Anna Staub

Die neue Schulmeisterin


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zu werden.

      „Tut mir leid“, sagte Josh schließlich und klopfte Bill auf die Schulter, bevor er sich abwandte, um wieder hineinzugehen. Doch an der Tür hielt ihn überraschend die Stimme seines Bruders zurück.

      „Sie hing an der Dachkante ihres neuen Hauses und ich habe ihr herunter geholfen.“

      Der zweitälteste Sullivan-Bruder hielt mitten in der Bewegung inne und drehte sich dann langsam um. „Du nimmst mich auf den Arm, oder?“, fragte er mit einer gehörigen Portion Misstrauen in der Stimme, doch Bill schüttelte den Kopf.

      Mit einem lauten Lachen ließ sich Josh in einen Schaukelstuhl fallen und streckte seine langen Beine von sich. „Jetzt will ich die ganze Geschichte hören“, verlangte er grinsend und nun ließ sich Bill auch nicht länger bitten.

      Doch am Ende seiner Erzählung nahm er seinem Bruder das Versprechen ab, niemandem gegenüber ein Wort zu verlieren. Miss Van Halen würde dieser kleine Zwischenfall sicherlich peinlich sein und eigentlich hätte er auch nicht darüber reden sollen.

      Josh schien etwas überrascht, dass sein kleiner Bruder solche Rücksicht auf die Gefühle einer fremden Frau nahm, aber er versprach zu niemandem, auch nicht zu seinen Brüdern oder ihrem Vater, etwas zu sagen. Gleich darauf erschien Charles Sullivan auf der Terrasse und mit den Worten „Also ich habe zwar keine Ahnung, wie diese Frau Ordnung in ein Klassenzimmer bringen will, aber ich wäre verdammt gerne dabei.“ verabschiedete Josh sich immer noch lachend und ließ Bill und seinen Vater allein.

      Der stellte sich neben seinen Sohn und gemeinsam schwiegen sie eine Weile, bis Charles schließlich das Wort ergriff. „Du findest sie also sehr hübsch“, stellte er fest und erntete dafür einen ärgerlichen Blick von seinem stillen Sohn.

      „Ich kenne sie überhaupt nicht“, knurrte Bill und provozierte damit ein Lachen von seinem Vater.

      „Man muss eine Frau auch nicht kennen, um sagen zu können, ob man sie hübsch findet oder nicht“, antwortete das Familienoberhaupt der Sullivans, doch sein Sohn schien nicht darauf eingehen zu wollen und schwieg beharrlich. Wenn Charles Sullivan es allerdings für angebracht hielt, konnte er sehr bestimmt sein. Meist gab er dann keine Ruhe, bevor er seinen Söhnen seinen Standpunkt nicht klargemacht hatte.

      „Hast du ein schlechtes Gewissen, weil dir überhaupt aufgefallen ist, wie hübsch die junge Dame ist? Beziehungsweise weil es dir nicht gleichgültig war, dass sie so gut aussieht?“, hakte er schließlich nach und Bill senkte den Kopf.

      „Ja“, bekannte er leise.

      „Du weißt, dass das vollkommener Unsinn ist? Du verrätst Josephines Andenken nicht, nur weil du eine andere Frau hübsch findest.“ Sein Vater klang mit einem Mal sehr streng. Als hätte er wieder einen kleinen Jungen und keinen erwachsenen Mann vor sich.

      „Ich bin mir nicht sicher.“ Bills Worte kamen nur leise und zögernd.

      Charles Sullivan schüttelte den Kopf, ließ es aber für diesen Abend dabei bewenden, denn er wollte Bill nicht überfordern. Er versuchte seit vier Jahren seinem Sohn die übertriebene Treue zu seiner toten Frau auszureden, doch leider völlig ohne Erfolg. Aber bis jetzt hatte es auch noch nie eine Frau gegeben, die seit Josephines Tod in irgendeiner Weise Bills Aufmerksamkeit erregt hatte. Der Junge war wahrscheinlich schon durcheinander genug.

      Wenn Sie doch keine Verwendung mehr dafür haben…

      Wenige Tage nach Charlys Ankunft hielt auch Mrs. Van Halen Einzug in Green Hollow. Mit einer angemieteten Reisekutsche und einem weiteren offenen Wagen, der den Hausrat der beiden Damen transportierte.

      Charlotte erwartete ihre Mutter vor dem Green Hotel und fiel der kleinen, korpulenten Dame mit dem ausladenden Busen um den Hals, sobald sie sich aus der Mietkutsche bemühte.

      „Mama! Wie geht es dir? Hast du die Reise gut überstanden? Du wirst so begeistert sein von unserem neuen Haus! Es hat sogar einen kleinen Garten für dich. Es ist natürlich noch ein bisschen zu tun, bevor wir uns richtig eingerichtet haben, aber es wird dir nur gefallen können.“ Doch Mrs. Van Halen stoppte den Redefluss ihres einzigen Kindes mit der üblichen Autorität.

      „Mädchen! Lass mich doch erst einmal ankommen. Du ahnst ja nicht, wie erschöpft ich bin. Den ganzen Weg über war mir schlecht. Dieses Geschaukel der Kutsche war überhaupt nicht gut für meinen empfindlichen Magen. Dann das Essen in den Wechselstationen! Das hat alles nur noch schlimmer gemacht. Und das ewige Sitzen. Mein ganzer Rücken ist hinüber. Ich hoffe nur, dass es hier einen vernünftigen Arzt gibt! Und zu allem Übel musste ich mir dieses viel zu kleine, dreckige Zimmer zum Übernachten auch noch mit so einer unanständigen Person teilen! Sie hat sich die Lippen rot angemalt und einen wirklich mehr als offenherzigen Ausschnitt zur Schau getragen! Aber jetzt lass uns erst einmal etwas essen. Das hier ist das Hotel, nehme ich an?“ Mit einem zufriedenen Ausdruck ließ sie ihren Blick an der Fassade des Green Hotels hinauf wandern. „Ich hoffe, sie haben bei diesem Wetter Eis vorrätig. Ein Eisbecher wäre jetzt genau das Richtige für meine strapazierten Nerven!“

      Charlotte lächelte und ersparte es sich, ihre Mutter darauf hinzuweisen, dass sie eben noch über einen verdorbenen Magen geklagt hatte und ein Eisbecher ihrer Gesundheit sicher nicht zuträglich wäre. Seitdem ihr Vater nicht mehr lebte, war das Krank sein die Lebensbeschäftigung ihrer kerngesunden Mutter. Jedes Zipperlein war ein Trost und gleichzeitig Abwechslung in ihrem eintönigen Alltag. Also ließ Miss Charly ihr die Freude, über ihre eingebildeten Leiden zu jammern, wann immer sie wollte.

      Nachdem Mrs. Van Halen in ihrer bestimmenden Art einen Tisch im Speisesaal des Green Hotels ausgesucht hatte, musste Miss Charly ihr Rede und Antwort stehen, was sie die letzten Tage getrieben hatte. Glücklicherweise waren die Verbände, mit denen Doc Dave ihre lädierten Hände umwickelt hatte, wieder verschwunden. Mrs. Van Halen mochte ein eigentümlicher Charakter sein, aber ihre Tochter war ihr Ein und Alles. Jede kleine Tollpatschigkeit von Charlotte zog unweigerlich Angstattacken bei der Dame nach sich. Und aus genau diesem Grund ersparte Miss Charly ihr auch die Geschichte von Blacky und der morschen Leiter. Sie beschränkte sich darauf, von der Verwechslung mit ihrem Namen zu berichten, denn ihre Mutter hätte ihr nie geglaubt, dass die ersten Tage in Green Hollow ohne jegliche Zwischenfälle verlaufen waren.

      Mrs. Van Halen quartierte sich einstweilen im Green Hotel ein, bis das kleine Häuschen neben dem Friedhof bezugsfertig und eingerichtet war. Nachdem Charly ihrer Mutter das Haus gezeigt hatte, beschlich diese allerdings erst einmal ein mulmiges Gefühl. Ihre Bleibe wäre ja ganz hübsch und auch passend für sie beide, aber neben dem Friedhof? Ein bisschen unheimlich war das schon. Und auch etwas weit ab vom Geschehen, wie Mrs. Van Halen feststellte. Was, wenn sie einen Anfall bekam und der Arzt nicht schnell genug bei ihr war?

      Doch Charlotte schaffte es, mit ihrer guten Laune und Zuversicht alle Zweifel ihrer Mutter zu zerstreuen. Die Ruhe neben dem Friedhof sei doch nur gut für ihre strapazierten Nerven und der Weg zu Doktor McAbberty wäre gar nicht weit. Eine Bemerkung, die Mrs. Van Halen stutzig machte und sofort nachfragen ließ, woher ihre Tochter das denn so genau wüsste. Die junge Frau ärgerte insgeheim ihr Mundwerk, das nie stillstand. Aber zu guter Letzt konnte sie ihre Mutter überzeugen, dass sie es nur so genau wusste, da sie die Strecke schon abgegangen wäre. Natürlich nur, damit sie für den Notfall Bescheid wüsste.

      Alberta Van Halen gab sich einstweilen mit dieser Erklärung zufrieden und am nächsten Tag machten sich die angemieteten Arbeiter daran, die wenigen Möbel und den Hausrat abzuladen und in das neue Heim der Damen Van Halen zu verfrachten. Charlotte packte mit an, wo sie konnte und schien überall gleichzeitig zu sein, während ihre Mutter sich damit zufriedengab, den Männern und ihrer Tochter anzuweisen, wo was hingehörte.

      Bereits am Nachmittag waren die Möbel aufgestellt und Mrs. Van Halen machte sich auf der Rückseite des Hauses gerade daran, den Hof und das Gärtchen zu inspizieren. Charlotte gönnte sich währenddessen auf der Terrasse zwischen Kisten und Kästchen mit allem möglichen Kleinigkeiten eine kurze Pause.

      Sie hatte sich in einem altersschwachen