M.T. Schobach

Vorhof


Скачать книгу

übervorsichtig zum Ausgang. Das gelang, ohne zu fallen. Dankbar trat ich hinaus ins Freie. Erst nach mehreren Schritten viel mir auf, dass die Temperatur um ein Vielfaches angenehmer war, als die des Treppenhauses und das zuckende Schaudern meiner Glieder ebbte ab.

      Das Wetter wirkte mild. Jedenfalls um einiges wärmer als in diesem skurrilen Loch. Als ich mich umblickte, um mir ein Bild von meinem Standort zu machen, stellte ich fest, dass es hier keine Farben gab. Das Stadtbild bestand nur aus Grautönen, Weiß und Schwarz. Was sollten Farben überhaupt sein? Ich fühlte mich, wie in einem dieser Noirefilme zurückversetzt. Die Häuser weißgrau, das Gras dunkelgrau und ich hellgrau. In der Wohnung hatten doch Farbtöne existiert, dessen war ich mir fast gewiss.

      Eine Welt in Grautönen, wie wunderschön, dachte ich bitter. Farblos und menschenleer. Obgleich es sich um eine Hauptstraße zu handeln schien, konnte ich niemanden ausmachen. Es herrschte völlige Stille, die nur ab und an von dem Krächzen einer Schar Raben unterbrochen wurde. Ich ging ein Stück. Ziellos. Wusste nicht wohin. Der Nebel, den ich verschwunden geglaubt hatte, eroberte sich die Straße wieder zurück und auf einen Schlag war ich ohne Orientierung. Er wurde immer dicker und undurchsichtiger. Waberte träge über den harten Asphalt und umhüllten meinen Körper. Der Schleier machte ein zügiges Vorankommen unmöglich. Ich konnte mich ausschließlich an den Schemen der Laternen orientieren und stolperte ziellos an verlassen aussehenden Häusern vorbei. Sie schienen jeglichem Leben beraubt zu sein. Hohl, wie eine von innen zerfressene Frucht.

      Auch nur wegen der blinkenden Reklametafeln fiel mir ein altes Kino auf. Von der Fassade bröckelte bereits der Putz. Der einzige Filmtipp, der auf herausnehmbaren Lettern über dem Eingangstor stand lautete: »Ultima Memoria« - Ein lächerlicher Titel. Wahrscheinlich hätte ich ihn mir nicht angesehen. Ich versuchte etwas, durch das schmale Türfenster zu erkennen. Die Scheiben waren so matt von innen beschlagen, dass es sich als sinnlos herausstellte. Vergebens strich ich darüber, in der Hoffnung doch noch einen Blick in das Foyer werfen zu können. Flüchtig kam mir der Gedanke, gegen die massive Einlasstür zu klopfen, entschied mich aber nach kurzem Hadern schließlich dafür, es gut sein zu lassen.

      Verloren legte ich den Kopf in den Nacken. Ein kleiner Tropfen platschte mir auf die Nasenspitze. Es begann leicht zu nieseln und ein ungemütlicher Wind blies mir entgegen. Zu allem Überfluss hatte ich keine Jacke an. Na Super. Eine staubige schwarze Hose, ein Unterhemd, ein weißes, fleckiges Hemd und ein Paar schlichte Halbschuhe. Unter einer wetterfesten Ausstattung verstand man was anderes. Deprimiert schaute ich mich um. Vor den Häuserblocks, die wie leere, verhärmte Gesichter gafften, standen einige Autos. Schrottlauben, die vermutlich irgendwelche Spinner demoliert hatten. Ein paar rostzerfressen. Aber alle schienen einst ausgebrannt zu sein.

      Die Bäume, die die Straße umrahmten waren nahezu kahl und die Stämme sahen seltsam brüchig und verrußt aus. Manchmal wirkten sie total zerstört. Es schien, als hätte man versucht, sie anzuzünden. Die Baumrinden waren morsch geworden und wurden von kleinen Rissen durchzogen. Wie zersprungene Marmorplatten. Ich ging weiter die Straße entlang. Begegnete aber weder einer Menschenseele noch konnte ich weit und breit einen Anhaltspunkt für menschliches Leben ausmachen. Abgesehen von diesem Schwarm Raben, die fröhlich auf den Dächern krächzten und mich mit neugierigen Blicken beobachteten, schien die Stadt frei von Daseinsformen.

      Jener Umstand ließ die Vögel sonderbar hämisch wirken. Aber das konnte man ebenso gut einer fortgeschrittenen Paranoia zuschreiben. Ich beschleunigte meine Schritte und mir lief es kalt über die Schulter. Es mag sich total bescheuert anhören, doch fühlte ich mich durch die verwaisten Fenster beobachtet. Sie starrten ohne Unterbrechung mit ihren dunklen Augenhöhlen tief in meine Seele hinein! Wo waren denn alle geblieben? Nicht dass ich nach einer bestimmten Person Ausschau gehalten habe, wie auch? Aber es fühlte sich einfach keinesfalls richtig an, eine so große Wohngegend ohne Bewohner. Nur dieser schwere Hauch einer postapokalyptischen Aura, der wie ein düsterer Schleier über der gesamten Gegend thronte, vergegenwärtigte sich mir zunehmend. Nahezu greifbar. Ich hätte mich auch über einen streunenden Hund gefreut, eine, über die Schulter arrogant blickende Katze.

      Einfach alles schien mich aufzufressen. Egal ob Hauswand oder Asphalt. Ich lief noch einige Meter die skelettartige Allee entlang. Das Stadtbild änderte sich kaum. Ab und an umging ich ein verrostetes Auto, eine umgestürzte, angesengte Tonne. Das war mitnichten neu für mich und mittlerweile beachtete ich diese Skurrilität so gut wie gar nicht mehr. Also ging ich weiter.

      Kapitel 2

      Einige Zeit später, ich hätte es fast übersehen, kam ich an einem kleinen Geschäft vorbei. Naja, klein ist gut, es hätte vielmehr das Prädikat »schäbig« verdient. »Lebensmittel und Haushaltswaren«, stand in schiefen Buchstaben, auf der sich gemächlich, vom Wind hin und her schaukelnder, Tafel. An der Eingangstür, die aus mattem dunklem Glas bestand, prangte ein Schild, auf dem mit übertriebener Fröhlichkeit Blumen um das Wort »Geöffnet« gemalt worden waren.

      Ich kann es nicht erklären, aber dieses talentlos geschmierte Schildchen spendete komischerweise Trost. Um die Harmonie noch zu vollenden, hatte man ein kleines Auto an der Wand neben der Tür postiert. Eine Art Karussell, wahrscheinlich um nörgelnde Kinder zu beschäftigen. Ein Funken Normalität, der ein wenig beruhigte. Als ich eintrat, schrie ich vor Schmerz auf. Ein brennender Stich in den Augen ließ mich laut Aufschreien. Ich versuchte reflexhaft selbige, mit den Händen zu schützen. Mein Schädel schmerzte und kurz wurde mir richtig schwummrig. Schon einen Moment später war es vorbei.

      Vorsichtig blickte ich zwischen meinen schützenden Fingern. Was für eine Reizüberflutung. Von Blau, Gelb, Grün, Lila, Rot und all die anderen Farben. Es wirkte auf eine seltsame Art und Weise kitschig auf mich. Unpassend. Wie von selbst schnappte ich mir einen der roten Plastikkörbe und durchquerte das Drehkreuz in der Hoffnung ich könnte auf Leute treffen, die ihre alltäglichen Besorgungen erledigten. Ich blieb abrupt stehen. Denn im Grunde genommen wollte ich mir gar nichts kaufen und guckte ratlos auf den Korb herab und stellte dieses eher unpraktische Ding verstohlen auf die Seite.

      Der Laden schien, entgegen meines ersten Eindrucks, den die Fassade mir vorspielte, recht groß. Es war vermutlich ein ganz gewöhnlicher Supermarkt mit den üblichen Abteilungen. Nach einigen Schritten durch Regale voller Krimskrams geschah es. Schlagartig zog mir ein fauliger Geruch in die Nase. Ich stockte. Die Kästen in der Obst- und Gemüseabteilung waren mit grün und grau tönigem Schimmel überzogen. Aber das war nicht das Eigenartigste. Da stand jemand und mein Puls begann, sich vor Aufregung zu beschleunigen. Eine Angestellte, sie mochte so Anfang zwanzig gewesen sein, räumte frisches Obst in versiffte Körbe ein. Ein legitimer Kündigungsgrund, wie ich trocken feststellte. Und zu allem Überfluss noch in diesen vollkommen monotonen und geschmeidigen Bewegungen, als wäre das die gewissenhafte Ausführung von, sagen wir mal, einer eher suboptimalen Firmenpolitik.

      Ich stand weniger als drei Meter von ihr entfernt. Und, obgleich hier sonst kein Anderer außer mir anwesend war und allem Anschein nach auch schon seit einiger Zeit niemand mehr in diesem Geschäft eingekauft hatte, nahm sie mich nicht wahr. Als wäre ich meiner Existenz beraubt. Sie hatte die langen dunklen Haare zu einem streng wirkenden Zopf gebunden, einen Dutt? Haarknoten? Null Ahnung, wie das genannt wird. Ich ging vorsichtig ein paar Schritte nach links, um ihr Profil sehen zu können. Abgesehen davon, dass sie eine versteinerte und finstere Mine aufgesetzt hatte, fand ich sie äußerst hübsch.

      Eigenartigerweise zu hübsch. Sie wirkte wie eine einst deplatzierte Fee, der diese Arbeit aus Mangel an Kreativität zugewiesen worden war. So unwirklich, dass man es eben nicht erklären kann. Der Inbegriff von fehl am Platz. Ich wollte sie antippen und fragen, was zur Hölle denn hier vorging. Doch bevor mein Zeigefinger die schmale Schulter erreichen konnte, drehte sie sich zu mir um und ich sah zur Überraschung, dass sie weinte. Naja tränte würde es eher treffen. Sie gab ja keinen Ton über ihre vollen Lippen. Ich runzelte perplex die Stirn. Leise kullerten dicke Tropfen von traurigen und leeren Augen die Wangen hinab. Der wütende oder säuerlich verzogene Mund blieb wie gehabt aus Stein gemeißelt, aber ihre graublauen Augen, die sich stetig mit Tränenwasser füllten, blickten hektisch um her. Voller Furcht. Plötzlich hob sie den Arm und zeigte mit einer bestimmenden Geste gen Ausgang.

      Das