luke nickte und zog sie dann für einen sanften Kuss noch enger an sich. „Gerade du weißt doch, wie ich mich benehme, wenn ich mich in meinem männlichen Stolz gekränkt fühle“, sagte er dann mit einer ordentlichen Portion Selbstironie.

      Doch das Ehepaar Sullivan verschwendete nicht mehr viel Zeit mit Reden, sondern machte sich daran, die Versöhnung nach dem ersten Streit gebührend zu feiern. So ausgiebig, dass Josh, der am nächsten Morgen mit seinem Bruder verabredet war, um auf den Weiden ein paar Rinder für einen Verkauf einzufangen, mehr als eine halbe Stunde auf dessen Erscheinen warten musste. Was Anlass zu einigen anzüglichen Bemerkungen gab, die sich der zweite Sullivan-Bruder in Anwesenheit seiner Schwägerin wohl nicht erlaubt hätte.

      Miss Charly hatte indes am Sonntagabend ganz andere Probleme. Die erste Sonntagsschulstunde mit ihren Schützlingen war gut verlaufen und zu ihrer eigenen Überraschung auch ganz ohne peinliche Zwischenfälle von ihrer Seite. Wenn man davon absah, dass ihre Haare so mit Kreidestaub bepudert waren, dass es wirkte, als wäre sie über Nacht grau geworden.

      Sie hatte eine leere Kreidedose auf den Schrank stellen wollen, aber da sie den Deckel nicht fest genug geschlossen hatte, hatten sich die Pulverreste schließlich über ihr Haupt ergossen.

      Als dann Reverend Brinkley am Abend unvermutet vor der Tür stand, waren die Haare wieder sauber, aber es war offensichtlich, dass Miss Van Halen sich das Auftauchen des Pfarrers genauso wenig erklären konnte, wie den Umstand, dass sie sich die Kreidereste über den Kopf geschüttet hatte.

      Es blieb der jungen Frau ja nichts anderes übrig, als den Geistlichen schließlich ins Haus zu lassen, aber eigentlich passte es ihr gar nicht. Sie wollte noch einmal den Plan für den morgigen Unterricht durchgehen. Doch John Brinkley hatte sich vorgenommen, der Lehrerin sehr wortreich klar zu machen, wie sehr er es bedauerte, dass ihre Verpflichtungen als Sonntagsschullehrerin sie von seinen Gottesdiensten fernhielten. Er ging sogar so weit anzubieten, doch des Sonntagabends zu ihr zu kommen und ihr aus seiner Predigt vorzutragen. Vielleicht würde auch einmal Mrs. Aldridge wieder eine Stunde übernehmen, damit er die Freude und die Ehre hätte, sie in seinem Gottesdienst begrüßen zu dürfen.

      Charlotte war von dieser seltsamen Rede mehr als verwirrt, aber als der Herr Pfarrer tatsächlich Anstalten machte, etwas näher an sie heranzurücken, wurde ihr klar, was passiert war. Sie hatte sich wieder einen Verehrer zugezogen! Das hatte ihr gerade noch gefehlt! Momentan war ihr dieser Umstand ebenso willkommen wie eine Erkältung mit Fieber.

      Doch John Brinkley schien ihren subtilen Hinweis, dass ihre Mutter ihr immer von den Predigten berichten könnte, nicht zu verstehen. Miss Charly war sich sicher, dass der Reverend auch um ihr seelisches Wohl besorgt war und nicht nur aus rein egoistischen Gründen am Sonntagabend zu ihr kommen wollte. Dennoch mochte sie es nicht, dass er immer wieder ein Stück an sie heran rutschte, wenn sie auf Abstand ging. Sie wollte nicht unhöflich sein und den Mann kränken, wenn er sie anscheinend nett fand, aber sie wollte ihn auch nicht ermutigen.

      Und so entspann sich gewissermaßen eine Jagd über die gepolsterte Bank, bei der Charlotte abrückte und der Reverend gleich wieder auf. Das Ganze ging so lange, bis die beiden von der rechten auf die linke Seite gewandert waren und Charly schließlich, in dem Wunsch Abstand zu halten, wieder ein Stück zur Seite rückte und mit dem Hintern auf dem Boden landete. Doch bevor der leicht pikierte Reverend ihr aufhelfen konnte, kam zum Glück Mrs. Van Halen wieder in den Salon, die für den Herrn Pfarrer eine Tasse Tee zubereitet hatte.

      Nachdem Charlottes Mutter ihren Stammplatz in ihrem Ohrensessel eingenommen, die traute Zweisamkeit zerstört hatte und auch keine Anstalten machte, den Salon in absehbarer Zeit wieder zu verlassen, verabschiedete sich Reverend Brinkley. Charly war somit ihren Gedanken überlassen, wie seltsam es doch war, dass sich ausgerechnet ein Mann für sie begeisterte, den sie so gar nicht interessant fand. Während wiederum der seltsame Mr. Sullivan, über den sie gern mehr erfahren hätte, sie nicht im Geringsten beachtete. Nun ja, oder nur, wenn er dazu gezwungen war.

      Die zweite Woche verlief für Charlotte noch besser als die erste. Davy Slane hatte ganz offensichtlich für den Moment Abstand vom Streichespielen genommen und so stand einem gemütlichen Freitagabend bei den Sullivans nichts im Wege.

      Als Miss Charly in ihrem Zimmer vor dem Spiegel stand und sich etwas sorgfältiger als sonst ankleidete und frisierte, befand sie sich in einem seltsamen Zustand aus Aufregung und Niedergeschlagenheit.