M.T. Schobach

Vorhof


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hinweg und schüttelte ungläubig den Kopf. »Auf Ihrem Schild steht nämlich, dass Sie geöffnet haben. Was machen Sie überhaupt? Sehen Sie denn nicht, dass hier alles faulig und verschimmelt ist?« Es war dämlich auf das Offensichtliche zu deuten und verlegen fasste ich mir ans Kinn. Ich war selbst ein wenig über meine Schroffheit erstaunt. Die Nerven lagen eben blank.

      Kurz verharrten ihre suchenden Blicke. Dann sah sie mich fest an. Die Pupillen der jungen Frau schienen sich wie Enterhaken an mir festzukrallen. Wenn die Augen die Spiegel unserer Seelen sind, so musste ihre gebrochen sein und je länger ich in diese tiefe eisblaue Agonie blickte, desto mehr überfiel mich Hoffnungslosigkeit. Ein dunkler Schatten, der umsichtig und mit kühler Zärtlichkeit die Zuversicht in mir hinterrücks erdrosselte. In ihnen konnte ich so Vieles lesen und verstand dennoch rein gar nichts.

      Ich versuchte meinen Blick von ihr loszureißen, doch zogen mich diese tiefen Augen wie zwei erbarmungslose Magnete an. Sie verzog die schönen Lippen zu einem schiefen, ja fast gehässigen Grinsen und winkte kopfschüttelnd ab. Die junge Dame hatte schneeweiße Zähne, aber dank der übertrieben geschnittenen Fratze, hatte sie mehr mit einem Raubtier gemein, als mit einer attraktiven Frau. Ich wollte noch zu einer Bemerkung ansetzen, doch sie hatte sich schon von mir abgewendet und ihr Körper nahm wieder die routinierten Arbeitsbewegungen an. »Entschuldigung«, fragte ich gedämpft, und als sie nicht zu hören schien, noch etwas lauter. »Ähm, verstehen Sie mich denn überhaupt?« Doch sie gab nur ein komisches Geräusch von sich, das in meinen Ohren wie ein schadenfrohes Kichern klang.

      Ich blieb beharrlich. »Können Sie mir den Namen dieser Stadt nennen?«, fragte ich ein wenig hoffnungsvoll. Anstatt mir zu antworten, zeigte sie mit ihrem schlanken Zeigefinger auf mich. Ich schüttelte enttäuscht den Kopf. »Ja, danke für nichts und so«, seufzte ich resigniert und tat es mit einem Achselzucken ab. Aber der düstere Schatten in mir breitete sich aus. Nur ein surrealer abgefuckter Traum, mehr ist das nicht. Mehr darf und kann es einfach nicht sein. Verrückte Schachtel. Ich ging weiter, zugegeben, hastiger als zuvor. Die Frau hatte etwas Unberechenbares an sich und stellte das auch noch unverhohlen zur Schau. Im Gehen drehte ich mich nochmal um, nur um meinen Verfolgungswahn zu beschwichtigen. Die Angestellte machte weiter wie gehabt. Mein lieber Scholli, war die unheimlich!

      Ich versuchte es in der Kühlabteilung für Fertiggerichte. Auch dort war kein Schwein zusehen, wie hilfreich. Wie ein Schiffbrüchiger klammerte ich mich an meinen Sarkasmus. Plötzlich wurde es unglaublich warm. Der Boden war, mit kleinen Pfützen überseht. In den Kühlbehältern befand sich nichts Genießbares, aber das überraschte mich kaum. Eigentlich war das auch egal. Ich verspürte keinen Hunger. Wen wunderte das schon bei diesem Gestank. Seltsamerweise nicht einmal Durst. Ich durchquerte die riesige Abteilung. Der Laden hatte von außen so klein gewirkt und nun musste ich feststellen, dass er, verglichen mit seiner Fassade, kolossal erschien.

      Geschmolzenes Eis, miefender Joghurt, ranziger Käse und was weiß ich noch alles, standen säuberlich aufgereiht in den Kühlregalen. Das war unfassbar. Ich bog um die Ecke und fand mich vor noch mehr tauender Tiefkühlkost. Ein Geruch, den ich nicht einordnen konnte, begann die Sinne einzunehmen. Mein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse des Ekels und ich musste reflexartig würgen. Schlagartig wurde mir übel und eine unsichtbare Schlinge schnürte den Magen fest zusammen. Ich würgte noch einmal trocken und Flüssigkeit stieg in meine Augen. Was bitte auf der Welt konnte so abartig stinken?

      Fast blind vor Tränen wankte ich vorwärts, und obgleich ich mich beeilte, fühlte es sich so an, als ob sich der Boden an meinen Füßen festsog. Er klebte und war gleichzeitig rutschig. Ich rieb mir die Augen und mit vor Schreck geöffneten Mund sah ich, dass der gesamte Flur mit einem rötlich schimmernden Film bedeckt wurde. Blut? Wieder in die Horizontale blickend sah ich jemanden hinter einer Theke etwas in kleine Stücke hacken. Von Weitem schien es dort zu flimmern, und als ich näher trat, musste ich laut keuchen. Schreien ließ meine Fassungslosigkeit nicht mehr zu. Es hatte mir wortwörtlich die Sprache verschlagen.

      Die Fleisch-und Wursttheke befand sich, nun sagen wir in einem äußerst lebendigen Zustand. Es stank nach Verwesung, nach reinem Tod und meine Nase sehnte sich nach dem vergleichsweise erfrischenden Geruch der Obstabteilung. Ich presste mir mit einer Hand den Ärmel des Hemds vor den Mund und dem ohnehin geschundenen Riechorgan. Einen kurzen Blick auf die mit Maden überzogenen Blutklumpen genügte und ich begann, mich zu erbrechen. Das war sie wieder, die gute alte Galle.

      Der Metzger, ein hünenhafter Mann, mit herzlichem Lächeln schien mir die Abscheu nicht anzusehen. «Bitteschön«, säuselte er. »Was darf ich Ihnen bringen?« Sofern er mein fassungslos bleiches, dreinblickendes Gesicht bemerkte, zeigte er es kein bisschen. »Können sich wohl bei unserem umfangreichen Sortiment nicht entscheiden, was? Sagen Sie nur Bescheid, wenn Sie Ihre Auswahl getroffen haben. Aber seien Sie so nett und lassen Sie die anderen Kunden erst mal vor.« Verwirrt drehte ich den Kopf und blickte hinter mich. Nichts. Niemand. »Da ist doch keiner«, sprach ich mit hoher, schriller Stimme und presste mir dabei angeekelt meine linke Hand vor Mund und Nase. Ich wollte nur raus hier.

      Der Fleischer schien mit jemandem zu sprechen, jedenfalls gab er ein unverständliches Brabbeln von sich. Er nickte verständnisvoll ins Leere und die Mimik äußerte sich in jener Weise, wie man es als sein Gegenüber in einem höflichen Gespräch erwartet hätte. Naja, nur dass er eben kein Wort sagte. Dann blickten mich die leeren Augen an und das freundliche Gesicht verwandelte sich schlagartig in eine verzerrt, bösartige Fratze.

      »Ich hätte da auch andere Leckerbissen im Angebot.« In den einen orangefarbenen Behälter hinter sich greifend, zog er den verbrannten Kopf eines Menschen hervor und klatschte ihn, immer noch breit grinsend, auf ein massives, hölzernes Schneidebrett. Meine Augen weiteten sich vor Entsetzen und ich schrie vor Schrecken. Aus voller Kehle. Die Musikboxen des Ladens ertönten und die typische Musik erklang, die man sonst auch in Supermärkten aufgedrängt bekommt. Schlechtes Zeug aus den Charts eben.

      Der Schrei, der meinen Brustkorb zum Vibrieren brachte, ging unter. Ich hob unbeholfen die Arme, machte hastig einen Schritt zurück, rutschte aus und klatschte, auf den mit Blut überzogenen, Boden. Ich versuchte aufzustehen, jedoch bekam ich mit meinen Händen und Füßen keinen Halt. Der Metzger schlurfte mit schmerzverzogenem Gesicht die Theke entlang und verschwand in einem Raum, der mittels zwei dicken Plastiklappen abgetrennt wurde.

      Das Licht im gesamten Supermarkt begann wie wild zu flackern, erstarb für einige Sekunden, nur um wieder hektisch zu flimmern. Ich erstarrte. Mein Herz klopfte so schnell und stark, so dass ich Angst hatte, es könne zerspringen. Ich wimmerte, als ich Schritte hörte. Adrenalin schoss in meine Adern. Langsame Schritte. Unbewaffnet. Ein gemächliches Schlurfen. Panik und Todesangst verstärkten den nackten Überlebenswillen. Ich versuchte zu rennen. Dummerweise viel zu hastig und ich rutschte aus. »Scheiße, Scheiße, Scheiße!« Mein Herz schlug nun so heftig, dass es mir in den Ohren rauschte und ich robbte mit der Angst im Nacken vorwärts. Die Kleidung, die Hände, einfach alles blutverschmiert. Das war egal. Ausschließlich ein Gedanke dominierte meinen Verstand: raus hier, und zwar in einem Stück!

      Das Schlurfen wurde zunehmend hörbarer und im spärlichen Licht, dass mir wie ein glimmender Kerzendocht erschien, erkannte ich einen grobschlächtigen Mann mit Schürze und Hackbeil. Er lachte und mir schwand der Mut. Der miese Wichser lachte. Und es kam mir komischerweise vertraut vor, dieses Gelächter. Ich wusste nur nicht weshalb. Und er kam immer näher, seine vom Blut verkrustete Waffe lässig in der Hand drehend. Er befand sich noch etwa fünfzehn, vielleicht auch zwanzig Meter von mir entfernt.

      Ich klammerte mich an eine Kühlauslage und spannte Sehnen und Muskelfasern bis zu ihrem Limit an. Mit aller Kraft zog ich meinen Oberkörper hoch. Die Füße erwiesen mir keine Hilfe, da der Boden so rutschig wie Glatteis war. Nur um wieder auf den Gang zu knallen. Verflucht tat das weh. Schmerzverzerrt sah ich hastig hinter mich. Zehn Meter. Er schien nahezu vollständig verbrannt und roch nach Ruß und Tod. Nur im aufflackernden Licht konnte ich das erkennen. Die Haut an seinen Unterarmen war aufgeplatzt und glänzte wie eine saftige Grillwurst. Stellenweise war sie auch schwarz. Das Gesicht hatte nichts mehr mit der freundlichen und runden Miene gemein, die mich einige Augenblicke vorher angesehen hatte.

      Die Gesichtspartien unterhalb der einstigen Nase bestanden nur aus blanken