Elle West

Die Glocke


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doch es erschien ihr allemal besser, als sich weiterhin mit Blake Simmons unterhalten zu müssen.

      „Wie schade.“, erwiderte Mia, nachdem ihr bewusst wurde, dass die junge Frau von sich aus nicht weiter sprechen würde. „Dann interessieren Sie sich auch nicht für die Rechte der Frauen?“

      „Ich interessiere mich nicht für affektierte Frauen die Gleichberechtigung mit Zügellosigkeit verwechseln.“, gab Hollie unbeeindruckt zurück. „Da Sie selbst innerhalb dieser Kreise verkehren, Miss Rubinstein, gehe ich davon aus, dass Sie selbst sehr genau wissen, dass Rumhuren nicht das Geringste mit Frauenrechten zu tun hat.“

      Mia grinste lautlos und musterte die junge Frau, so wie Blake Simmons vor ihr, plötzlich mit anderen Augen. „Dann haben Sie viele Feministinnen kennen gelernt?“

      „Einige. Die meisten sind verbitterte Weiber, die sich wichtig machen, meiner Erfahrung nach.“, antwortete Hollie unversöhnlich. Im Grunde war sie ebenfalls dafür, dass Frauen dieselben Rechte erhielten wie Männer, aber die Freundinnen ihrer Schwester Chloe hatten sie davon überzeugt, dass die meisten Feministinnen keine Frauenrechtlerinnen, sondern bloß arrogante Wichtigtuerinnen waren. Ihr selbst war es zum Beispiel völlig gleichgültig, ob sie nach der Ehe den Namen ihres Mannes tragen sollte oder nicht. Ob sie als Frau allerdings wählen durfte oder nicht, war alles andere als bedeutungslos. Diese Unterschiede hatten die meisten Frauen dieser Organisationen, die Hollie kennen gelernt hatte, allerdings nicht verstanden. Ihrer Meinung nach, ging es diesen Frauen darum, sich gehen lassen zu dürfen. Wie die Männer sooft vorher, viele Geschlechtspartner zu haben, sich extrovertiert und unabhängig geben zu können. Allerdings waren die meisten dieser Frauen nicht unabhängig. Oftmals wurden ihre Eskapaden dann doch von einem reichen Daddy oder vielleicht sogar einem Ehemann finanziert. Und sie alle waren trotz der großen Worte auf der Suche nach Liebe, wenngleich sie vorgaben, nur an Sex interessiert zu sein.

      „Ich fürchte, Mia, bei dieser jungen Damen haben Sie keine Rekrutierungschance.“, mischte Blake Simmons sich belustigt ein. „Offenbar haben Sie sich hier an eine der wenigen Frauen gewandt, die ihresgleichen nicht sonderlich schätzt.“

      „Oh, verstehen Sie mich nicht falsch, Mr. Simmons.“, sagte Hollie lachend. „Ich habe kein Problem mit meinem eigenen Geschlecht. Es sind die Menschen selbst, die ich nicht verstehe.“

      „Das ist über die Maße tragisch.“, sagte Mia und legte ihre manikürte Hand über Hollies. Nur kurz, dann hatte die ihre Hand zurück gezogen. „Vielleicht geben Sie mir eine Chance, Ihnen zu zeigen, dass nicht alle Menschen zu verurteilen sind?“

      Hollie sah sie misstrauisch an. „Ja, vielleicht mache ich das.“

      „Begleiten Sie mich heute Nacht.“, bat Mia daraufhin. „Ich will Ihnen das Nachtleben von New York zeigen, meine Liebe. Ich kann versprechen, dass es nicht langweilig wird. Und ich verspreche Ihnen, dass ich Sie augenblicklich gehen lassen werde, falls wir sie doch nicht interessieren. Was meinen Sie?“

      Hollie seufzte. Im Grunde war sie nicht der Typ für einen so spontanen Ausflug. Sie mochte es vielmehr, die Dinge zu durchdenken und ihre Entscheidungen rational zu treffen. Allerdings musste sie zugeben, dass dieser Pragmatismus schnell zur Langeweile führte und eben die wollte sie durchbrechen, um endlich auch über das Leben schreiben zu können. „In Ordnung.“, sagte sie also und verwunderte damit nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Gastgeberin.

      Mia Rubinstein grinste zufrieden. „Dann ist es abgemacht.“, sagte sie und bot Hollie die Hand. Die junge Frau zögerte einen Moment und legte ihre zierliche Hand in eine andere zierliche. Ein kurzer, aber fester Händedruck, ehe sie ihre Hand zurück zog. „Sind Sie ebenfalls Schriftstellerin, Hollie? Oder Journalistin?“

      Hollie schüttelte leicht den Kopf. „Nein.“, antwortete sie.

      „Hmm…ich dachte nur. Sie haben das Talent Ihres Vaters mit Worten umzugehen.“, erklärte sie ihre Frage. „Steht dieser Beruf für Sie zur Diskussion oder wollen Sie damit nichts zu tun haben?“

      Hollie wurde von einer Antwort entbunden, als Harold Ross vors Podium trat. Die Gäste applaudierten ausgelassen und der Mittdreißiger mit dem schelmischen Grinsen und dem aufgeweckten Blick verneigte sich absichtlich übertrieben.

      Hollie stellte erneut fest, dass Harold Ross nicht nur jung, sondern auch attraktiv war. Sie sah sich neugierig im Publikum um und erkannte, dass die meisten Frauen ihn mit ihren Blicken anhimmelten.

      Dann fing Ross seine Rede an. Erzählte von seinem beruflichen Werdegang, der über die Maße beeindruckend war, und wie er dazu gekommen war, seine eigene Zeitung zu veröffentlichen. Hollie wusste augenblicklich, dass er auch mit dem New Yorker erfolgreich sein würde. Offenbar war dieser Mann dazu geboren worden, zu schreiben, wenn er bereits so jung so begehrt war. Und wenn er sich nach 20 Jahren noch immer diese Leidenschaft erhalten hatte, dann war er prädestiniert, weiterhin Erfolg zu haben. Hollie bewunderte diese Entschlossenheit. Sie bewunderte Menschen, die genau wussten, wohin ihr Weg sie führen müsste. Sie selbst wünschte sich immerzu, einen deutlichen Weg vor sich zu sehen, doch da war nichts, das sie erkennen konnte, dessen sie sich sicher war.

      Aufgrund des besonderen Anlasses wurde eine Runde Champagner ausgeschenkt. Die Gäste hoben mit dem Gastgeber ihr Glas und prosteten ihm zu. Dann wurde erneut applaudiert und Harold Ross verließ die Bühne. Er ging zu einigen Tischen, schüttelte Hände, tauschte einige Worte aus, während die Gespräche an den Tischen überall wieder zunahmen.

      Mia Rubinstein neigte sich erneut zu Hollie herüber. „Was halten Sie von Harold?“, fragte sie forschend. Sie wippte mit ihren dünnen Augenbrauen und grinste ihr perfektes Grinsen. „Ist er nicht wirklich hinreißend? Würde seine Frau nicht mit uns an einem Tisch sitzen, wüsste ich nicht, ob ich meine Finger bei mir behalten könnte.“

      Gegen ihre Neigung musste Hollie plötzlich darüber lachen. Wenn sie lachte, aufrichtig lachte, dann nahm sie unbewusst die Menschen für sich ein. Auch jetzt bemerkte sie weder das aufrichtige Lächeln von Mia, noch den hingerissenen Blick von Blake Simmons. „Ja, er ist hinreißend.“, gab sie schulterzuckend zu.

      Mia lachte leise. „Was auch immer Ihr Geheimnis ist, Hollie…Sie sind ganz sicher eine der aufregendsten Frauen, denen ich je begegnete.“

      „Zu Ihrem Glück sind Sie selbst nicht langweilig, Mia.“, gab sie aufrichtig zurück.

      „Ich fühle mich geschmeichelt, meine Liebe.“

      *

      Finlay Bates verließ eine der vielen illegalen Bars, die von allen Speakeasys genannt wurden. Es war mitten in der Nacht und er hatte schon mehrere Bars abgeklappert, aber nicht gefunden, wen er gesucht hatte.

      Fin trat durch die unauffällige Schiebetür, an dem Türsteher vorbei und durchquerte das heruntergekommene Wohnhaus, das ihn zur Straße führte. Dadurch, dass der Besitzer die Bar in diesem Wohnhaus versteckt hatte, war es ihm möglich den geschmuggelten Alkohol auszuschenken. Der Besitzer, Cameron Garner, war ein Afroamerikaner, der erst durch die Prohibition zu Geld gekommen war. Cameron und Fin waren Freunde und Fin belieferte seinen Freund mit illegal gebrannten Schnaps. Heute Abend allerdings war er weder zum Liefern, noch zum Trinken gekommen. Seit mehreren Tagen galt Kian Jenkins als vermisst und Fin wollte ihn finden. Die beiden waren nicht immer einer Meinung gewesen und wenn er ehrlich war, hätte er Kian auch weniger als Freund, als als Geschäftspartner bezeichnet, aber sie hatten einander zumindest so gut gekannt, dass er es als seine Pflicht empfand, wenigstens nach ihm zu suchen.

      Fin arbeitete bereits seit er denken konnte als Schnapsbrenner. Er war jetzt 27 und braute seit etwa elf Jahren. Nachdem 1919 der 18. Zusatzartikel der Verfassung verabschiedet wurde und das Prohibitionsgesetz in Kraft trat, hatte sich seine Arbeit ein wenig erschwert, aber es hatte ihm auch neue Möglichkeiten eröffnet. Innerhalb dieser sechs Jahre der Prohibition hatte er nicht nur mehr Absatz erzielt, sondern sich auch einen weiteren Kundenkreis aufgebaut. Ihm war dabei durchaus bewusst, dass er das Risiko, erwischt zu werden, dadurch erhöhte, ebenso wie ihm bewusst war, dass seine Arbeit nun illegal war. Dennoch war er einfach gut im Brauen, sein Schnaps war in der heutigen Zeit sehr hochwertig und jede illegale Bar in New