Anna Staub

Die neue Schulmeisterin


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offensichtlich war dem Kätzchen ja nichts passiert. Und Elizabeths Tränenstrom hatte eher darauf schließen lassen, dass Davy Slane das arme Tier vor ihren Augen gekreuzigt hatte.

      „Das war natürlich überhaupt nicht nett von deinem Bruder. Ich denke, ich werde ein ernstes Wort mit ihm reden müssen. Aber ich glaube, du kannst ganz beruhigt sein. Blacky geht es doch gut und ich bin mir sicher, dass deine Katze bald von selbst herunterkommt. Katzen sind nämlich sehr gute Kletterer, weißt du? Und selbst wenn sie fallen, dann fallen sie immer auf die Füße. Sie drehen sich, während…“ Miss Charly hielt abrupt inne, denn sie merkte, dass sie schon wieder zu viel redete. Zu viel für die momentane Aufnahmefähigkeit des kleinen Mädchens. Denn die schien nicht im Mindesten beruhigt von ihrer Versicherung und ihre Unterlippe fing schon wieder verdächtig an zu zittern. „Aber Blacky ist noch so klein und weiß das alles nicht, Miss!“

      „Nein, nein, nein! Nicht weinen, bitte nicht weinen, Elizabeth!“, bat Miss Van Halen jetzt inständig und tätschelte der Kleinen beruhigend die Schultern, während sie sich suchend umsah. Vielleicht konnte sie das Tierchen irgendwie vom Dach herunter locken. Auch wenn Blacky sich da oben in der Sonne anscheinend ganz wohl fühlte.

      Eine Leiter! Das war es doch! Erleichtert sprang Charlotte auf und zerrte eine halb von Gras überwachsene Leiter in die Höhe. „Siehst du, Elizabeth, damit haben wir Blacky im Handumdrehen vom Dach geholt.“

      Ihre Besucherin sah zwar etwas skeptisch aus, aber wenigstens fing sie nicht wieder an, Tränen zu vergießen. Das war schon mal eine Verbesserung.

      Irgendwie schaffte es Miss Charly tatsächlich, die Leiter aufzurichten und gegen das Dach zu lehnen. Natürlich nicht ohne sich einen Splitter einzureißen, aber das war momentan das geringste Übel.

      Mit einem letzten Lächeln in Richtung Elizabeth stieg die junge Frau auf die Leiter. Was sich dank ihrer Röcke als gar nicht so einfach erweisen sollte, aber schließlich hatte sie es geschafft. Miss Charlotte streckte die Hand nach der kleinen Katze aus, aber Blacky bedachte sie lediglich mit einem Fauchen.

      „Miez, Miez, Miez!“, versuchte Miss Van Halen es jetzt mit einschmeichelnder Stimme und schaute entschuldigend zu dem kleinen Mädchen hinunter. Was gar keine gute Idee war. Entsetzt drehte die Lehrerin den Kopf wieder nach oben. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass der feste Boden so weit von ihr entfernt sein würde. Wenn sie doch nur fünf Minuten nachgedacht hätte! Das Haus hatte schließlich zwei Stockwerke!

      Miss Charly musste mehrmals tief durchatmen, bevor sie sich dazu entschließen konnte, noch eine Sprosse hinaufzusteigen, um nach der Katze zu angeln.

      Je schneller sie das hinter sich brachte, umso besser. Und tatsächlich kam Blacky jetzt zögerlich auf sie zu. Nur um gleich darauf gar nicht zögerlich von allein und ohne Hilfe an ihrer Retterin vorbei auf den Boden zu klettern.

      „Blacky!“, klang es jauchzend vom Hof herauf, doch diesmal ersparte Charlotte sich den Blick nach unten. Jetzt musste sie selbst nur wieder heil auf den Boden zurückkommen!

      Im gleichen Moment, als die junge Frau vorsichtig einen Fuß auf die untere Sprosse schieben wollte, gab es plötzlich ein lautes Knacken. Mit einem erschreckten Aufschrei musste Miss Charly feststellen, dass die Sprosse plötzlich wegsackte. Panisch griff sie nach dem erstbesten Halt, der ihr unter die Finger kam, was zu ihrem Glück die Dachkante und nicht die Leiter war. Denn die neigte sich unter Miss Van Halens plötzlichen Bewegungen nun zur Seite und kippte um. Mit dem Ergebnis, dass Green Hollows Schulmeisterin sich an die Dachkante ihres neuen Hauses klammerte.

      Ich stelle andauernd solche Sachen an…

      „Elizabeth?“, rief Charlotte unsicher, wagte es jedoch nicht nach unten zu schauen.

      „Miss! Miss!“, antwortete das kleine Mädchen sofort aufgeregt und die Schulmeisterin atmete erleichtert auf. Gott sei Dank, das Mädchen war noch da. „Elizabeth, kannst du die Leiter wieder aufrichten? Wenn du sie mir unter die Füße schiebst, müsste ich…“ Sogar jetzt, während sie hier an dieser Dachkante hing, redete sie zu viel. Ärgerlich biss Miss Charly sich auf die Lippen und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Was in dieser Situation nicht ganz einfach war.

      „Miss, die Leiter ist kaputt“, antwortete das kleine Mädchen und ihrer Stimme nach zu urteilen, schien sie schon wieder kurz vor einem Weinkrampf zu stehen. Wenn sie vor lauter Angst bloß nicht einfach weglief, fuhr es Charlotte durch den Kopf. Die junge Frau biss fest die Zähne zusammen, denn die scharfe Kante des Daches begann, schmerzhaft in ihre Handflächen zu scheiden.

      „Hör mir jetzt gut zu. Du musst auf die Straße laufen und jemanden bitten hierher zu kommen. Am besten einen Mann, Elizabeth. Kannst du das machen?“, fragte Miss Van Halen. Die Augen hielt sie allerdings weiterhin fest auf die Dachkante gerichtet, um sich nicht noch einmal damit zu konfrontieren, wie weit der sichere Boden von ihren Füßen entfernt war. Elizabeths Nicken entging ihr dadurch und sie hörte lediglich die davonlaufenden Schritte. Jetzt blieb ihr nichts anderes mehr übrig als zu beten, dass das Mädchen auch das tat, was sie ihr aufgetragen hatte.

      Bill Sullivan hatte dem Grab seiner Mutter und seiner Frau den wöchentlichen Besuch abgestattet und war gerade wieder auf dem Weg zurück zu Plockton's, wo er sein Pferd untergestellt hatte. Allerdings kam er nicht weiter als bis zur Friedhofspforte, als ihm plötzlich die kleine Lizzie Slane in den Weg stolperte. Das Mädchen war mal wieder in Tränen aufgelöst, drückte eine kleine, schwarze Katze an sich und wäre um ein Haar hingefallen, als sie über seine Füße stolperte.

      Bill war kein Mann von vielen Worten, aber er fing die Kleine gerade noch rechtzeitig auf, bevor sie im Straßenstaub landen konnte. Elizabeth schaute etwas panisch um sich, und als sie Bill erkannte, lächelte sie plötzlich so breit, als hätte er ihr ein Bonbon angeboten.

      „Sie müssen mitkommen, Mr. Bill, bitte! Sie müssen! Sonst fällt sie vom Dach und bricht sich alle Knochen!“ Mit dieser Ankündigung packte Miss Slane sehr bestimmt seine Hand und begann ihn hinter sich herzuzerren.

      Der Sullivan-Bruder ließ sich mit einem angedeuteten Lächeln auch wegzerren und fragte sich, was Davy wieder angestellt hatte, um seine kleine Schwester zu ärgern. Der kleine Slane war in ganz Green Hollow und Umgebung für seine dummen Streiche bekannt und Bill erwartete so etwas in der Art, dass er eine von Lizzies Puppen auf ein Dach befördert hatte oder Ähnliches.

      Als das kleine Mädchen ihn schließlich in den Hinterhof des alten Mornington-Hauses zog, war es allerdings keine Puppe, die an der Dachkante hing, sondern eine junge Frau mit blonden Haaren.

      Die erste Frage, die ihm durch den Kopf schoss, war: Was zum Teufel hatte sie da oben gewollt und wie war sie da überhaupt hochgekommen?

      „Die Leiter ist kaputt gegangen“, flüsterte Lizzie neben ihm und trat jetzt einen Schritt zurück. Gleich darauf klang von oben ein verzweifeltes „Elizabeth? Hast du jemanden gefunden? Ich glaube nicht, dass ich mich noch lange festhalten kann.“ herunter.

      Diese Feststellung nötigte dem sonst so schweigsamen Bill Sullivan einen Kommentar ab. „Dann hätten Sie gar nicht erst auf dem Dach herumturnen sollen“, meinte er trocken und bezog unter der jungen Frau Stellung, nachdem er sich mit einem Blick überzeugt hatte, dass die Leiter tatsächlich kaputt war. Mehrere Sprossen waren durchgebrochen und auch der Rest war offensichtlich so morsch, dass er die blonde Dame dort oben wohl keine zwei Augenblicke getragen hätte.

      Auf diese Worte hin schaute Charlotte nun doch nach unten, bereute es aber gleich wieder. Der blonde Mann, der die Situation mit einem Blick abschätzte und sich direkt unter ihr aufbaute, war ihrer Meinung nach viel zu weit weg.

      „Ich habe hier nicht herumgeturnt!“, antwortete Miss Charly halb entrüstet, halb weinerlich. Ihr „Ich bin geklettert…“ klang allerdings schon etwas kleinlaut.

      Bill hatte indes festgestellt, dass die Rettungsaktion kein Problem sein würde. Er war zwar etwas kleiner als seine älteren Brüder, aber da die Dame über ihm nicht so kurz geraten war wie seine Schwägerin, war