Anna Staub

Die neue Schulmeisterin


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das Hufgetrappel, das Miss Van Halen gleich darauf den Weg entlang kommen hörte, machte ihrer Unschlüssigkeit ein Ende. Wer auch immer es war, der auf sie zuritt, er würde nicht umhin kommen sie zu bemerken. Charlotte versuchte sich gegen die Peinlichkeit des Zusammentreffens zu wappnen, doch als der Reiter vor Jimmy und ihr anhielt, musste ihr freundliches Lächeln einem halb entsetzten, halb ungläubigen Gesichtsausdruck Platz machen. Auch ihr Gegenüber schien nicht ganz glauben zu können, was er da sah. Oder wohl eher, wen. Und in welcher Situation.

      Die kriegt doch alleine nichts hin…

      Bill Sullivan glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Er war gestern nach Clarksville geritten, um ein paar Rinder für seinen Vater zu verkaufen und jetzt, auf dem Rückweg, ritt er tatsächlich in diese verrückte Lehrerin hinein, die mit ihren Haaren in einem Brombeergestrüpp festhing. Hätte er diese Wendung in einem seiner Bücher gelesen, dann hätte er wohl bemängelt, dass das doch ein allzu unwahrscheinlicher Zufall war.

      „Guten Tag, Mr. Sullivan!“, grüßte ihn die neue Schulmeisterin jetzt mit einem reichlich schiefen Lächeln, anscheinend wenigstens um den Anschein von Würde bemüht. Er erwiderte ihren Gruß lediglich, indem er kurz seinen Cowboy-Hut lüftete, dann stieg er umgehend von seinem Pferd und band es an einen der Apfelbäume, die sich hier mit den Brombeeren um die Vorherrschaft stritten.

      „Hallo Mr. Bill!“, begrüßte ihn jetzt auch Jimmy gutgelaunt und berichtete gleich ungefragt, wie es zu dieser außergewöhnlichen Situation gekommen war. „Miss Van Halen hat mit uns Verstecken jespielt und ich hab ihr das beste Versteck gezeigt“, grinste er und fügte dann etwas leiser hinzu: „Die kriegt doch alleene nichts hin.“

      Ja, das konnte sich der blonde Sullivan nur allzu gut vorstellen. Ohne ein Wort zu verlieren, ging er auf die im wahrsten Sinne des Wortes gefesselte Schulmeisterin zu und begann vorsichtig ihre blonden Haare aus den widerspenstigen Ranken zu lösen. Jimmy indes spurtete los, um den anderen zu sagen, dass Miss Van Halen gleich zurückkommen würde.

      Charlottes Gesicht hatte inzwischen einen so tiefen Rotton angenommen, dass es problemlos mit einer der überreifen Himbeeren konkurrieren konnte. Bill und seine Frau mussten sich ja im Geheimen herrlich über ihre ungeschickte Art amüsieren, ging es ihr durch den Kopf.

      „Sie müssen mich für eine ziemlich seltsame Person halten“, versuchte Miss Charly sich schließlich zerknirscht zu rechtfertigen.

      „Weil Sie sich schon wieder in eine Situation manövriert haben, aus der Sie sich selbst nicht befreien können oder weil Sie mit Ihren Schülern während des Unterrichts Verstecken spielen?“, war die trockene Gegenfrage, während Bill etwas ungestüm an einer der Ranken riss, um wenigstens eine der Haarsträhnen zu befreien. Was zur Folge hatte, dass Miss Van Halen mit einem Schmerzenslaut gegen ihn strauchelte. „Verzeihung“, sagte er entschuldigend und ging von da ab vorsichtiger zu Werke.

      „Nein, nein. Es ist ja meine eigene Schuld. Sie haben völlig Recht. Vielleicht sollte ich nicht mit den Kindern Verstecken spielen. Aber wissen Sie, ich habe mir gedacht, dass wir so viel schneller Freunde werden, wenn wir Spaß miteinander haben. Ich hätte die Kinder heute Morgen mit Rechenaufgaben und Rechtschreibübungen quälen können, aber ihren Wissensstand kann ich auch morgen noch prüfen. Die Gelegenheit für einen guten ersten Eindruck, die hat man nur einmal. Ich möchte, dass sich die Kinder bei mir wohlfühlen, dann lernen sie umso besser. So ging es mir immer. Ich hatte bei Lehrern, die ich nicht leiden mochte, immer furchtbar schlechte Noten. Und da habe ich mir gedacht, dass ich den ersten Tag dazu nutze, um die Freundschaft der Kinder zu gewinnen.“ Charlotte hielt mit ihrem Wortschwall plötzlich inne und versuchte über die Schulter zu Bill zu spähen, der hinter ihr stand und vollauf mit den Brombeerranken beschäftigt war. „Halten Sie das für sehr verrückt?“

      „Nein, ich finde, es hört sich eigentlich vernünftig an.“ Der schweigsame Sullivan konnte selbst nicht richtig glauben, dass er das zu einer erwachsenen Frau sagte, die beim Verstecken spielen mit ihren Haaren im Brombeergestrüpp hängengeblieben war.

      „Wirklich?“, fragte Charlotte erfreut und hätte sich im gleichen Augenblick dafür ohrfeigen können, dass ihr die Meinung eines verheirateten Mannes so wichtig war. Vor allem eines verheirateten Mannes, den sie vorher gerade einmal in ihrem ganzen Leben gesehen hatte. Und es war ja nicht so, dass sie bei diesem ersten Treffen so viel miteinander geredet und übereinander erfahren hatten. „Naja, es freut mich jedenfalls, dass Sie so denken. Es ist immer gut, nicht alleine mit seiner Meinung dazustehen. Natürlich sollte man sich auch nicht von seiner Meinung abbringen lassen, nur weil andere sie nicht teilen. Also wenn man selbst von der Richtigkeit einer Annahme überzeugt ist.“

      Die Lehrerin verlor sich schon wieder in ihren ausschweifenden Überlegungen, doch Bill war eigentlich ganz froh über ihren Redefluss. Er bewahrte ihn davor, sich fragen zu müssen, warum er es nicht als unangenehm empfand, die Haare einer fremden Frau aus einem Gestrüpp befreien zu müssen. Und wieso er sich dabei so viel Zeit ließ.

      Doch schließlich hatte er alle Ranken aus den blonden Locken gezogen und Miss Van Halen war wieder in der Lage ihren Kopf zu bewegen.

      „Ich muss mich schon wieder bei Ihnen bedanken.“ Vorsichtig griff Charlotte nach ihrer zerstörten Frisur, die nun einen verfilzten Wust an ihrem Hinterkopf bildete. „Oh je…“, murmelte sie. „Sehe ich sehr schlimm aus?“

      Bill musste feststellen, dass sie in seinen Augen überhaupt nicht schlimm aussah und das gefiel ihm nicht im Geringsten. Er fragte sich ernsthaft, seit wann es ihn interessierte, wie fremde Frauen aussahen.

      „Mein Vater sagt immer: Einen schönen Menschen entstellt nichts“, versuchte er sich schließlich reichlich ungeschickt aus der Affäre zu ziehen, was allerdings Miss Charlotte zu einem breiten Lächeln veranlasste. „Finden Sie mich denn schön?“, platzte sie heraus, nur um sich bei Bills entsetztem Blick die Hände vor den Mund zu schlagen. „Entschuldigen Sie! Das war… war wirklich dumm von mir! Jetzt können sie natürlich nichts anderes als ja sagen, wenn sie nicht unhöflich sein wollen. Ich rede einfach zu viel. Es tut mir wirklich leid. Vergessen Sie mich einfach“, stammelte Charly. „Ich meine… vergessen Sie, was ich gesagt habe. Ich… muss nach den Kindern sehen. Vielen Dank noch einmal für Ihre Hilfe.“ Und mit hochrotem Kopf machte Charlotte auf dem Absatz kehrt, um sich wieder ihren Schülern zu widmen.

      Bill Sullivan starrte ihr noch eine Weile nach und fragte sich, was eigentlich der Unterschied zwischen jeder anderen Frau in Green Hollow und dieser seltsamen Person war. Er hätte Miss Van Halens Rat sie doch einfach zu vergessen gerne befolgt, aber irgendwie schwante ihm, dass das so nicht funktionieren würde. Jede andere Frau konnte er vergessen, sobald sie aus seinem Blickfeld verschwand, aber dieser Unglücksrabe stolperte mit schöner Regelmäßigkeit immer wieder in seine Gedanken. Ungeachtet der Tatsache, dass er sie nicht kannte und diese seltsame Begegnung mitgerechnet erst zwei Mal in seinem ganzen Leben gesehen hatte. Normalerweise war in seinem Kopf nur Platz für eine Frau. Und zwar seine eigene. Josephine.

      Mit einem leisen Fluch schwang er sich wieder auf sein Pferd und setzte seinen Heimweg fort.

      Charlotte hatte ihre Schüler inzwischen mit hochrotem Kopf erst einmal zum Mittagessen nach Hause geschickt und sich dann auch auf den Weg gemacht. Mit ihrem momentanen Kopfputz konnte sie ja wohl kaum unterrichten.

      Glücklicherweise war ihre Mutter nicht zu Hause, als sie durch die Tür stürzte, und so blieben ihr neugierige Fragen vorerst erspart. Sie hätte wahrscheinlich gar nicht vernünftig darauf antworten können, so durcheinander, wie sie momentan war.

      Was war nur mit ihr los? Es hatte schon einige Männer gegeben, die sich für sie interessiert hatten, aber keiner von ihnen, hatte sie länger beschäftigt, als ihre kurzen Besuche andauerten. Und ehrlich gesagt war ihr deren Nähe auch immer ein wenig unangenehm gewesen, wenn die besagten Herren an sie heranrückten, oder versuchten ihre Hand zu halten. Oder, Gott bewahre, die wenigen Dreisten, die tatsächlich versucht hatten, sich einen Kuss zu stehlen. Nein, sie alle hatten eine gewisse Abwehr in ihr hervorgerufen.