Elle West

Die Glocke


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nicht erlaubt. Überhaupt war Kate die Vernünftige. Sie hatte eine feste Anstellung als Schneiderin in einer Fabrik und brachte damit regelmäßig Lohn nach Hause. Kate hatte sich auch um die Wohnung gekümmert, die sie nun bewohnten. Zwei Zimmer in Harlem, in einem Haus, in dem unzählige andere Schwarze lebten. Nicht gerade das Leben, das Rachel sich erträumt hatte, aber zumindest eine gewisse Sicherheit, an die sie sich gewöhnt hatte. Und dort interessierte sich zumindest keiner außerordentlich für die beiden Schwestern. Auf diese Weise konnte Fin, der direkt neben ihnen wohnte, jeder Zeit zu ihnen kommen und bei ihnen übernachten. Finlay, Kates große Liebe und ihr Langzeitfreund, war anders als alle Weißen, die Rachel kennen gelernt hatte. Er hatte sich nie dafür interessiert, welche Hautfarbe sie hatten. Er hatte sich nie als jemand Besseres gesehen, weil er nicht schwarz war. Und auch wenn Rachel es niemals zugegeben hätte, sie beneidete ihre Schwester um Fin. Dabei war Kate immer schon bieder gewesen, in Rachels Augen viel zu verhalten und schüchtern. Dennoch hatte sie den Hauptgewinn unter den Männern gezogen und das neidete Rachel ihr. Schließlich hatte sie selbst sich immer um eine solche Wertschätzung bemüht. Sie war immer die schönere der Schwestern gewesen. Ihr hatten stets alle Männer hinterher gesehen und sie hatte schon mehr als nur einen Heiratsantrag abgelehnt. Trotzdem hatte der einzige Mann, für den sie sich aufrichtig interessierte, ihre langweilige Schwester gewählt und schien diese Entscheidung auch nach Jahren noch nicht zu bereuen. Deshalb traf Rachel andere Männer. Sie schlief mit ihnen, wenn sie ihr gefielen und wenn sie ihr Geschenke und Versprechungen machten. Aber keiner von ihnen war ihr Fin.

      Auch heute Nacht hatte sie sich mit einem reichen Weißen getroffen. Sie waren in eine der geheimen Bars gegangen und er hatte ihre Drinks bezahlt, so viele sie wollte. Sein Name war Logan Sawyer und sie waren sich vor dem Cotton Club begegnet. Als sie den großen Blonden gesehen hatte, hatte sie gewusst, dass sie seine Gesellschaft wollte. Also hatte sie ihren Hut gelockert und gewartet, bis der Wind ihn in seine Richtung wehte. Dann hatte nicht Logan, sondern ein beinahe ebenso großer Italiener sich gebückt und ihr den Hut zurück gegeben. Sie hatte vor beiden Männern gestanden und festgestellt, dass der Italiener mehr Interesse an ihr zeigte. Er hatte gelächelt, als er ihr den Hut gereicht hatte und ein paar freundliche Worte gesagt. Der Blonde hatte sie nur kurz gemustert, ehe er sich weiter umgesehen hatte, als würde er etwas Wichtiges suchen. Also hatte sie ihren Hut wieder aufgesetzt, ebenso wie ihr bezauberndstes Lächeln, hatte so getan, als wollte sie weitergehen, war absichtlich zufällig umgeknickt und in den Armen des Blonden gelandet.

      Rachel bekam meistens, was sie wollte. Jetzt wollte sie Logan. Nachdem sie die Bar verlassen hatten, sie viel betrunkener als er, hatte sie ihn mit zu sich genommen. Meistens versuchte sie, die Männer nicht mit zu sich zu nehmen. Meistens fanden die Männer eine andere Lösung, wenn sie sich diesbezüglich weigerte. Logan allerdings war nicht so nachgiebig wie die meisten anderen. Als sie gesagt hatte, sie würde gerne mit ihm alleine sein, aber ungern in ihrer eigenen Wohnung, hatte er erwidert, dass sie es dann dabei belassen müssten. Und weil er so geheimnisvoll und anders war, hatte sie sich umentschieden und ihn mit genommen. Immerhin sah er aus wie ein Model. Sicherlich würde Kate sie um diesen Mann beneiden, auch wenn sie es nicht zugeben würde. Er sah nicht unbedingt besser aus als Fin, aber anders. Fin hatte zusätzlich zu seinem guten Aussehen einen schwer zu beschreibenden Charme, der ihn noch attraktiver für Frauen machte. Sein Charakter war seine Stärke und irgendwie gelang es ihm, diese Besonderheit in seine Blicke und Gesten zu legen. Logan hatte vielleicht auch einen besonderen Charakter, aber hauptsächlich war er schön anzusehen. Irgendwie perfekt, weshalb Rachel ihn automatisch ihr Model nannte. Zumindest in dieser Nacht würde er es ohne Zweifel sein, ihr Model.

      Er war im Bett anders gewesen, als sie erwartet hatte. Weniger rücksichtslos, als er den Eindruck vermittelte. Viel mehr war es ihm gelungen, auch sie zu befriedigen und sie wusste aus Erfahrungen, dass die meisten Männer größere Reden schwangen, als sie Taten folgen lassen konnten. Logan allerdings war anders gewesen. Er hatte nichts von sich Preis gegeben, hatte im Vorwege nicht behauptet, ein guter Liebhaber zu sein. Und dann hatte er mit ihr geschlafen. Er war nicht unbedingt einfühlsam gewesen, aber er hatte intuitiv gewusst, wie man eine Frau zufrieden stellte. Er wirkte dabei seltsam routiniert und obgleich er ihr nicht das Gefühl vermittelte, sie sei etwas Besonderes oder auch nur das, was sie miteinander teilten, befriedigte er sie sexuell vollständig.

      Als sie, nackt wie Gott sie geschaffen hatte, neben ihm im Bett lag, steckte sie sich eine Zigarette an und blickte neben sich. Er war ein schöner Mann, wie sie fand. Einer dieser wenigen Männer, die die meisten Frauen anziehend fanden. Einer dieser Männer, die immer bekamen, wen sie wollten. Logan Sawyer war groß, muskulös, weiß. Nicht so weiß wie die meisten Iren oder Briten, mehr so ein europäisches Weiß, in das sich die Bräune der Sonne gemischt hatte. Rachel streichelte mit der freien Hand über seinen Bauch, spürte die Muskeln unter ihrer Haut. „Das war beeindruckend, Logan.“, sagte sie lächelnd. „Wir sollten das wiederholen.“

      Er lächelte, entblößte seine perfekten Zähne dabei ein wenig. Dann steckte er sich selbst ebenfalls eine Zigarette an, stand auf und stieg in seine Hose. „Ich bin nicht von hier.“, sagte er.

      Ihre Stirn legte sich in Falten, weil sie genau wusste, wie derartige Unterhaltungen verliefen. Sie hatte nur nicht erwartet, dass er sie benutzen würde, um sie los zu werden. Für gewöhnlich war sie es, die diesen Ton anschlug. „Das weiß ich.“, sagte sie und setzte eine ungerührte Miene auf. „Vom Akzent her, würde ich sagen, Louisiana.“

      Er drehte sich zu ihr um, hielt die Zigarette zwischen den Zähnen, während er sein Hemd zuknöpfte. „Ich wollte damit sagen, dass wir das hier nicht wiederholen werden.“, sagte er direkt. Dann zuckte er die Schultern. „Aber danke.“

      Das fühlte sich für sie wie eine glatte Ohrfeige an. „Nein, ich danke dir.“, brachte sie unter Aufwendung ihres ganzen Willens hervor. Vor ihm würde sie nicht zusammen brechen und betteln. Das ganz sicher nicht. „Ich hatte nicht vor, dich zu heiraten, Logan. Ich hielt es nur für eine gute Idee, es zu wiederholen.“ Sie zog die Decke zurück, damit er die ganze Schönheit ihres nackten Körpers sehen konnte. „Aber du scheinst ja wirklich sehr beschäftigt zu sein, so schnell, wie du dich angezogen hast.“

      Er lachte leise. „Ja, bin ich tatsächlich.“, sagte er und beugte sich dann zu ihr herunter. Er lehnte sich vor und zog die Decke wieder über sie, ehe er sie auf die Lippen küsste. „Ich muss los.“

      Sie verschränkte ärgerlich die Arme vor der Brust. „Du könntest mir wenigstens ehrlich sagen, dass du mich los werden willst. Stattdessen schiebst du das Geschäft vor.“

      Wieder lachte er nur. „Ich muss arbeiten. Das Geschäft wartet nun mal nicht.“, sagte er und zog seine Jacke über. „Aber es hat mich wirklich gefreut, dich kennen zu lernen, Rachel.“ Und als er in der Tür stand und sich noch einmal zu ihr umdrehte, setzte er hinzu: „Pass auf dich auf.“

      Rachel wartete, bis die Tür ins Schloss gefallen war, ehe sie aufsprang und sich in Rekordzeit anzog. Sie verzichtete auf Unterwäsche und Strumpfhose, um Zeit zu sparen. Wenn er tatsächlich mitten in der Nacht noch Geschäftliches zu erledigen hatte, wollte sie das wissen. Und sollte er, wie sie es schon eher erwartete, stattdessen zu seiner Freundin oder Frau zurückkehren, dann wollte sie auch das wissen. Rachel schnappte sich im Laufen ihren Mantel, schlüpfte in ihre Pumps und eilte hinaus. Sie konnte noch hören, wie die Tür zum Treppenhaus zufiel, also musste er gerade erst auf die Straße gegangen sein. Sie rannte ihm nach, so schnell sie konnte. Als sie jedoch auf die Straße kam, war von ihm keine Spur mehr. Dann erst fiel ihr ein, dass er ein Auto gehabt hatte. Das bedeutete, er könnte überall sein und sie hatte keine Möglichkeit heraus zu finden, ob er die Wahrheit gesagt hatte. Ärgerlich wandte sie sich um und ging wieder zu ihrer Wohnung rauf. Wenigstens habe ich jetzt Zeit, mir meine Unterwäsche anzuziehen, dachte sie seufzend.

      In der nächsten Nacht sah sie ihn erneut vor dem Cotton Club. Sie wollte seinen Namen rufen, zu ihm laufen, aber er war von ein paar Leuten umringt und sie wollte sich nicht lächerlich machen. Außerdem durften Schwarze nicht als Besucher in den Club, weshalb sie sicher war, dass er ohnehin nicht für sie auf sein Vergnügen verzichtet hätte.

      Rachel warf einen Blick auf ihre Uhr. Es war halbvier am Morgen. Sie hätte noch in einen anderen Club gehen