Ole Engelhardt

Der Mann, der einmal einen Wal gewann


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gar nichts Besonderes ist?

      „Ja“, sagte er und sah dabei so überhaupt nicht enttäuscht aus.

      Als sie sich ins Bett legte, merkte sie wie stark ihre alkoholischen Kopfschmerzen eigentlich waren. Zudem brummerte draußen die frühmorgendliche S-Bahn. Doch war sie sich sicher dass sie würde schlafen können. Endlich. Sie fühlte sich wie damals, als sie im Bett ihrer Großeltern lag, zwischen ihrer Oma, die schnarchte wie eine Kreissäge und Opa, der beängstigende Geräusche wie ein kaputter Diesel machte. Und der Bettmittetrennknauf drückte ihr so sehr ins Steißbein, dass sich ihr ganzer Körper wie ein einziger Schlag in den Nacken anfühlte. Trotzdem schlief sie jedes Mal mit einem Lächeln ein. Dies waren die besten Nächte.

      Sie lag im Bett und dachte daran und dann, ganz schnell, hörte sie die S-Bahn nicht mehr.

      E一

      Eine Firmenweihnachtsfeier ist immer wieder wie ein erstes Date. Die Firma zieht ihr bestes Zwirn an, nimmt sich vor auch bei noch so viel Sodbrennen nicht aufzustoßen und die Sache mit links und rechts beim Essen genau zu beachten. Man möchte beeindrucken. Die neuen Angestellten sollen sehen, dass sie alles richtig gemacht haben, die hohen ppas sollen zeigen, dass ihr Pferd immer noch am schnellsten reitet und die mittendrin, die dürfen auch mit mampfen. Ich bin allergisch gegen Pferde, aber trotzdem konnte ich bei allem in mir schlummerndem natürlichen Pessimismus wenig Schlechtes gegen diese Feier finden. Ein hochtrabendes Essen in Hafennähe, das vielleicht ein wenig zu posh, aber immer noch genießbar war. Gefolgt von einem Theaterstück auf der Reeperbahn. Die „Heiße Ecke“ sollte uns zeigen, wie das Leben auf St. Pauli aussieht und ließ dabei gnadenlos keines der klischeehaften Ps aus, Puffs, Pommes und Pinneberg. Ich saß neben dem Chef und versuchte nach jedem Witz so synchron mit ihm wie möglich meine Schenkel zu penetrieren. Nach 10 Minuten taten mir sowohl meine Schenkel als auch meine Backen derart weh, dass ich mich kurz „entschuldigte“ Die Tür mit dem nackten Zeichenmännchen klar vor Augen kehrte ich kurz vorher doch noch nach rechts, um mir ein weiteres Bier auf Firmenkosten zu gönnen. Nach zwei weiteren fühlte ich mich viel glücklicher als gerade eben noch, als ich nach jedem Glücksgefühl den externen Druck verspürte meine Schenkel drangsalieren zu müssen. Sowieso ein einziger Zufall, dass ausgerechnet ich neben dem Chef saß. Auf der anderen Seite saß natürlich der Kanzler, keine Frage, König und Prinzlein oder so. Aber, da mache ich mir nichts vor, ich bin der Miesepeter, warum saß ich neben ihm? Keine Ahnung. Ich entschied mich hier zu bleiben und meinen leeren Sitzplatz später mit akuten Bauchschmerzen oder nicht stoppen wollenden Hustenanfällen zu erklären.

      Nach dem Stück ging es nicht nur sinnbildlich sondern auch im wahrsten Sinne des Wortes noch weiter nach oben. „Ausklingen“ war angesagt, in der integrierten Rooftop – bar unseres Etablissements. Für mich änderte sich nicht viel. Ich trank weiter Bier, nur dass nun auf einmal viel mehr Menschen um mich herum standen, die dasselbe taten und keine Nebenbeschäftigung wie dämliches Theater oder ähnliches zur Verfügung stand. Herr Sauselhaar hielt standesgemäß eine kurze Ansprache über das vergangene Jahr, deren rhetorisches Charakteristikum es zu sein schien, an so vielen Stellen wie möglich wie auch immer geartetes Vokabular zu verwenden zur Anspielungen darauf, dass nun ein „echter Kanzler“ mit von der Partie, „oder soll ich sagen PartEI“ war. „ Denken Sie immer daran, wie viele Wettbewerber sich Ihnen auch in den Weg stellen, wir haben nun die Kanzlermehrheit“. Sein jeder Pointe folgendes anschließendes Augenzwinkern wusste der Kanzler lässig an die Bar gelehnt mit einem gehobenen Glas zu kontern. Wir, der Pöbel, ahmten die gleiche Geste in Richtung Kanzler nach. Nachdem ich mit einem Blick nach oben feststellte, dass sein durchaus sportliches Pointentempo durch mein Trinktempo noch bei weitem übertroffen wurde, schaltete ich auch auf Zuzwinkern um und ließ meine ständig wechselnden Getränke lieber beschämt in kognito neben mir stehen. Dem Chef folgte, wie sollte es in diesem Jahr anders sein, ein Imitationskünstler, der natürlich keinen anderen als „unseren lieben Kanzler“ imitierte. Seine Verkleidung war dabei ein Nadelstreifenanzug, weißes Hemd und rote Krawatte, er unterschied sich damit keinen Deut von uns, bildete sich jedoch trotzdem ein, einen Geniestreich gelandet zu haben. Die ganze Zeit redete er einem komischen Akzent, der dem Kanzler nicht im Geringsten ähnelte und phasenweise schien es als wäre sein einziges Parodietool seine Sätze stets mit „meine lieben Mitbürger und Mitbürgerinnen“ beginnen zu lassen. Sein größter Brüller war es unseren chinesisch Kollegen Li Shuming als „Schlitz…äääh äähh auge“ zu bezeichnen, während des anhaltenden Lachflashs der Meute, schoss er mit einer imaginären Pistole auf den Kanzler und schien zu flüstern, „komm schon, ist doch lange vorbei“. Doch der Kanzler lachte nicht wirklich. Also er lachte schon, aber man merkte, dass das nur so ein Lachen ist, dass man von sich gibt, wenn man sich grad als Oliver Geissen oder so Ausschnitte aus Switch Reloaded ansieht. Eigentlich findet man es scheiße, doch Selbsthumor ist nun mal angesagter als Selbstachtung. Ich frage mich sowieso immer, was das Witzige an der Wiedergabe etwas Bestehenden ist. Warum ist es witzig genauso zu reden wie eine andere Person und das doch noch ein wenig überzustrapazieren. Ist eine Kopie per se witzig? Wäre es demnach auch witzig, wenn ich dem am Boden liegenden Verletzten auch noch eine mitgebe, genauso wie es der wegrennende Schläger doch auch gemacht hat, nur eben noch doller wegen der Überspitzung. Erika, die ich das nach dem Auftritt an der Bar fragte, schüttelte mit dem Kopf und murmelte beim Weggehen so etwas wie „der nun wieder“.

      Irgendwann saß ich in einem dieser übertrieben gemütlichen Couches und um mich herum waren mehr Leute, als ich jemals in unserer Firma gesehen zu haben geglaubt habe. Neben mir lümmelte sich der Kanzler. Ich beobachtete ihn genau, so genau, dass ich einen leichten Haaransatz in seinem Ohr bemerkte und kurz angewidert weggucken musste. Doch dann wieder hin. Wie fertig er aussah, wie unglücklich er aussah. Alle redeten, alles war laut und das schlimmste war, alle redeten mit ihm. Oder eher auf ihn ein. Verbale Schläge in die Fresse, kein Wunder, dass er so fertig aussieht. Nicht, dass sie Gemeinheiten äußerten, meine Kollegen, allein das schiere Volumen dieser Geräusche raffte das anfängliche Lächeln des Kanzlers schnell hinfort. Es war ein einziger Krach, ein Summen von Bienen, deren Sprache ich nicht sprach. Ich wusste genau, wie er sich fühlte. Ich sah genau, wie er einfach nur seine Ruhe haben wollte und wie ihm diese keiner gönnte. Wollen wir tauschen Herr Kanzler, wollen Sie ihre Ruhe haben? Keine Ahnung, warum ich auf einmal nett zu ihm sein wollte, wahrscheinlich war er doch politisch so fein geschult, dass er Menschen wie mich in einer einzigen Sekunde für sich einnehmen konnte. Also, Plätze tauschen. Es war wirklich tierisch laut, noch viel lauter als auf meinem Platz ein paar Zentimeter weiter links. Ein Krach voller Stimmen, von denen ich lediglich das einzige, immer wiederkehrende Schlagwort „Kanzler“ erkennen konnte und mir daraus erschloss, dass es wie immer nur darum und nicht um mich ging. Dicke Frauen, dünne Männer, große Brillen auf kleinen Gesichtern, Karohemden, denen die Ärmel zu fehlen schienen, Alkoholfahnen und aufreizend getragene Abendkleider mit weniger dahinter, blubberten vor mir ihre Visionen von der Demokratie Deutschlands. Sie wollten mir ihre Vorstellung vom Kanzlerdasein skizzieren. Und alle waren sich sicher, dass sie ins Schwarze getroffen hätten.

      Eine Melange aus Wörtern, die alle in einer Stimme, der Stimme des Volkes, des Souverän verschwammen, prasselten auf mich ein und jeder Beitrag traf mich mehr als ein Vodka – O ohne O.

      - Schiedsrichter, das ist für mich die Allegorie des Kanzlers.

      - Eigentlich ist der Kanzler doch sowas wie ein unbeliebter Promi, und das ist doch eigentlich das schlimmste, was man sein kann oder nicht?

      - Ich habe im Kanzler immer meinen alten Schulleiter gesehen, noch so mit strengen Hosenträgern und so.

      - Mit Trillerpfeife, deren schriller Klang uns sagen soll, wann wir zu weit gegangen sind. Wann wir die Artikel überdehnt haben und uns die gelbe Karte erwartet.

      - Und der nur ungern auf die lange verbotene Prügelstrafe verzichtet. Der es aber anderen, seinen Verbündeten mit einem augezwinkernden Nachsehen vergibt, wenn sie doch nicht widerstehen können den Taliban, also ich meine den Schülern, ihre Gräueltaten mit Linealen aus dem Hintern zu pfeffern.

      - So ein bisschen wie Ralf Schumacher. Eigentlich hast du ja gar nicht so viel zu sagen, du bist ja eigentlich nur da und jeder kennt dich. Und wenn es falsch läuft,