Ole Engelhardt

Der Mann, der einmal einen Wal gewann


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ist laut und in mir drinnen ist es leise. Auch wenn nichts anderes zu erwarten war, habe ich das nicht erwartet. Ich kann keine Rede halten. Wozu gibt es Redenschreiber. Da ist es wieder. Mein Problem. Ich bin kein Kanzler, wie er im Buche stand. Also ich stehe wahrscheinlich in sehr vielen Büchern. Aber eigentlich habe ich immer nur das gemacht, was die Leute von mir erwarten. Früher waren das einfache Sachen, wie regelmäßiges Luftholen, möglichst niedrige Zahlen in den Klassenarbeiten erreichen, lachen wenn andere über einen Witz lachen. Später wurde es etwas komplizierter. Irgendwann war es dann eben, regiere ein Land. Aber das war schon okay.

      Ich habe diese Gabe genau das zu machen, was andere von mir wollen. Also, was soll ich erreichen, was soll ich jetzt sagen? Ich wünschte, da wäre jemand, der für mich spräche.

      Ich wünschte, da wäre jemand, der mir sagt, was er sieht, was hier geschieht und was das alles auf sich hat.

      Ich trete einen Schritt vor und hoffe dabei immer noch, dass ich vielleicht ja noch einmal Glück haben werde. Bitte

       H

      Also eigentlich war sie schon echt scheiße. Wir waren uns erst nicht sicher, man vermutet bei solchen Menschen ja immer irgendwie einen tieferen Sinn, der uns dummen Menschen verborgen bleibt. Und meistens lacht man dann so, dabei möglichst wissend tuend, weil das, was gerade passiert ja vielleicht Kunst oder so sein könnte und eigentlich hat man gar keine Ahnung was grade abging. Wir haben dann viel diskutiert und mit Synonymen um uns herum geworfen, „originell“ wurde gemurmelt, „neu“ und „kreativ“ hab ich gehört, aber im Endeffekt steht das alles doch für das gleiche. Scheiße. Es war ein wenig wie diesen jungen verrückten Kreativen auf Pro7, ZDF oder Neo zuzuschauen, die im Grunde dieselbe Scheiße machen, dabei nur provokant ungegelt ausschauend gegelte Haare tragen. Ich weiß, dass man in Hamburg nicht ausschauend sagt, aber ich bin nicht aus Hamburg, ich bin aus dem Süden. Und wir sind direkter, weshalb ich es auch vielleicht eher nonchalant ausgesprochen habe. Dafür wurde ich dann blöd angeguckt, gesagt hat aber keiner was. Im Geiste sind wir uns doch alle einig. Er, also der Kanzler, redete erst von A und dann von B, nach vorne sollten wir und gleichzeitig stehen bleiben. Erst, das war das beste, redete er gar nicht. Er stand einfach nur da. Erst hielten wir das für eine rhetorische Kunstpause, zeitlich ein wenig vorgezogen, aber ich glaube er hatte wirklich keine Ahnung, was er uns erzählen sollte. Er stand da in der Mitte dieses Kreises und starrte uns einfach nur an. Völlig starr und hilflos. Ich glaube, ich hab ihn da gleich verstanden und deshalb war er mir auch schon immer sympathisch. Auch wenn seine Politik vielleicht nie so grandios war und er zu Recht abgewählt wurde, irgendwie mochte ich ihn immer schon. Vielleicht gerade, weil ich wusste, dass es nicht seine Politik war. Herr Sauselhaar versteht ihn nicht und das wird er auch nie. Herr Sauselhaar glaubt an den Luxus, dass es das Ziel ist, weise und anerkannt zu sein. Und wenn man dann einmal Kanzler, CEO, König oder sonst was war, dann geht es nur noch darum zu reden, zu reden und zu reden. Anderen Menschen zu erzählen, wie es ist schlau zu sein. Sie zu belächeln, wissend, dass sie nie so schlau sein werden. Und vor allem nie mehr zuhören zu müssen. Er schätzt ihn genauso ein. Deshalb hat er ihn sofort auf die Bühne gezerrt und seinen Knopf gedrückt, mit der schier sicheren Annahme, dass dann schon das Lektionenerteilen wie von selbst kommt. Doch der Kanzler, Gunnar wie ich ihn schon gedanklich nenne, ist anders. Glaube ich. Ich glaube, er weiß wie ich, dass der wahre Luxus eines Menschen darin liegt zuzuhören. Zu lernen. Und nur in den seltenen Fällen, in denen es wirklich was zu berichten gibt, zu belehren. Gunnar wollte nicht reden, er hatte nichts zu reden. Er ist nicht hier um sich zurückzulehnen und zu sich zu sonnen, ich glaube, er will lernen. Er will wissen, wen er regiert hat und nichts anderes. Deshalb starrte er uns an, ohne Worte und mit umso größer aufgerissenen Augen. Und dann, ja dann brabbelte er halt irgendeinen Kram. Manchmal bekamen wir es ernsthaft mit der Angst zu tun, so abstrus wurde es. Er erzählte von irgendwelchen komplizierten Maschinenteilchen, die ineinander greifen müssten, die man jedoch immer gut ölen müsse und wir waren uns alle nicht sicher, ob das jetzt heißen sollte, dass wir bald alle durch Maschinen ersetzt werden sollten. Und an manchen Stellen, die sicher nicht dafür vorgesehen waren, zum Beispiel, wenn er immer so niedlich Containerboote anstatt Containerschiffe sagte, dann mussten wir ziemlich lachen. Er wirkte komischerweise so extrem nervös. Dieser Mann, der schon vor Diktatoren, vor Despoten und Königen gesprochen hatte, ja, er wirkte echt nervös vor uns, einer Gruppe Normalos. Vielleicht ist es schwerer sich von oben nach unten zu bewegen als von unten nach oben. Ein millionenschwerer Tellerwäscher ist doch wirklich noch schwerer vorstellbar als ein Tellerwäscher, der mal Millionen wiegt?

      Irgendwann war es dann Gott sei Dank vorbei. Viel Geklatsche, Herr Sauselhaar sagte noch ein paar Worte, denen keiner mehr Gehört schenkte und dann, kusch kusch, machte sich der Pöbel wieder an die Arbeit. Ich gehörte heute aus mir nicht bekannten Gründen nicht zum Pöbel. Anscheinend hatte mich Herr Sauselhaar ausgelost ihn und den Kanzler auf einer ersten Rundtour durch die heiligen Hallen unseres unheiligen Maklergeschäfts zu begleiten. Und ich sollte auch noch reden. Vielleicht wollte Herr Sauselhaar mich testen. Wir waren nie wirklich gut aufeinander zu sprechen. Lag wahrscheinlich daran, dass er ein cholerischer, selbstverliebter geerbter Firmenchef und ich ein relativ fauler Angestellter selbiger Firma bin. Wahrscheinlich wollte er nur einmal überprüfen, ob ich überhaupt eine Ahnung habe, was wir für Abteilungen haben und was diese Abteilungen so den ganzen Tag über machten. Vielleicht wollte er mich auch einfach weg haben von meinem Schreibtisch, um sicher zu gehen, dass ich keine Scheiße baue. Ich habe ihn nicht gefragt. Eigentlich reden wir auch nie miteinander.

      Wir bewegten uns dann also relativ entspannt durch unser Büro. Schon daran merkte man, wie wichtig Herrn Strauselhaar sein neuer Mitarbeiter war. Ich glaube, ihm war scheiß egal, was er wirklich leisten könnte. Er könnte selbst ein vom Container gefallener Kanzlerkrüppel sein, der an nichts mehr denken könnte als an nichts, aber auf dessen Stirn, und das war Herrn Strauselhaar extrem wichtig, eben immer noch der Banner „ICH WAR MAL KANZLER“ klebt. Irgendwie hatte Herr Strauselhaar diese wahnsinnige Idee, das ein Kanzler als Mitarbeiter = Jahresprofit x 1.000 heißt. Dass uns zukünftig jedes Schifffahrtsunternehmen wie eine dauergeile Nutte ansprechen würde und wir uns vor pinken Jacken gar nicht mehr retten könnten. In der Upper Class zählt kein Wissen, sondern Titel, und einmal Kanzler bleibt Kanzler. Und weil ein Kanzler ja nun einmal alles verantwortet, kann er eben auch alles. So einfach ist die Welt, wenn man Chef ist. Manchmal sehe ich in Herrn Strauselhaar ein kleines dickes verwöhntes Kind, das obwohl schon kurz vor dem Platzen, gierig nach der nächsten Eisbombe lüstet und dabei so logisch argumentiert, dass von einem Eis mehr oder weniger ja noch nie jemand geplatzt sei. Und weil sein Vater in unseren Mikrokosmus nun mal Gott ist, wird er wahrscheinlich auch wirklich nicht platzen. Und wahrscheinlich werden wir wirklich Erfolg haben. Ich hasse es, wenn meine Firma Erfolg hat. Eine wahre Niederlage. Meine Lustlosigkeit fällt in diesem Überguss an fleißigen Bienen einfach nicht ins Gewicht.

      Wir standen nun vor unserem Kaffeeautomaten und weil Herr Strauselhaar stoppte, fühlte ich mich irgendwie gezwungen etwas zu sagen, also sagte ich, „das ist unser Kaffeeautomat, hier trinken wir Kaffee“. Das war nicht nur insofern falsch, als dass ich überhaupt keinen Kaffee trinke, sondern auch, dass auch der Rest nie wirklich hier, sondern überall sonst Kaffee trinkt. Selbst auf dem Klo. Jedenfalls hoffe ich, dass das diese kleinen bräunlichen Flecken am Klorand erklärt. Von nun an übernahm Herr Strauselhaar das Kommando. Er führte uns schnurstracks in sein Lieblingsspielzeug, das er, da bin ich mir sicher, noch nie selbst benutzt hatte. Den Freizeitraum samt Kicker. Dieses Instrument ist für Herrn Strauselhaar der ultimative Beweis dafür, dass unsere altbackene Firma insgeheim genauso cool ist wie Google. Wir mögen zwar keine so abgefahrenen Sessel haben, aber wir haben Kicker. Auch nun, als er ihn dem Kanzler vorführte und dabei wild mit den Männern herumfuchtelte und sich dabei mit zwei gegnerischen Mannschaften die Kugel zuspielte, verschweigt er dabei, dass jeder Mitarbeiter laut interner Regelung genau 10 Minuten am Tag Erlaubnis hat diese Spielspaßundspannung-Maschine zu nutzen. Der Kanzler darf sicherlich so lange wie er möchte. Alleine. Dann wurde geraucht. Der Kanzler raucht nicht. Ich auch nicht. Aber Herr Sauselhaar umso mehr. Er fletzte sich auf einen der beiden Ledersessel, lud den Kanzler mit einer Handbewegung auf den nächsten ein und qualmte mir dabei genüsslich seinen Zigarettenrauch in meine Nasenflügel. Der Kanzler solle erst einmal ankommen, erst einmal verstehen wie es lebt, wie es agiert, wie