M.T. Schobach

Vorhof


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Junkies und dabei konnte ich mich nicht erinnern, so ein Dreckschwein gewesen zu sein. Hatte ich Besuch? Viel wichtiger war jedoch die Frage: War das meine Wohnung und die Allerwichtigste und Beschissenste von allen aber war: Wer bin ich?

      Ich konnte mich an die gesellschaftliche Lage, Geschichte und das Zeitgeschehen entsinnen. Nur nicht an meine Person, diese schien in der Erinnerung total getilgt. Ein Scheiß Gefühl. Und nicht nur den letzten Abend hatte ich vollkommen vergessen. Alles war wie ausgelöscht. Nur ein dunkler Schatten blieb. Die Identität- ein einziger Blackout. Verflucht. Ich wusste noch nicht mal den eigenen Namen. Kompletter Erinnerungsreset. Ich atmete schwer. Mein Körper fing an unkontrolliert zu zittern, ich musste auf den Teppichboden knien, aus Angst ich könnte umkippen. Ich versuchte, tief und kontrolliert zu atmen. Es half, aber es dauerte, bis das zu wirken begann. Als ich mich aufrichtete, realisierte ich, wie sich der vermeintliche Teppich als fingerdicke Staubschicht enthüllte. Ein beträchtlicher Teil blieb mir auf der schwarzen Hose kleben. Das Wohnzimmer, jedenfalls glaubte ich, dass es etwas in jener Art versuchte darzustellen, befand sich in einem schlechteren Zustand als der Flur. Und wann hatte ich mich überhaupt angezogen? Mochte ich denn dunkle Jeans? In dieser Staublandschaft stauten sich unzählige Dinge.

      Die fleckigen Polster eines verdreckten weißen Sofas waren der Länge nach aufgeschlitzt oder aufgerissen worden. Eine Plastikfolie lag seltsam gewickelt darauf. Es lag hilflos da, einem verwundeten Lebewesen gleich. Dessen gelbes Futter verstreute sich über den gesamten Fußboden.

      Was war denn nur in mich gefahren? Ein kleiner Fernseher rauschte auf einem Tischlein vor sich hin und auch hier wimmelte es vor Gerümpel, altem Spielzeug, Büchern und anderem Kram. Die einst weißen Wände hatte jemand beschmiert und der Gestank war mehr als fürchterlich, und als ob dies nicht genügte, steckte die Radiofrau in einer Art Endlosschleife fest. Ging man am Fernseher links vorbei, kam man in die Küche. Seltsamerweise war es hier drin sauber. Nein, schon fast steril.

      Der Eigentümer, vielleicht war ja ich das, schien wohl zwanghafte Kontraste zu lieben oder wenigstens, für sie zu leben. Freak! Das war der Gedanke des Moments. Kann gut sein, dass es sich um ein experimentelles Yin und Yang Ding handelte. Scheiße, was weiß denn ich? Zurück zur Küche. Auch die hellen Fliesen bildeten einen fast bizarren Widerspruch zum Rest der Wohnung. Ich öffnete den Kühlschrank, machte mich auf das Schlimmste gefasst und versuchte dabei die Luft anzuhalten. Damit hatte ich, aufgrund des Gesamtbildes der Räumlichkeiten nicht gerechnet. Komplett leer und sauber. Es roch nach Chemie. Ein strenger, penetranter Zitronenduft. Ich sah mich langsam um. In den Schubladen befand sich keinerlei Besteck und im kleinen Küchenschrank, ebenfalls in tadellosem Zustand, war auch nichts zu holen. Weit und breit keine Spur von Tellern oder Gläsern. Lediglich eine Tasse und einige Beutel mit verschiedenen Teesorten lagen aufgeräumt auf der Küchenzeile. Packungen von Pfefferminz- und Salbeitee. Aber weder Wasserkocher noch Teekessel schienen in Sichtweite. Wie ungemein praktisch.

      Auf dem Fensterbrett stand eine Blume und so wie es wirkte, war sie regelmäßig gegossen worden. Null Ahnung, um was für ein Gewächs es sich dabei handelte. Gärtner oder Biologe konnte ich schon mal keiner sein. Das mittelgroße Fenster zeigte mir, dass es nicht nur in der Wohnung ungemütlich aussah. Grauer Nebel und Dunst, so dicht und tief am Boden, dass ich kaum die Straßen hätte erkennen können. Was für eine resignative Tristesse.

      Ich scheute vor dem Gedanken, ins Freie zu gehen. Ich wusste ja noch nicht einmal, in welcher Stadt ich mich befand und wenn ich es gewusst hätte, wäre mir diese Information angesichts meiner Amnesie keine Hilfe gewesen. Hier bleiben wollte ich aber auch nicht. Am liebsten wäre ich nirgendwo. Ich fühlte mich wie ein sinkendes Schiff. Wie etwas, dass langsam ins Dunkel gesogen wird. Hilflos und ohne Besatzung. Verlassen. Dem Untergang geweiht.

      Innere Unruhe und aufkeimende Panik schienen die Kontrolle über mich zu nehmen. Musste einfach weg von diesem Ort. Eine Arztpraxis, ein Krankenhaus, danach wollte ich Ausschau halten. Vielleicht auch nach einer Polizeiwache. Mir ging es echt dreckig. Ich musste hier raus. Hatte mir jemand Drogen gespritzt? Oder war ich ein abhängiger Messie und der Zustand meines Körpers sowie der Wohnung, offenbarten einzig das Ergebnis des seelischen Raubbaus, den eine Drogensucht mit sich bringt? Alles schien in einem surrealen Äther gefangen zu sein.

      Ich watete hastig durch die absurd wirkende Müllkippe in Richtung Wohnungstür und blieb, als ich mich vor jener befand, wie angewurzelt stehen. Auf der Tür stand in fettschwarzen Großbuchstaben »VORHOF«. Darunter war spielerisch mit roter Farbe ein kleines, lächelndes Smiley, hingekritzelt worden, dessen mittlerweile verschmierte Konturen es ungemein gruselig wirken ließ. Mein erster Gedanke war, ob mich ein psychopathischer Bastard unter Medikamente gesetzt hatte und das alles ein makabrer Streich sein konnte. Möglich wär es gewesen, aber wie ich später herausfinden sollte, traf dies nicht zu. Leider. Naja irgendwie schon, auf eine gewisse Art und Weise. Egal.

      Praktischerweise steckte der Schlüssel. In dem heillosen Durcheinander hätte ich ihn nie finden können. Das Türschloss hatte bereits Rost angesetzt und einen kurzen Augenblick lang befürchtete ich, dass es nicht mehr nutzbar sein könnte. Schrill quietschend, so laut, wie ein vor Schmerz schreiendes Tier, ging sie auf und schloss sich ebenso geräuschvoll. Dieser absurd schiefe Klang ließ mir sämtliche Haare zu Berge steigen und eine Welle unangenehmer Kälte fuhr mir den Rücken hinab. Es schüttelte mich regelrecht durch. Das Treppenhaus stand in Staub. Ich sah unzählige Fußabdrücke auf dem einst so hellen Fliesenboden und ein alter Geruch von Ewigkeit hing in der Luft.

      Die Wände selbst wurden von einer fusseligen Staubschicht bedeckt. Nicht einmal mit Hilfe einer blühenden Fantasie hätte man die einstige Farbe des Treppenhauses vermuten können. Dunkles grau. War das ungewöhnlich? Vorsichtig ging ich in Richtung Treppe und umfasste das kühle Geländer mit der Furcht im Nacken, ein vermeintlicher Peiniger könnte mir hier auflauern. Argwöhnisch hielt ich inne. Einbildungskraft kann unter Umständen die größte Folter sein.

      Ich setzte ängstlich einen Fuß auf die oberste Stufe. »BUMM!« Ein klammes Gefühl breitete sich in der Magengegend aus und ich schämte mich ein wenig für den Angstfilm, der meine Stirn mehr und mehr in Beschlag zu nehmen drohte. Bei jedem Schritt, den ich auf eine Treppe setzte, dröhnte der dumpfe Bass anmutig wie der eines ruhigen Herzschlages sacht hallend durch das Gebäude. Je schneller ich auf die Stufen trat, desto plötzlicher hörte ich den stumpfen Ton dröhnen. Raus, raus, raus. Etage um Etage nahm die Kälte zu. So dass es anfing, leicht auf der Haut zu brennen. Unten angekommen rutschte ich beinahe aus. Der Fußboden des Erdgeschosses war mit einer dicken Schicht Raureif überzogen.

      Beim Ein-und Ausatmen bildeten sich kleine weiße Wölkchen. Ich fröstelte sehr und schaute mich um. Ein stinknormaler Eingangsbereich eines Mehrfamilienhauses. Jedoch stach mir eine Deutlichkeit ins Auge. Blickte man zu den Stufen, die zu den Kellerabteilen hinab führten, konnte man glitzerndes Eis erkennen.

      Das Eis schien langsam empor zu wandern, die Treppe aufzufressen und drohte bereits einen Teil des Geländers zu überziehen. Was zum Teufel? Ein Spuk in meinem Kopf. Neugierig darüber, was der Grund für diese unnatürliche Kälteentwicklung sein konnte, lugte ich vorsichtig in das eisige Dunkel hinunter. Ich sah, dass die Tür, welche tiefer in das Gewölbe des Hauses führte, völlig verreist und unpassierbar war. Komplett zugefroren. Mir war so kalt. So verflucht kalt. In einer Weise klirrend, dass mein Körper zügellos zu zittern begann. Anscheinend hatte niemand Anstrengungen unternommen, das Eis zu entfernen.

      Das konnte, nein, durfte nicht real sein! Mir blieb kaum etwas anderes übrig als mit fassungsloser Ungläubigkeit den Kopf zu schütteln. Das alles hier überstieg meine Vorstellungskraft. Aus Angst, ich könne ausrutschen, tappte ich verwirrt und völlig ungelenk über den vereisten Boden zur Haustür. In der Wand rechts neben dem Eingang war ein Briefkasten eingelassen. Auf seiner kleinen Tür prangte ein schmales Schildchen. Doch der Name, der darauf stehen sollte, war unkenntlich gemacht worden. Die tiefen Furchen deuteten auf einen spitzen Gegenstand hin. Ich war verdutzt. Nur ein Briefkasten? Es dauerte einen Augenblick, bis mich die Erkenntnis traf. Nirgends hatte ich andere Wohnungseingänge gesehen, obwohl ich ja ein paar Etagen hinabgestiegen war. Was war das nur für ein Haus?

      Skeptisch schaute ich die Treppe hinauf, doch die sichtlich gewöhnlichen Stufen und Geländer