Elle West

Die Glocke


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Fins Wunsch nach noch mehr Gefahr hielt sich in Grenzen. Das illegale Schnapsbrennen war eine Sache, Kunden finden, war eine Sache, aber das Schmuggeln über die Stadtgrenze hinaus, eine ganz andere. Und Fin hatte sich immer aus den Angelegenheiten der Mafia heraus halten wollen. Er war in Hell’s Kitchen geboren worden und aufgewachsen, dann, mit 13 war er mit seiner Mutter nach Harlem umgezogen und lebte noch immer hier. Wäre das Amüsierviertel nicht zu ihm gekommen, wäre er ihm nicht nachgejagt. Da es nun jedoch vor seiner Haustür war, ließ er sich die Gelegenheit nicht nehmen. Aus irgendeinem Grund war ihnen die Mafia allerdings noch nicht auf die Spur gekommen und dabei kontrollierten sie diesen Markt immer mehr. Fin ahnte also ebenfalls, was Kians plötzliches Verschwinden zu bedeuten hatte. Allerdings war er nun nicht mehr bereit, so leicht aufzugeben, sich vertreiben zu lassen. Immerhin hatte er gegen mehr als nur ein Gesetz verstoßen und er wollte nicht, dass alles umsonst gewesen war. Obwohl er ein Mensch war, der das Leben nahm, wie es kam, war er nicht bereit, kampflos unterzugehen. Trotz allem besaß er Stolz. Zuerst einmal musste er Kian finden und dann würde er weiter sehen. Vielleicht irrte er sich und nichts davon hatte mit der Cosa Nostra zu tun. Vielleicht interessierten sie sich längst nicht mehr für einen Kerl aus Harlem? In jedem Fall musste er vorerst Ruhe bewahren. Schließlich gab es Menschen, die sich auf ihn verließen. Er hatte eine Freundin, die er liebte und die hatte eine Schwester, die sie beide ebenfalls beschützen müssten. Er hatte Freunde, viele Freunde. Und er wusste, jeder einzelne wäre in Gefahr, wenn die Mafia es auf ihn abgesehen hätte.

      Fin durchquerte schnellen Schrittes einige Gassen, ehe er sich zu einer großen Lagerhalle über einen Hinterhof Zutritt verschaffte. Im vorderen Lagerraum befand sich eine intakte Schneiderei. Über den Hintereingang gelangte man zur Brennerei, die Fin mit seinem russischen Kumpel Rhys Kowalskij betrieb.

      Als er jetzt rein kam, konnte er bereits an dem Geruch erkennen, dass sein Freund schon angefangen hatte. Die Russen wussten oftmals wie man Schnaps brannte, auch Rhys war da keine Ausnahme, allerdings hatte er erst durch Fin gelernt, wie man guten Schnaps herstellte. Das Geheimnis lag letztlich in den Zutaten und der Art der Lagerung. Zeit war ebenfalls entscheidend und auch der Faktor, der ihnen oftmals fehlte. Fin wusste, dass sein Whisky besser schmeckte als die der anderen illegalen Brenner, aber er wusste ebenfalls, dass sein Produkt noch besser schmecken würde, wenn er die Zeit hätte, seinen Schnaps länger reifen zu lassen. Da jedoch jedes Speakeasy seine Gäste mit Alkohol versorgen wollte und neue illegale Clubs an jeder Ecke aus dem Boden schossen, blieb ihnen nicht die Zeit die Qualität ihres Whiskys zu verbessern.

      Fin ging an den Bottichen vorbei, in denen die Gerste aufquellte und überprüfte den Keimvorgang oberflächlich. Rhys kannte sich mit Gerste aus, hatte schnell gelernt, wie man das Malz für den Whisky perfekt vorbereitete. Er war eigentlich ein Bauer, der vor ein paar Jahren nach New York gekommen war, um etwas Großes aus sich zu machen. Dann war er erst in Hell’s Kitchen und schließlich in Harlem gelandet und dort hatte Fin ihn gefunden. Und weil Fin ihm vertraute, hatte er sich seiner angenommen. Mittlerweile belieferte Rhys’ Familie die beiden Männer regelmäßig mit der benötigten Gerste und ihr Geschäft lief reibungslos.

      Fyn fand seinen Kumpel beim Reinigen des Gerstenmalzes. Er war beinahe fertig mit seiner Ladung und würde sie als nächstes zu Schrott verarbeiten. „Hey Mann.“, sagte Fin und schlug mit seinem Kumpel ein.

      Rhys entblößte eine Reihe gelber Zähne als er grinste. „Zum Glück bist du da. Ich hatte schon Angst, dass du auch nicht mehr wieder kommst.“

      Fin wusch sich die Hände. „Ich hab’ Kian nicht gefunden.“, sagte er. „Angeblich hat ihn niemand gesehen.“

      „Was bedeutet das?“, wollte Rhys wissen und hielt mit seiner Arbeit inne, um seinen Freund anzusehen.

      Fin zuckte die Schultern, schaltete das Wasser aus und trocknete sich die Hände ab, während er sich zu ihm umdrehte. „Wenn du mich fragst, bedeutet das, dass die Mafia sich eingemischt hat.“

      Rhys verzog das Gesicht. „Vielleicht hat er auch einfach nur bei den Verhandlungen übertrieben?“, fragte er vorsichtig. „Du weißt doch, wie er ist. Vermutlich wollte er für sich selbst mehr Kohle rausschlagen und irgendwem hat das gar nicht gepasst…Na ja, ich meine nur, vielleicht ist nicht die Mafia dran schuld.“

      Fin nickte. Auch daran hatte er schon gedacht. Kian hatte ihn immer wieder bedrängt, weil er sein eigenes Risiko für den, seiner Ansicht nach geringen, Profit zu groß fand. Er hatte ihn immer wieder darum gebeten, die Preise zu erhöhen. Fin allerdings hatte sich geweigert. Er hatte sich nicht mit der Cosa Nostra anlegen wollen, oder mit einer anderen Gang. Für ihn war das Leben wertvoller als Geld. Kian hatte sich jedoch in letzter Zeit immer uneinsichtiger gezeigt. „Hast Recht.“, gab er zu. „Allerdings schließt das die Mafia trotzdem nicht aus.“

      Rhys zuckte die Schultern. „Was wenn er wirklich tot ist, Fin?“, wollte er wissen. „Wir haben dann keinen mehr, der für uns die Verhandlungen führt und das bedeutet, dass wir auf unserem Schnaps sitzen bleiben. Ich muss aber meine Familie ernähren.“

      Fin nickte. „Weiß ich doch.“, sagte er und klopfte ihm im Vorbeigehen auf die Schulter. „Warten wir erst mal ab, Mann. Wenn sich herausstellt, dass Kian wirklich tot ist, dann finden wir eben eine andere Lösung.“

      „Wirst du dann die Verhandlungen mit dem Boss übernehmen?“, hakte Rhys nach. Er wusste, dass Fin nicht so viel davon hielt. Nicht, weil ihm das Talent gefehlt hätte, sondern einfach, weil er es nicht mochte, in der Öffentlichkeit, und sei es nur diese illegale Öffentlichkeit, mit dieser Sache in Verbindung gebracht zu werden. Er hielt sich lieber raus und Rhys konnte das verstehen. Er selbst wollte sich der Mafia ebenfalls nicht auf dem Silbertablett präsentieren. Allerdings fehlte ihm selbst auch das Geschick mit einem Gangsterboss zu verhandeln. Er war im Grunde immer noch der Bauer, der er einst gewesen war.

      Fin begann die Gärbrühe in eine Brennblase aus Kupfer zu geben, um mit der Destillation beginnen zu können. „Nicht, wenn ich es vermeiden kann.“, antwortete er aufrichtig.

      Rhys verzog neuerlich das Gesicht. „Ich hab’ meine Familie, Fin.“, sagte er erneut. Er hatte keine eigene Familie, nur seine Eltern in einem Nest in Kentucky und seine Geschwister. Seine Familie belieferte sie mit Gerste und Fin und Rhys bezahlten sie über die Maße gut dafür. „Ich kann nicht einfach ’ne Pause machen.“

      Fin stieg von der Leiter, die neben der großen Kupferblase angelehnt war, herunter und blieb vor seinem Freund stehen. „Und ich kann nicht einfach Kians Job machen.“, sagte er ernst. „Ich hab’ doch gesagt, dass wir eine Lösung finden, Rhys. Lass uns erst mal abwarten, was passiert.“ Im Grunde musste er erst einmal wissen, was passiert war, damit er sich entscheiden konnte, was er als nächstes tun wollte. Er musste die Faktoren kennen, die hinter Kians Verschwinden standen, damit er absehen konnte, worauf er sich einlassen würde.

      Rhys wollte gerade zu seiner Erwiderung ansetzen, als eine hübsche Afroamerikanerin mit leichten Schritten um einen Tank bog und auf sie zuhielt.

      Fin lächelte als er Kate sah. Er war die meiste Zeit seines Lebens ihr Nachbar gewesen, zumindest seit er in Harlem lebte. Und seit er sich erinnern konnte, war sie der Grund zum Aufstehen für ihn gewesen. Sie jeden Tag zu sehen, hatte jeden Tag besser gemacht. Als er 1917 in den Krieg gezogen war, war sie für ihn der Grund gewesen, zu überleben. Kate hatte ihm unzählige Briefe geschrieben und auch wenn er in Frankreich nicht alle erhalten hatte, hatten ihre Worte, all ihre Worte, ihn aufgebaut und ihm Mut gemacht. Jetzt, mit 27, war er beinahe sicher, dass er sie geheiratet hätte, wenn es ihnen erlaubt gewesen wäre. Allerdings war Kate schwarz und Fin weiß. Sie wurden anfangs sogar hier in Harlem missbilligend angesehen, wenn sie zusammen durchs Viertel gingen und dabei vielleicht sogar die Hand des jeweils anderen hielten.

      „Hey, Rhys.“, sagte sie und hob kurz die Hand. Kate trat vor Fin und küsste ihn auf die Lippen. Dann sah sie zu ihm auf, biss sich leicht auf die Unterlippe. „Ich hab’ Neuigkeiten…na ja, wenn man es so nennen kann.“, sagte sie und verbarg ihre Trauer nicht.

      Fin griff ihre Hand und hielt sie umschlossen. „Na sag schon.“, sagte er.

      Ihre großen, braunen Rehaugen blickten ängstlich zu ihm auf. „Kian ist tot.“,