Anna Staub

Die neue Schulmeisterin


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hatten. Als es für Finney Zeit wurde, wieder zu gehen, lud sie Miss Van Halen aus einem Impuls heraus zu einem Abendessen ein. Sie wusste noch zu gut, wie es war hier fremd zu sein und die neue Lehrerin hatte nicht den unschätzbaren Vorteil, von Mrs. Trudi unter die Fittiche genommen zu werden.

      „Es würde mich wirklich freuen, Mrs. Sullivan! Allerdings beginnt nächste Woche die Schule und ich werde am Anfang sehr eingebunden sein. Ich will nicht unhöflich wirken und würde wirklich gern vorbeikommen und auch Ihren Mann kennenlernen, aber…“ Charlotte sah etwas hilflos aus. Sie mochte die kleine, zierliche Frau vor sich und es konnte nie schaden ein paar neue Freundschaften zu knüpfen, aber sie glaubte kaum, in der nächsten Woche Zeit zu haben. Aber war es nicht furchtbar unhöflich die erste Einladung gleich abzulehnen? Sie wollte nicht, dass Mrs. Sullivan dachte, sie hätte kein Interesse an einem Abendessen bei ihr.

      „Das kann ich verstehen. Warum sagen wir nicht einfach in zwei Wochen? An einem Freitag? Mein Mann wird Sie abholen. Ich nehme an, dass Sie keine eigene Kutsche haben?“

      Charlotte stimmte begeistert zu und so trennten sich die beiden Frauen vor Plockton's Warehouse, um ihrer Wege zu gehen. Als Miss Charly zu Hause ankam, musste sie allerdings feststellen, dass sie sich gleich noch einmal auf den Weg machen musste. Über ihre Begeisterung eine neue Bekanntschaft geschlossen zu haben, hatte sie ihre Besorgungen vergessen!

      Was haltet ihr davon, wenn wir hinausgehen und verstecken spielen?

      Der erste Schultag rückte näher und Charlotte hatte sich im Salon eine kleine Ecke mit einem Sekretär eingerichtet, an dem sie nun Stunde um Stunde saß und ihren Unterricht vorbereitete. Doch bevor sie sich ihrer ersten Feuerprobe mit den Kindern stellen konnte, musste sie ihrer Mutter Rede und Antwort stehen.

      Mrs. Van Halen hatte es geschafft, in wenigen Tagen mit allen wichtigen Personen in Green Hollow gut Freund zu werden. Bess Aldridges Gunst hatte sie sich durch die schlichte Überlassung der Blumen-Stillleben erkauft und ihre bestimmten Ansichten zum Lauf der Welt, sorgten für weitere Sympathien. Trudi McAbberty hatte sie für sich gewonnen, indem sie ihr ein Rezept für ein Düngemittel überlassen hatte, das deren Rosen in wenigen Tagen doppelt so große Blüten wie sonst bescherte. Außerdem hatte die Frau Doktor eine umfassende Kenntnis über die hiesigen Einwohner und konnte mit vielen interessanten Geschichten aufwarten. Mit anderen Worten: Mrs. Trudi und Mrs. Alberta würden in Zukunft viel Zeit mit dem Austausch von gutmütigen Klatschgeschichten verbringen. Und mit der Witwe Straight verband Mrs. Van Halen eine innige Freundschaft, seitdem sie beide festgestellt hatten, dass sie gesundheitlich unsägliche Qualen litten, aber niemand sie ernst nahm.

      Und die Witwe Straight war es auch, die Mrs. Alberta einen dezenten Hinweis gab, wie ihre Tochter sich in Green Hollow eingeführt hatte.

      „Mrs. Van Halen, ich bringe dieses Thema ja nur ungern zur Sprache“, begann die Witwe ihre Eröffnung mit Grabesstimme, „und ich bin die letzte Person, die sich an Klatschgeschichten ergötzt. Nichts liegt mir ferner als das, aber ich halte es einfach für meine Pflicht, Sie davon in Kenntnis zu setzen. Man denke nur an den Skandal, den Miss Finney letztes Jahr mit ihrer unüberlegten Handlung ausgelöst hat. In eine Pistolenkugel hat sie sich geworfen, das gute Kind!“ Mrs. Eugenia griff sich bei dieser Eröffnung mit einer theatralischen Geste an den Busen, als hätte der Schuss damals direkt Miss Finneys Herz durchbohrt. „Die jungen Dinger heutzutage denken einfach nicht mehr nach, und wenn Ihre Charlotte Pech hat, dann könnte ihr diese Unachtsamkeit noch ihr ganzes Leben vorgeworfen werden.“

      Dass diese Schwierigkeiten meist nur daher rührten, dass Leute wie Eugenia Straight sie herbeiredeten, wurde dabei geflissentlich übersehen.

      „Jedenfalls, Mrs. Van Halen, was ich Ihnen sagen möchte, ist, dass es Ihrer Charlotte sicher nicht gut anstehen wird, wenn das Gerücht die Runde macht, dass sie sich jungen Männern an den Hals wirft.“

      Das war in der Tat ein Gerücht, dass Mrs. Alberta nicht über ihre Tochter hören wollte und nachdem sie sich mit Hilfe von Riechsalz und einigen Schlucken Likör wieder soweit beruhigt hatte, dass sie reden konnte, verlangte sie von der Witwe Straight einen minutiösen Bericht über diesen Vorfall.

      Und so sah sich Miss Charly am Abend vor ihrem ersten Schultag mit ihrer aufgeregten Mutter konfrontiert, die eine Erklärung für folgenden Sachverhalt verlangte:

      „Charly, was hast du dir nur dabei gedacht? Du wirst mir sofort sagen, warum du mit diesem jungen Mann ganz allein durch Green Hollow flaniert bist, wo du hier noch keinen Menschen kanntest! Ich weiß ja, dass du nichts angestellt hast, du bist ein gutes Kind, aber die Leute werden einen völlig falschen Eindruck von Dir bekommen und das ist manchmal schlimmer als alles andere.“

      Charlotte überlegte gerade, was sie morgen tun könnte, um die Kinder davon zu überzeugen, dass sie ihre Freundin sein wollte, doch nun schreckte sie aus ihren Gedanken auf. Allerdings wusste sie nicht, wovon ihre Mutter da eigentlich redete. Und das sagte sie ihr auch unumwunden und recht wortreich.

      „Der junge Mann, der dich zu Doktor McAbberty begleitet hat. Und was hast du überhaupt beim Arzt zu suchen gehabt? Noch dazu in Begleitung von diesem Bill Sullivan!“

      Jetzt breitete sich auf Charlottes Gesicht ein strahlendes Lächeln aus. „Sullivan! So heißt er also. Irgendwie ist das in dem ganzen Trubel untergegangen und ich bin nicht dazu gekommen, ihn zu fragen.“ Schon mehr als einmal hatte ihr wortkarger Retter sich diese Woche in Miss Charlys Gedanken geschlichen. Dabei wusste sie eigentlich gar nicht so recht wieso. Sie vermutete einfach aus Dankbarkeit, weil er ihr geholfen hatte.

      „Kind, was für ein Trubel? Und wie kannst du mit einem Mann durch die Straßen laufen, dessen Namen du noch nicht einmal kennst?“ Mrs. Van Halen schien schon wieder kurz vor einem nervösen Anfall zu stehen und ließ sich jetzt in ihren Ohrensessel fallen, während sie sich mit einem Fächer hektisch Luft zu wedelte.

      Doch diese beiden Fragen brachten die Lehrerin zurück auf den Boden der Tatsachen und das Strahlen wich einem besorgten Gesichtsausdruck. Charlotte hatte es sich zu einem festen Grundsatz gemacht, sich allenfalls ab und an eine kleine Notlüge zu erlauben, aber das hier ging über klein und Notlügen weit hinaus. Sie würde nicht mehr drum herum kommen, ihrer Mutter die ganze unselige Geschichte von Elizabeth, Blacky und der morschen Leiter zu beichten. Was sie auch umgehend tat und somit dafür sorgte, dass Mrs. Alberta mehrmals Gebrauch von ihren Riechsalzen machen musste, um eine Ohnmacht abzuwehren.

      Miss Charly beeilte sich, ihr zu versichern, dass ja nichts passiert sei und das wäre allein Bill Sullivan zuzuschreiben. Dass er sie dann anschließend zum Arzt begleitet hatte, war ein reiner Akt der Höflichkeit und Sorge um sie gewesen. Eigentlich doch ein wirklich sympathischer Zug.

      Charlotte wusste, wie sie ihre Karten zu spielen hatte und Mrs. Van Halen war von Natur aus jedem Menschen zugetan, der ihrer tollpatschigen Tochter etwas Gutes tat. Sie regte sich noch eine Weile über die unüberlegten Handlungen ihres einzigen Kindes auf, doch über den kleinen Spaziergang mit Mr. Bill wurde kein Wort mehr verloren.

      Erst als Charlotte abends zu Bett ging, kam sie wieder dazu, sich in Gedanken noch einmal mit den Vorkommnissen dieses Abends zu beschäftigen. Es war ihr überhaupt nicht eingefallen, dass ihr der kleine Spaziergang mit Bill so ausgelegt werden könnte. Ihr wäre es nie eingefallen, anderen Leuten aus solch einer Sache einen Vorwurf zu machen. Doch die Schulmeisterin beschloss, sich darüber keine weiteren Gedanken zu machen. Die Leute in Green Hollow waren alle so nett, dass darüber sicher niemand mehr ein Wort verlieren würde.

      Nein, viel interessanter war die Tatsache, dass sie nun den vollständigen Namen ihres Retters wusste. Wieso sie das dermaßen interessierte, war ihr nicht ganz klar, aber irgendwie hätte sie sich gefreut diesen Mr. Bill wiederzusehen. Er hatte ihr geholfen und darüber hinaus war er so besorgt gewesen, dass er sie zum Arzt gebracht hatte. Sie war es eigentlich gewöhnt, dass Männer nach ihren kleinen, peinlichen Unfällen bei der erstbesten Gelegenheit Reißaus nahmen. Bill Sullivan dagegen schien aus anderem Holz geschnitzt zu sein.

      Sullivan… Woher kannte sie diesen Namen nur? Es