Anna Staub

Die neue Schulmeisterin


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konnte das nur liegen?

      Miss Charly war sich nicht ganz sicher. Woran sie allerdings nicht zweifelte, war die Tatsache, dass solche Gefühle einem verheirateten Mann gegenüber völlig unangebracht waren. Noch dazu, wo er so ganz offensichtlich kein Interesse an ihr hatte und ihr nur aus Höflichkeit half. Nicht, dass es die Sache besser gemacht hätte, wenn ein verheirateter Mann sich für sie interessieren würde. Nein, das wäre ja noch schlimmer, stellte Charlotte schließlich verwirrt und mit einem leicht schlechten Gewissen fest. Aber an Bill Sullivans Desinteresse war ja auch nicht zu zweifeln. Es kamen mit Mühe und Not drei Sätze zusammen, die er während dieser ganzen peinlichen Situation an sie gerichtet hatte.

      Mit fahrigen Bewegungen versuchte die junge Frau die verfilzten Knäule aus ihren Haaren zu bürsten, war aber nicht ganz erfolgreich. Erst als sie eine Schere zu Hilfe nahm und die schlimmsten Flusen herausschnitt, wurde es besser.

      Am Nachmittag beschränkte sich die neue Schulmeisterin auf gesittete und althergebrachte Beschäftigungen im Unterricht wie Rechtschreibkontrollen und Rechenaufgaben. Zu ihrer Erleichterung verhielten ihre Schüler sich auch still und kamen all ihren Aufgaben ohne Probleme nach.

      In einem seltenen Anfall von schlechter Laune sagte Miss Van Halen sich, dass die Kinder wahrscheinlich Mitleid mit ihr und ihrer Unfähigkeit hatten und deswegen keinen Ärger machten.

      Was allerdings nicht der Fall war. Wie ihr der kleine Frank Brunsberger nach seinem ersten Schultag vor Augen führte.

      Ihre Schüler hatten kaum das Klassenzimmer verlassen, als Charlotte ihren Kopf auf dem Lehrerpult ablegte. Es war einer der sehr seltenen Momente in ihrem Leben, wo ihr alles zu viel wurde. Für einen Augenblick kämpfte sie mit den Tränen, als ihr der Gedanke kam, dass sie der trampeligste Mensch auf der ganzen Welt sein musste. Doch unvermutet riss die Stimme des kleinen Frank Brunsberger sie aus ihren Gedanken und zwang sie aufzusehen.

      „Miss, ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich heute Nacht bestimmt nicht wieder ko… mir übergebe. Das hab ich nur gemacht, weil ich Angst vor Sie hatte, aber morgen komm ich gerne zu Sie in den Unterricht!“

      Mehr brauchte es nicht, um Charly wieder zum Lachen zu bringen und sie ersparte es sich für diesmal, den kleinen Kerl zu verbessern. Wenigstens die Kinder schienen sich von ihrer tollpatschigen Art nicht abgestoßen zu fühlen. Und deswegen war sie ja nach Green Hollow gekommen. Um zu unterrichten, nicht um bei Männern einen guten Eindruck zu machen.

      Auch die nächsten Tage in der Schule verliefen ähnlich gut und der Plan der Lehrerin die Kinder zu ihren Freunden zu machen, schien aufzugehen. Die ersten Tage waren jedoch nur eine Art Schonfrist gewesen, denn noch am Freitag machte Davy Slane seinem Ruf alle Ehre.

      Er hatte sich eine ein paar Spinnen gefangen, in eine kleine Holzschachtel gesperrt und diese auf dem Pult der Frau Lehrerin platziert. Als Miss Van Halen am Freitagmorgen gutgelaunt das Klassenzimmer betrat und ihre Bücher auf dem Pult ablegte, zog Davy an einer Schnur, die mit der Klappe des Kästchens verbunden war, und ermöglichte so seinen Spinnen den Weg ins Freie. Den die armen Tiere natürlich auch eiligst suchten. Und zwar quer über das Pult der Lehrerin und dann in einer wilden Jagd durchs Klassenzimmer. Der blonde Tunichtgut hatte einige wirklich repräsentative Exemplare eingefangen, die jetzt für eine Kreischtirade der Mädchen sorgten, die sich teils heulend, teils schimpfend auf ihre Pulte retteten. Die Jungen dagegen machten sich begeistert daran, die Tiere mit ihren Schiefertafeln zu erlegen.

      Auch Charlotte war im ersten Moment erschreckt zurückgewichen, doch eigentlich hegte sie keine Abscheu gegen Spinnen oder sonstige Insekten. Nach dem ersten Schreckmoment hatte sie auch sofort den Übeltäter ausgemacht. Davy Slane saß als Einziger seelenruhig auf seinem Platz und beobachtete das Spektakel mit einem breiten Grinsen.

      Miss Charly griff zu einer erfolgreichen Methode, die ihr erster Schullehrer immer benutzt hatte, um Ruhe in die Klasse zu bringen. Sie zog einfach ihre Fingernägel über die Tafel und das kratzende Geräusch bescherte nicht nur ihr eine Gänsehaut, sondern sorgte auch dafür, dass ihre Schüler augenblicklich in ihren derzeitigen Tätigkeiten innehielten.

      Charlotte ließ die Spinnen Spinnen sein und beschränkte sich auf eine wortreiche Strafpredigt, dass man Tiere, egal welche, nicht für solche Arten von Streichen zu missbrauchen hatte und sie schon gar nicht in dunkle Kisten sperren sollte. Sie würden sich ebenso fürchten wie die Menschen. Und nachdem die Lehrerin einmal in Fahrt gekommen war, dauerte ihre Strafpredigt den halben Vormittag. Am Ende waren sogar die hysterischen Mädchen wieder freiwillig von ihren Pulten geklettert und hatten ganz gesittet auf ihren Stühlen Platz genommen. Die überlebenden Spinnen waren inzwischen nach draußen geflüchtet und der Unterricht nahm seinen gewöhnlichen Gang.

      Erst als am Nachmittag alle gegangen waren, zitierte Miss Charly den Missetäter zu sich. Nach ihrer endlosen Predigt war sogar Davy Slane versucht nie wieder einen Streich innerhalb der Schulmauern zu spielen, nur um diesem endlosen Wortschwall zu entgehen.

      Miss Van Halen hatte im Geiste den ganzen Vormittag nach einer passenden Strafe für den Übeltäter gesucht, denn ein einfaches Nachsitzen erschien ihr nicht angemessen. Doch beim Mittagessen, als ihre Mutter meinte, der Wandschrank im Flur bräuchte neue Regalbretter, war ihr eine grandiose Idee gekommen.

      „Ich habe mir etwas überlegt, Davy. In der Bibel heißt es Auge um Auge und Zahn um Zahn. Du hast die armen Spinnen in eine enge kleine Schachtel gesperrt und deswegen möchte ich, dass du ein Gefühl dafür bekommst, wie es ist, eingesperrt zu sein. Ab mit dir in den Schrank.“

      Der blonde Junge schaute seine Lehrerin verblüfft an und erst, nachdem sie zwei Mal wiederholt hatte, dass sie es ernst meinte, leistete er Folge. Eigentlich hatte er damit gerechnet irgendetwas abschreiben zu müssen oder im schlimmsten Fall ein paar Schläge zu bekommen, aber das war etwas ganz Neues.

      Und Miss Van Halen scherzte nicht. Sie ließ Davy wirklich in den Schrank steigen und sperrte die Türen ab. Sie war sich zwar nicht ganz sicher, ob ihre Erziehungsmaßnahme überhaupt einen Sinn hatte, da Davy ja wusste, dass ihm in dem Schrank nichts passieren konnte, aber sie erlaubte sich, ihm nach zehn Minuten einen kleinen Denkzettel zu verpassen. Sie nahm ihre Bücher, schloss die Läden der Fenster und ebenso die Tür, die hinaus führte. Der kleine Witzbold musste denken, dass er nun allein im Klassenzimmer sei.

      Dass ihr Plan Erfolg hatte, zeigte sich gleich darauf. Ein klägliches „Miss? Miss Van Halen? Ich will hier raus! Sind Sie gegangen?“ erklang. Charlotte ließ ihren Schüler daraufhin augenblicklich aus dem Schrank, der in der Tat etwas verwundert schien, dass sie ihn doch nicht allein gelassen hatte.

      „Na Davy, wie hat es sich angefühlt, nicht zu wissen, was als Nächstes passiert und ob du wieder aus dem Schrank herauskommst?“, fragte sie strenger, als ihr eigentlich zu Mute war, während der verängstigte Junge aus dem Schrank krabbelte.

      „Nicht gut. Ich hatte Angst“, murmelte er peinlich berührt und senkte den Kopf.

      „Siehst du, und genauso ging es den Spinnen heute Morgen. Vielleicht denkst du das nächste Mal daran, wie du dich bei so etwas fühlen würdest.“

      Davy nickte schuldbewusst und packte seine Bücher zusammen, doch irgendwie hatte Charlotte nicht das Gefühl, dass das der letzte Ärger war, den Davy Slane gemacht hatte.

      Ein Gutes hatte dieser Schultag allerdings gehabt. Sie hatte sich nicht einmal fragen können, was Bill Sullivan nach diesen peinlichen Zwischenfällen in der letzten Woche von ihr halten musste.

      Sind Sie sich da ganz sicher?

      Davy Slane war so unvorsichtig gewesen, seinen Eltern zu erzählen, was die neue Frau Schulmeisterin mit ihm angestellt hatte. Der kleine Tunichtgut hoffte, dass seine Eltern empört waren und sein Vater Miss Van Halen die Leviten lesen würde. Leider war das ganze Gegenteil der Fall. Seine Mutter glaubte nun eine geeignete Methode der Bestrafung für ihn gefunden zu haben und sein Vater hatte lediglich gelacht. Zu seiner Zeit hätte man ihm für solch einen Streich den Hintern so versohlt, dass er eine Woche nicht hätte sitzen können. Und das sollte er eigentlich