Anna Staub

Die neue Schulmeisterin


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Green Hollow

      Liz und Harry Plockton: Besitzer von Plockton's Warehouse

      Harriet Plockton: deren 9-jährige Tochter

      Eugenia Straight: Ältere Witwe, Hypochonderin und Einwohnerin von Green Hollow

      Miss Henny: Oberstes Freudenmädchen im Gemstone

      Verstorbene Personen:

      Prudence Sullivan: Frau von Charles Sullivan Sr.

      Josephine Sullivan: Frau von Bill Sullivan

      Jim Reed: Silberminenbesitzer von Green Hollow, Lukes bester Freund

      Prolog

      Anzeige im Virginian Chronicle vom 18. Mai 1871

      Green Hollow/Colorado-Territorium: Lehrer gesucht!

      Die Stadt Green Hollow sucht zum 15. August des Jahres 1871 einen vollständig ausgebildeten Lehrer, der zugleich als Sonntagsschullehrer zu fungieren hat. Das Einkommen beläuft sich bei guten Qualifikationen auf 300 Dollar pro Jahr, eine Unterkunft wird unentgeltlich bereitgestellt. Bewerber senden ihre Interessensbekundungen an Bürgermeister Malbeth, Main Street, Green Hollow/Colorado.

      Wenn Mr. Van Halen erst mal hier ist…

      „Davy Slane! Wenn Mr. Van Halen erst mal hier ist, dann wird er dir deine Streiche schon austreiben! Mach sofort deine Schwester los!“

      Bess Aldridge wusste so langsam keinen anderen Rat mehr, als dem renitenten Neunjährigen zu drohen. Davy hatte ganze Arbeit geleistet, indem er die langen, blonden Zöpfe seiner kleinen Schwester mit Stecknadeln an der Rückenlehne ihres Stuhls befestigt hatte. Mit dem Ergebnis, dass die Versuche der kleinen Elizabeth sich zu erheben ins Leere liefen. Immer wieder fiel sie auf ihren Stuhl zurück, was sie schließlich in ein mehr wut- als schmerzerfülltes Heulen ausbrechen ließ.

      Normalerweise konnte Mrs. Aldridge den hoffnungsvollen Nachwuchs von Green Hollow während der Sonntagsschulstunden, die sie vertretungsweise übernahm, ganz gut zur Räson bringen. Doch nach acht Wochen als Aushilfslehrerin waren selbst ihre Nerven zum Zerreißen gespannt.

      „Wer is denn Mr. Van Halen?“, fragte Davy grinsend ohne die geringsten Anstalten zu machen, seine Schwester aus ihrer misslichen Lage zu befreien.

      „Mr. Van Halen ist der neue Schulmeister, der nächste Woche hier ankommt und er wird sicher Mittel und Wege haben, sogar dir Benehmen beizubringen!“ Und damit versuchte die geplagte Aushilfslehrerin sich selbst daran, die Stecknadeln aus dem Stuhl zu ziehen. Was sie einige Mühe kostete. Davy hatte die zweckentfremdeten Nähutensilien mit aller Kraft in das Holz getrieben, um seine Schwester dingfest zu machen.

      Gleich darauf begann glücklicherweise die Kirchenglocke zu läuten. Das Zeichen dafür, dass der Gottesdienst und damit auch die Sonntagsschulstunde beendet waren. Mit einem überaus erleichterten Gesichtsausdruck scheuchte Bess ihre Schützlinge aus dem Schulhaus.

      Mrs. Aldridges hoffnungsvolle Vermutungen über die Durchsetzungsfähigkeit des neuen Schulmeisters sollten natürlich im Eilverfahren die Runde durch Green Hollow gemacht haben. Nur natürlich nicht als hoffnungsvolle Vermutungen, sondern als in Stein gemeißelte Wahrheiten.

      „…und er soll furchtbar streng sein! Hat Mrs. Aldridge letzten Sonntag selbst gesagt“, wurde Finney Sullivan zwei Tage später durch Harriet Plockton kundgetan. Die Neunjährige thronte weit über dem Boden auf einem Stapel Mehlsäcke im elterlichen Laden, während ihre Mutter einen karierten Stoff in ein Stück Packpapier einschlug.

      Miss Finney, wie Mrs. Lukas Sullivan immer noch genannt wurde (ungeachtet der Tatsache, dass sie verheiratet und damit längst keine Miss mehr war), zwinkerte Liz Plockton zu. „Ich frage mich nur, woher Mrs. Aldridge das wissen will. Hat sie Mr. Van Halen schon kennengelernt? Vielleicht ist euer neuer Lehrer am Ende doch ganz nett. Man sollte sich nie auf Vorurteile verlassen. Vor allem nicht auf die Vorurteile von anderen Leuten. Bilde dir lieber deine eigene Meinung, wenn Mr. Van Halen da ist.“

      „Pffff!“, machte die kleine Besserwisserin. „Miss Frocker war ein alter Drachen und bestimmt hat der Bürgermeister wieder so jemanden ausgesucht, der uns Ordnung beibringen soll.“

      Doch ihre Mutter ließ sie gar nicht weiter reden. „Kind! So etwas sagt man nicht! Miss Frocker hat sich sehr viel Mühe gegeben, euch etwas beizubringen!“, fiel Liz ihrer kleinen Tochter scharf ins Wort, während sie Finney das verschnürte Paket über den Tresen reichte.

      „Ja, sie hat sich Mühe gegeben, aber geschafft hat sie es nicht“, antwortete Harriet ungerührt vom Tadel ihrer Mutter.

      Mrs. Sullivan musste sich auf die Lippen beißen, um nicht in lautes Lachen auszubrechen.

      „Auf dein Zimmer, junge Dame! Sofort!“, rief Mrs. Plockton reichlich ungehalten auf diese freche Antwort hin. Die kleine Unruhestifterin kletterte auch ganz folgsam von ihrem Thron herunter und verschwand durch die Tür, die das Haus der Plocktons mit dem Laden verband. Allerdings nicht, ohne hören zu lassen: „Was denn? Hat Pa doch selbst gesagt!“

      Luke Sullivan hatte Plockton's Warehouse gerade rechtzeitig betreten, um den letzten Teil des kleinen Disputs mitzubekommen und gesellte sich jetzt zu Liz und seiner Frau.

      „Na, was hat Pa denn genau gesagt?“, fragte er grinsend, während er den Arm um Finneys Taille legte und sie an sich zog. Mrs. Sullivan, die ein gutes Stück kleiner war als ihr baumlanger Mann, lächelte vergnügt und legte ihm eine Hand auf die Brust. „Harry war anscheinend so unvorsichtig in Gegenwart seiner neunmalklugen Tochter Zweifel an Miss Frockers Fähigkeiten als Lehrerin aufkommen zu lassen.“

      Liz Plockton rollte mit den Augen, als Luke anfing zu lachen. „Naja, dann hoffen wir mal, dass Mr. Van Halen in dieser Beziehung mehr Können beweist als seine Vorgängerin. Vielleicht ist er ja sogar in der Lage, Harriet beizubringen, wann man besser den Mund hält, um keinen Stubenarrest zu riskieren.“

      Der neue Schulmeister von Green Hollow war schon vor seinem Eintreffen ein Objekt von derartigem Interesse, dass seine Fähigkeiten sogar in weniger ehrbaren Etablissements als Plockton's Warehouse diskutiert wurden. Noch am selben Abend war er das Gesprächsthema Nummer Eins im örtlichen Saloon und Freudenhaus.

      „Alles was die Kinder brauchen, ist eine feste Hand. Und die wird der Van Halen ja hoffentlich haben. Die alte Frocker hat trotz ihres Gebrülls da nie Ruhe reingebracht. Frauenzimmer halt“, stellte Harry Plockton fest, der sich auf den Tresen stützte und seinen Whisky im Glas kreisen ließ.

      „Ich frage mich wirklich, was für eine Art Mann Mr. Van Halen ist. Er weiß doch, dass es zu seinen Pflichten gehört, den Sonntagsschulunterricht zu übernehmen?“, mischte sich jetzt auch Reverend Brinkley ins Gespräch ein, der sich an einem Glas Milch festhielt und fragend zum Bürgermeister hinüber sah.

      „Weischer, weischer“, nuschelte der daraufhin zustimmend und nickte die nächsten fünf Minuten inbrünstig. „Ischn jungscher Kerl, frisch vonne Schule. Oder Kolletsch, wie se dasch nenn.“

      Miss Henny, die noch eine Runde nachschenkte, zog bedauernd die Augenbrauen in die Höhe, als sie die Runde betrachtete, die sich heute Abend im Gemstone versammelt hatte. Harry Plockton war ja ganz annehmbar, aber der hielt es wie Luke Sullivan, seitdem dieser verheiratet war. Im Saloon genehmigte man sich allenfalls einen Drink. Andere Bedürfnisse wurden im wahrsten Sinne des Wortes nur daheim befriedigt. Und weder der alte Malbeth noch John Brinkley waren besonders bemerkenswerte Liebhaber.

      „Na das höre ich gern. Junge Männer sind uns hier immer willkommen. Gibt es denn auch eine Mrs. Van Halen?“, schaltete sich das oberste Freudenmädchen des Gemstone schließlich mit einem anzüglichen Lächeln ein und lehnte sich auf den Tresen, um den Männern