Die neue Schulmeisterin. Anna Staub

Mal über die Haare und verließ dann ihr Zimmer. Es war typisch für sie und ihre ungeschickte Art. Einmal lernte sie einen Mann kennen, den sie nett fand und dann war es natürlich der Ehemann einer anderen Frau.

      Mrs. Van Halen hatte gerade die Haustür geöffnet, als Charlotte die Treppe herunterkam.

      „Ah, da bist du ja mein Kind. Mr. Sullivan ist hier um dich abzuholen“, trompetete ihre Mutter und Charly verfehlte prompt die letzte Treppenstufe bei der Ankündigung, dass Bill da wäre.

      Die helfende Hand, die sie vor einem Sturz bewahrte, gehörte allerdings nicht im Geringsten zu ihrem zweimaligen Retter. Verwirrt schaute die junge Frau erst auf den großen, dunkelhaarigen Mann, der sie um mehr als einen halben Kopf überragte und dann zu ihrer Mutter.

      „Oh, da musst du dich irren, Mama. Sie sind nicht Mr. Sullivan, nicht wahr?“, fragte sie dann und lächelte entschuldigend zu dem Fremden hoch. Der schien nun seinerseits irritiert zu sein.

      „Doch, Miss Van Halen“, war die überraschte Antwort und Charly runzelte die Stirn. „Sind Sie sich da ganz sicher?“

      Plötzlich fing der dunkelhaarige Mann an zu lachen. „Ja, Miss Van Halen, ich bin mir da ganz sicher. Ich dachte, meine Frau hätte Ihnen gesagt, dass ich Sie abholen komme.“ Luke hatte ja nach den mannigfachen Erzählungen recht hohe Erwartungen an die ungewöhnliche neue Schulmeisterin von Green Hollow gehabt. Und die wurden jetzt bei Weitem übertroffen. Die Dame war in der Tat sehr gutaussehend und genauso durcheinander, wie man allgemein hörte.

      Die Tatsache, dass sie ihn mit derselben Frage begrüßte, wie Finney vor über einem Jahr seinen jüngsten Bruder, erheiterte ihn wirklich. Als Sullivan sorgte man bei neu zugezogenen Damen anscheinend zwangsläufig für Verwirrung.

      Und wenn man bedachte, dass Finney Charlie gefragt hatte, ob er sich sicher sei Mr. Sullivan zu sein und schließlich ihn geheiratet hatte, dann würde Joshs Wunsch nach einer Ehefrau vielleicht schneller in Erfüllung gehen, als er gedacht hatte.

      „Sie sind der Ehemann von Miss Finney?“, fragte Charlotte jetzt verblüfft und fing vor lauter Erleichterung ebenfalls an zu lachen.

      „Ja, Lukas Sullivan. Ich freue mich, Sie kennenzulernen“, erwiderte Luke immer noch leicht lächelnd und reichte der Lehrerin jetzt die Hand. Die Entdeckung, dass Steffiney nicht mit Bill verheiratet war, sorgte bei Miss Charly für so viel Begeisterung, dass sie die angebotene Hand gleich mit beiden Händen. Was ihrer Mutter einen missbilligenden Blick abnötigte.

      „Es tut mir ja so leid. Sie müssen denken, dass ich völlig verrückt bin. Ich wusste nur nicht, dass es mehrere Mr. Sullivans in Green Hollow gibt. Es war nur, weil…“ Gerade rechtzeitig biss Charlotte sich auf die Lippen, bevor ihr die peinliche Geschichte mit Bill und der kaputten Leiter entschlüpfen konnte.

      „Es gibt noch vier weitere Sullivans. Mein Vater und meine drei Brüder leben etwas außerhalb von Green Hollow auf der Black Creek Ranch“, erklärte Luke, als Miss Van Halen endlich wieder seine Hand losließ. „Wollen wir?“, fragte er dann und bot Charlotte seinen Arm an, die sich mit einem Lächeln einhakte.

      „Gerne. Und vielen Dank, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, mich hier abzuholen. Ich freue mich wirklich über die Einladung“, antwortete Miss Charly fröhlich, auch wenn sich in ihr ein leises Bedauern breitmachte. Ein gewisser blonder Mr. Bill Sullivan würde dann wohl heute Abend nicht mit von der Partie sein.

      Nachdem Luke und Charlotte sich von Mrs. Van Halen verabschiedet hatten, stiegen die beiden auf die Kutsche und machten sich auf den Weg hinaus zur Black Creek Lodge. Mrs. Alberta ließ ihr einziges Kind allerdings nur allein mit diesem fremden Mann ziehen, weil ihr von sämtlichen Nachbarinnen bestätigt worden war, dass die Sullivan-Familie sehr angesehen war und die Männer alle durchweg Gentleman seien.