Ole Engelhardt

Der Mann, der einmal einen Wal gewann


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pfeifst, dann mag dich trotzdem keiner. Dann wirst du nur noch viel öfter eingesetzt und darfst zur UNO- WM und zur EU- EM und dann wird noch mehr auf dich geachtet und im Zweifel noch mehr geschimpft und getadelt.

      Und auf einmal saß dann mein Vater neben mir, der unmenschlich viel schwitzte, unter diesem Dauergerauche, was in Angie’s Bar nun einmal Gang und Gebe war. Ich hatte ihn einmal gesehen, den Kanzlervater, in irgendeiner spätausgestrahlten Doku im Dritten. Er war nicht da, als der Kanzler Kanzler wurde. „Der Kanzler ohne Vater“ oder so hieß die Doku dann folgerichtig auch. Aber das stimmt ja gar nicht. Hier war er doch, der Vater. Der mich dann anstupste und ohne mir in die Augen zu schauen sagte, dass es ja schon gar nicht soooo schlecht sei, Kanzler zu sein. Aber US – Präsident, oder KP- Chef, das, das muss man sagen mein Junge, ist dann doch schon eine andere Hausnummer.“

      Mir wurde es zu bunt, zu viel Rauch, zu viele Allegorien, zu viel Schweiß in der Halbglatze meines Vaters, zu viel freier Alkohol in meinen Venen. Ich sprang auf, blickte irre um mich, wusste kurz nicht, ob Ralf nun der Große oder der Kleine ist, stellte dann fest, dass diese Frage nicht zu den Schumachers, sondern zu den Klitschkos gehörte und lief dann raus, nachdem ich noch laut schrie: „Man Vater ey, im Dritten bist du doch schon tot eigentlich!“

      Ich musste raus, raus aus dieser Q&A – Session, zu deren zweiten Buchstaben ich heute nicht mehr imstande wäre. Frische Luft und ein Bier waren wie immer die für geeignet befundenen Lösungen für ein verknotetes Hirn. Das magere Etetpetete – Essen hatte es wieder einmal verfehlt mir eine geeignete Grundlage zu verschaffen und so merkte ich langsam, wie sich ein gewisser Grad an Trunkenheit den Weg bahnte. Draussen auf der Terasse war es dunkel, es schien leer zu sein. Ich wollte nicht leer sein in dem Moment, ich brauchte Leute. Ich ging auf die Straße, lief den Kiez hoch und runter. Aß fettiges Essen und las T-Shirts Slogan wie „Live is too short“ vor dem Hintergrund einer karikaturhaften E- Gitarre. Ich fragte mich, ob das ein Schreibfehler war oder ob dieser hässliche Typ mit halbverhunztem Vokuhila das ernst meinte. Dass seine Message irgendwie sowas war, wie „Livekonzerte sind zu kurz, man muss sie filmen, um immer und immer und immer wieder etwas von ihnen zu haben.“ Es war schon ziemlich spät. Die ersten Imbisse packten ihre Brote ein. Ich liebe diese Zeit. Ich stelle mich dann immer vor den Imbiss und warte darauf, bis diese gierigen verwahrlosten Mitvierziger – Alkoholleichen angeschlürft kommen und mit gierigem Fett in den Augen nur noch diesen obergeilen Fettburger im Gehirn haben. Und bevor sie dann ihren Mund öffnen, aus dem noch die Pommes rot-weiß Reste von nebenan kleben, kriegen sie dann völlig emotionslos dieses immigrierte türkisch-deutsche „leider schon gschlossen heut“ an den Kopf gehauen. Und dann entlädt sich ihr ganzer Frust, auf die Maloche, auf den fehlenden Fick heute Abend, auf die dicker werdende Frau und das bücherlesende Kind, all das, was eben noch in eine Flasche Bier passte, entlädt sich nun in diesem kleinen Türken, der doch nur seiner Pflicht nachkommt. Nach fünf Minuten purem Rumgeschreie gehen die beiden Herren wieder. Ich schaue zu dem netten Imbissbetreiber und sage, eigentlich gut gemeint, „in Ankara hätst das nicht gegeben, was?“ „Scheiß Nazi“ beschimpfte er mich und schlug die Tür zu. Ich trank aus und ging weiter. Wieder zurück zu Angie. Ich konnte mir selbst in meiner mir momentan ertrunkenen Phantasiewelt nicht vorstellen, dass die Party noch tanzte, doch ich wusste nicht wohin sonst mit mir. Ich überlegte, warum es mir so viel Spaß machte solche Situationen zu beobachten? Bin ich wirklich ein schlechter Mensch? Haben die Kollegen und eigentlich alle, mit denen ich zu tun habe, Recht, die in mir nichts anderes als ein miesgelauntes Arschloch sehen? In a way möchte ich das ja auch. Ich möchte nicht gutgelaunt sein, weil es dafür keinen Grund gibt. Und wenn sonst alle so tun, als gäbe es ihn doch, dann ist das für mich kein Anlass dem zu folgen. Kurz vor Angie lief mir ein Mädchen entgegen, ich kannte sie, ja, ich war mir sicher, dass es Sandra war. Die Neue. Für mich die Alte aus Schulzeiten. Sie war mir sympathisch. Wir hatten nie ein Wort gewechselt, doch das machte nichts. Ich würde ihr gerne erzählen von meinen Theorien und ihr erklären, warum ich vielleicht der netteste von allen bin, auch wenn ich nicht der dicken Maria zum Geburtstag gratuliert habe oder nie frage, ob noch jemand Kaffee möchte, wenn ich mir eine neue Tasse hole. Weil das alles nicht zählt, weil das alles im Gesamtbild solche Nuancen sind wie ein Farbklecks in hellrot oder in inkrementell hellerem rot. Sie würde es verstehen. Ich schaute sie an, sie schaute mich an. Gleich würden wir reden, doch dann lief sie einfach an mir vorbei. Sie hatte mich gesehen, da war ich mir sicher, sie hatte mich erkannt, da war ich mir sicher. Ich wusste in diesem Moment, auch für sie bin ich nichts weiter als der miesgelaunte, frustrierte Angestellte, der nicht über mehr Intellekt verfügt als seinen Welthass in ausbleibende Gutemorgenformeln zu stecken. Das machte mich traurig, ich blieb kurz stehen und sah ihr nach. Hier und da stolperte sie gegen Passanten und bei jedem blieb sie stehen und entschuldigte sich. In jedem sah sie mehr als in mir. Es ist nicht so, dass es mich wahnsinnig stört in der Firma wenig Beachtung zu finden. Es ist nur die Art und Weise, die Beweggründe, aus denen sie mich meiden. Auf eine sehr seltsame Weise, habe ich das Gefühl, werde ich sogar geduldet, und das passt mir gar nicht. Ich werde geduldet als der Quotenpessimist, den es, weil ja auch in Stromberg und sonstigen Serien, auch im wahren Leben geben muss. Ich bin niedlich, ich bin der „Depri“ und man schmunzelt über meine nachdenklichen Falten, rollt lächelnd die Augen, wenn ich mir das letzte Stück Kuchen nehme, obwohl ich doch schon drei hatte. Man findet mich irgendwie niedlich. Man missachtet mich, weil das meine Rolle ist. Dabei soll man mich missachten, weil ich anders bin und wenigstens versuche in einer höheren Ebene zu leben. In einer Ebene, in die wir doch hoffentlich alle irgendwann hineinstoßen werden. Eine Ebene, die sich mit dem Heute natürlich so gar nicht versteht und, aber ganz natürlich, aber eben auch nur deshalb, können sie mich ja auch gar nicht mögen. Ich merkte wie ich mich schon wieder hineinsteigerte in all meine Gedanken. Ich setzte mich vor Angies Bar, auf den Spielbudenplatz die Beleuchtung der Bar war aus. Die Party war aus. Die Nacht war zuende, nun hieß es wieder ein Jahr arbeiten, bevor man wieder den alkoholisierten Atem Herrn Sauselhaars riecht und während man ihn am Ende des Abends so bei 1,9 Promille zusammengerollt auf dem hintersten Stuhl des Saales kauern sieht, denken könnte, dass er ja vielleicht doch ganz nett sein kann. Der Spielbudenplatz schien leer.

      Nicht ganz. Ganz hinten in der äußersten Ecke stand eine Figur, die sich nach ein paar Schritten meinerseits in dessen Richtung tatsächlich als der Kanzler herausstellte. Und da sagt noch einer, das Glück des Betrunkenen existiere nicht. Es war zu spät, nun konnte ich nicht mehr umdrehen, und meinen Abgang dabei vollkommen wertneutral erscheinen lassen. Eigentlich sollte man zwielichtigen Männern in dunklen Ecken aus dem Weg gehen, doch mein Weg war vorgezeichnet. Und vielleicht war es auch nicht schlecht, dass man mal so unter sich war. Oft erfährt man „unter sich“ mehr als unter allen. Nach mehreren kurzen Hallos und Kopfnicken und Zuprosten und meinen infirmitiven Annäherungsschritten an ihn kamen wir langsam ins Gespräch. Ich merkte, wie betrunken auch der Kanzler war. Das fand ich beruhigend. Relativ schnell kam dieser dann auch mit seinem alkoholischen Charme schnell zur Sache. „Sag mal, warum bist du eigentlich immer so scheiße? Du weißt sicher, was du für fiese Namen trägst bei den Kollegen, nicht wahr, Ekel, fieses Kapitalistenschwein und so.“

      Ja, da war sie, meine Chance endlich einmal alles zu erzählen. Ich legte los und hörte mich reden. Ja, das stimmt. Ich bin ein Kapitalist, genau wie wir alle. Wir alle wollen doch immer mehr, no matter ob es Geld ist, oder Liebe oder Sport oder Musik oder Essen. Es wäre doch eigentlich möglich mit der Musik, die wir haben in peace zu leben, nicht wahr? Wir hätten gut vor hunderten von Jahren aufhören können Krach zu machen und könnten nun immer noch mit glücklicher Miene zu Beethoven und Händel abwippen. Doch wir wollen immer mehr. Wir brauchen immer noch einen Song und noch einen Song. Weil wir einfach nicht fähig sind zu genießen. Weil wir uns langweilen. Und auch wenn wir genug Kohle haben oder Brot und Marmelade, dann schauen wir uns irgendwann auf unsere fetten Bäuche und gähnen beim morgendlichen Bad durch den Groschentresor. Und dieses Gähnen ist es, was uns ausmacht. Es lässt uns neue Lieder schreiben und neue Menschen ausbeuten. Manches ist gut und manches ist schrecklich. Der Mensch ist schlecht, aber wenigstens will er geile Mukke dabei hören. Der Kanzler nickte zwar, aber vielleicht war es auch eher ein ganzkörperliches Getaumel. Keine Ahnung, ich stand ihm aber in nichts nach. Wir setzen uns hin, der Boden war irgendwie nass, keine Ahnung, ob das was ekliges oder was wolkiges war. Ich hoffe letzteres. Ich redete immer weiter, doch meine Worte kamen mir immer weiter weg vor. So lange wollte ich reden und nun da ich es konnte, liefen