Anna Staub

Die neue Schulmeisterin


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doch der Bürgermeister und der Rest dieser seltsamen Gruppe lachten plötzlich erleichtert auf.

      „Malbeth, was haben Sie denn da wieder angestellt? Sie müssen den armen Mr. Van Halen ja völlig missverstanden haben. Es ist MISS und nicht MISTRESS Van Halen. Seine Schwester wird ihm den Haushalt führen. Können Sie denn nicht lesen?“ Mrs. Trudi machte ihren Ansichten mit der üblichen Eloquenz Luft, während Charlotte verzweifelt von einem zum anderen schaute.

      Was ging hier eigentlich vor und von welchem Mr. Van Halen redeten diese Leute? Miss Charlotte konnte sich keinen Reim auf diese verworrenen Reden machen. Sie hatte Mr. Malbeth doch ganz deutlich geschrieben, dass sie mit Mrs. Van Halen hierher kommen würde. Damit war doch klar, dass diese Dame nur ihre Mutter sein konnte, wenn sie…

      Plötzlich zeichnete sich auf dem hübschen Gesicht der jungen Frau ein Entsetzen ab, das nun auch die gutgelaunte Gruppe vor ihr in ihrem Gelächter innehalten ließ.

      „Das tut mir so furchtbar leid…“, flüsterte Miss Van Halen. „Das ist alles meine Schuld! Mein Vater hat mich immer Charly genannt. Von Charlotte. Ich werde von meiner Familie nur so angesprochen und bin es auch gewohnt, Briefe so zu unterzeichnen.“

      Es dauerte einige Augenblicke bis Bürgermeister Malbeth und seinen Begleitern die ganze Tragweite dieser Eröffnung bewusst wurde und ihnen aufging, dass Charly Van Halen nicht Charles, sondern Charlotte war.

      Wieder war es Harriet, die schließlich das Wort ergriff. Sie war auch die Einzige, die immer noch breit lächelte. „Dann sind Sie also unsere neue Schulmeisterin. Miss Finney hat also doch Recht gehabt mit ihren Vorurteilen.“

      Charlotte hatte bis eben noch flehentlich von einem zum anderen geschaut, doch jetzt zog das kleine, blonde Mädchen ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich. „Was für Vorurteile?“, fragte sie verwirrt.

      „Miss Finney hat gesagt, dass ich keine Vorurteile gegenüber unserem neuen Lehrer haben sollte. Die Leute sind am Ende meist ganz anders, als man denkt. Naja, und Sie sind nun wirklich ganz anders, als wir alle gedacht haben.“ Charlottes zukünftige Schülerin schien sich herrlich über die Situation zu amüsieren. Allerdings war sie da auch die Einzige. Doch noch bevor Miss Van Halen etwas sagen konnte, hatte der Blondschopf sich verabschiedet und lief davon.

      Zurück blieben der Bürgermeister, der Pfarrer und Mrs. McAbberty, die jetzt kurzerhand die Situation in die Hände nahm, da man von den Männern anscheinend nichts erwarten konnte. Sie stellte sich der jungen Dame vor und reichte ihr die Hand, um dann den Kopf zu schütteln. „Da haben Sie ja was Hübsches angestellt, Herzchen. Was sollen wir denn jetzt mit Ihnen anfangen?“

      Charlotte knetete indes unruhig ihre Hände. „Es tut mir wirklich, wirklich leid, aber Sie müssen mir glauben, dass ich Sie nicht mit Absicht getäuscht habe. Mir passieren öfters solche Dinge. Ich bin einfach… einfach zu tollpatschig. Aber ich habe meine Zeugnisse und mein Diplom in meinem Gepäck. Daran können Sie sehen, dass meine Noten genau die sind, die ich Ihnen geschrieben habe. Ich meine, ob ich nun ein Mann oder eine Frau bin, tut doch nichts zur Sache. Am Ende. Oder?“ Mit einem reichlich verzweifelten Lächeln schaute die blonde Frau in die Runde.

      „Nuja, nuja…“, stotterte der Bürgermeister schließlich. „Aber Se sind ne jungsche Frau un wir könn Se nisch allein in dem Haus wohn laschen. Un wir dachten, dass jetz ma jemand kommt, der bei den Kindern so rischtich durschgreift.“ Malbeth sah reichlich hilflos aus, doch zumindest in einem Punkt konnte seine neue Schulmeisterin ihn beruhigen.

      „Oh, aber ich werde doch nicht alleine wohnen. Meine Mutter, Mrs. Van Halen, ist mit unserem Hausrat auf dem Weg hierher und wird in wenigen Tagen eintreffen. Und was die Kinder angeht: Ich bin mir sicher, dass wir bald die besten Freunde sein werden.“

      Am Ende war Bürgermeister Malbeth gegen so viel guten Willen und Beredsamkeit machtlos, auch wenn seine Vorstellung von Unterricht nicht gerade die war, dass die Lehrerin gut Freund mit den Kindern war. Er zuckte mit den Schultern und schaute flehentlich zu Mrs. Trudi und dem Pfarrer. „N neuen Lehrer wern wir wohl uff die Schnelle nisch kriegen un die Schule muss ja wieder losgehen…“

      Auch die rundliche Arztgattin und der Pfarrer nickten zustimmend, während Letzterer eifrig beipflichtete: „Und die Sonntagsschule nicht zu vergessen. Ich meine, Mrs. Aldridge sollte schnellstens von dieser Aufgabe entbunden werden, um sich wieder anderen kirchlichen Diensten zuwenden zu können. Ihre helfende Hand fehlt an allen Ecken und Enden.“

      „Das ist alles schön und gut, aber solange Miss Van Halen allein hier ist, kann sie nicht in dem Haus wohnen. Eine junge Dame ohne Begleitung… Das schickt sich nicht“, warf jetzt Trudi McAbberty ein. Miss Van Halen wollte schon widersprechen, dass sie sehr gut auf sich allein aufpassen könnte, aber sie kam gar nicht zu Wort. Der rothaarige Pfarrer hatte auch für dieses Problem sofort eine Lösung parat. „Nun, ich würde Miss Van Halen gern Unterschlupf in meinem Pfarrhäuschen gewähren. Die Kirche bietet allen Seelen in Not ihren Schutz an und meine geistliche Stellung macht mich über alle Zweifel erhaben.“ Es war sogar für den nicht geistig nicht allzu regen Bürgermeister offensichtlich, dass der Reverend Gefallen an der neuen Schulmeisterin gefunden hatte. Sein begehrlicher Blick sprach Bände und schien so gar nicht über alle Zweifel erhaben. Malbeth wollte schon Einspruch gegen dieses Angebot einlegen, doch Mrs. Trudi war schneller.

      „Das kommt gar nicht in Frage. Erinnern Sie sich noch daran, was die Leute alles getratscht haben, nur weil die gute Finney sich vor Luke Sullivan geworfen hat, um ihn vor dieser Kugel zu bewahren? Nein, ich denke Miss Van Halen sollte bei Eugenia Straight bleiben, bis ihre Mutter hier eintrifft. Die alte F… Ich meine, Miss Frocker hat dort auch zur Untermiete gewohnt und Eugenia wird sicher nichts dagegen haben, Miss Van Halen in deren altem Zimmer unterzubringen.“

      Der Bürgermeister stotterte eine Zustimmung, und bevor Charlotte so recht wusste, wie ihr geschah, hatte Green Hollows Gemeinderat auch schon über sie und ihre Zukunft entschieden.

      „Ja, Miss, dann herzschlisch willkomm in Green Hollow!“ Lächelnd streckte ihr der Bürgermeister nochmal die Hand entgegen, die die junge Frau nun erleichtert ergriff. Selten war eine ihrer kleinen Schusseligkeiten so glimpflich für sie ausgegangen.

      Damit haben wir Blacky im Handumdrehen vom Dach geholt!

      Miss Van Halens Zimmer bei der Witwe Straight, die im Herzen der kleinen Stadt wohnte, bot einen großzügigen Ausblick über Green Hollows Hauptstraße. Interessiert ließ die Lehrerin den Blick über ihre neue Heimat schweifen. Rechts neben dem Haus der Witwe befand sich das Green Hotel und ein Stück die Straße hinunter, auf der anderen Seite, sah sie ein großes Haus mit einer Art Scheune, das laut des riesigen Schildes Plockton's Warehouse war. Gegenüber davon wohnte der örtliche Arzt, Dr. McAbberty, dessen Frau sich ja gestern so nett um ihre Unterbringung gekümmert hatte.

      Charlotte ließ ihren Blick weiter in die andere Richtung wandern, bis er schließlich an einem großen Gebäude mit dem Namen „Gemstone“ hängen blieb. Sie hatte keine Ahnung, worum es sich dabei handelte, aber da so früh am Morgen bereits einige Männer dieses Haus verließen, war es vielleicht eine Art Pension. Nun, einerlei, sie musste sich beeilen und sollte nicht die Zeit verträumen. Die seltsame Witwe Straight hatte ihr gestern gesagt, dass es um Punkt acht Uhr Frühstück geben würde. Wenn sie bis dahin nicht am Esstisch wäre, dann müsste sie sich selbst um ihre Mahlzeit kümmern. Miss Van Halen seufzte. Und das konnte dann nur in einer weiteren Katastrophe enden. So gut ihre Noten am College auch gewesen waren, in der Küche war sie, wie in den meisten anderen Bereichen des täglichen Lebens, eine Katastrophe. Und auch wenn Miss Charly von der anstrengenden Fahrt in der Postkutsche gestern reichlich erschöpft war, war die Neugier auf ihr neues zu Hause doch größer als der Wunsch, sich einen Tag Ruhe zu gönnen. Als sie die Treppen zum Esszimmer hinunter eilte, lag bereits wieder ein fröhliches Lächeln auf ihrem Gesicht. Weder der Gedanke an ihre eigenen Unzulänglichkeiten noch die Erschöpfung konnten ihre Unternehmungslust dämpfen.

      „Guten Morgen, Mrs. Straight“, grüßte sie gutgelaunt, als sie die letzten zwei Stufen ausließ und von