Z. Bär

Ina


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„Das werde ich, danke Map. – Wo ist sie gerade?“

       „Auf dem Markt, sie wird erst gegen Abend zurückkehren. Wir hatten dich nicht so früh erwartet“, sie musterte Ina mit ihrem kritischen Blick von oben bis unten. Ina blickte unbeabsichtigt selbst an sich hinunter und bemerkte erst jetzt, dass sie keinen guten Eindruck machte. In ihrer staubigen Rekrutenuniform, mit den abgewetzten Knien, den teilweise ausgefransten Nähten und den zerrissenen Knopflöchern entsprach sie keineswegs der Norm, die man sich in diesem Haus gewohnt war. Zum Glück war es nur Map die sie so sah. Schliesslich unterbrach Map die Stille: „Ich lasse dir ein Bad ein. – Du hast noch genug Zeit dich zu waschen und danach werde ich dir in der Küche etwas zu Essen machen.“ Mit einem erzwungenen Lächeln antwortete Ina schlicht: „Danke.“ Map drehte sich um und verliess das Zimmer. Sie wusste, dass Ina wahrscheinlich seit mehr als einem Tag nicht mehr geschlafen hatte, dass sie in den letzten Tagen wohl mehr als eine Mahlzeit verpasste und deshalb nahm sie ihr ihre Wortkargheit und ihr Verhalten nicht übel.

       Ina ging zum Fenster. Es war dieselbe Aussicht wie früher. Das Gras hatte dasselbe grün, die Sträucher waren etwas grösser, der Tisch mit den Stühlen stand noch immer in der Mitte des Gartens und die Bäume, hinter denen sich die bewachte Mauer versteckte, waren immer noch die Herberge zahlreicher Singvögel. Dahinter erhob sich der Hügel auf dem die Natur wucherte. Dieser Hügel hatte sich verändert. Sehr verändert. Einige Büsche waren zu kleinen Bäumen herangewachsen, dafür hatten sich auf einer Grasfläche Sträucher angesiedelt. An diesem Hügel erkannte Ina, dass viel Zeit vergangen war. Sie drehte sich langsam und betrachtete ihr Zimmer. Das Bett war grösser – ein Bett für zwei Personen. Der Kleiderschrank wurde durch einen grösseren ersetzt, an dessen Front von oben bis unten ein Spiegel ragte. Rechts vom Fenster stand ein Tisch auf dem sich ebenfalls ein Spiegel befand. Daneben fand sich eine Kommode, die Ina bis zu den Schultern reichte, zahlreiche Schubladen mit silberfarbenen Griffen bedeckten die Vorderseite. Alle Möbel waren grau. Sogar der Bettüberwurf war silber-grau. Ein kühles Zimmer. Eingerichtet von einer Person die Ina nicht kannte und sie noch weniger mochte. Sie auch nicht in ihrem Haus haben wollte. Ina ging auf das Bett zu und liess sich fallen. Mit ausgestreckten Armen lag sie da und drückte ihr Gesicht in die Kissen. - Weich, das Bett war weich. Sie konnte sich kaum noch an dieses Gefühl erinnern. Auf der Rekrutenschule hatte sie ein schmales Brett das man Bett nannte. Sie und die anderen Rekruten hatten die ersten Nächte dort kaum geschlafen. An die Rückenschmerzen, die sie alle hatten mochte Ina gar nicht denken.

      Die Tür ging auf und jemand trat herein. Ihre Neugier wer es war wurde von Ihrer Müdigkeit übertroffen, also blieb sie regungslos liegen. Jemand stellte etwas auf das Bett und öffnete danach ihre Tasche die neben dem Schrank lag. Ihre Kleider landeten neben der Tasche auf dem Boden. „Hast du gut geschlafen?“

      „Ich habe nicht geschlafen. Niemand kann innerhalb von einer Minute einschlafen Map.“ Ein leises Lachen ertönte: „Es waren drei Stunden.“

      Ina sah Map ungläubig an. Neben Ihr auf dem Bett befand sich ein Tablett mit Früchten, Brei, Brot und einem Glas Wasser. „Iss etwas. Ich werde die Kleider wegbringen und danach kannst du dich waschen.“ Und schon war Map wieder aus dem Zimmer verschwunden. Ina rappelte sich auf allen Vieren hoch und setzte sich neben dem Tablett hin. Löffelte in der Schüssel Brei. Ihre Arme waren schwer, dass sie den Löffel kaum bis zu ihrem Mund bewegen konnte. Wie gerne hätte sie jetzt ein Stück Fleisch gegessen. Aber da sie seit drei Tagen kaum etwas zwischen den Zähnen hatte war der Brei das richtige und Map wusste das nur zu genau. Die Schüssel war schnell leer und Ina griff nach dem Glas Wasser. Während sie es ohne Unterbruch leerte wurde ihr bewusst wie durstig sie eigentlich war. Sie hielt es noch an Ihren Lippen als es schon leer war um auch noch den letzten Tropfen zu bekommen. Als Map wieder ins Zimmer trat hielt sie das Glas noch immer in ihren Händen. Sie nahm es ihr aus der Hand und zog sie mit den Worten: „Du kannst später noch träumen“, hoch. Schob sie vor sich her auf den Korridor hinaus. Dort gingen sie nach links und dann die dritte Tür auf der rechten Seite wieder hinein. Ina schwoll eine Wolke Wasserdampf ins Gesicht, dass sie die Augen schloss und tief einatmete. – Blütenduft. Map gab ihr einen kleinen Schubs, da sie die Tür blockierte. Als sich die Tür hinter Map schloss, fing sie an an Ina’s Kleidern herum zuzupfen, öffnete die Knöpfe ihres Hemdes und half ihr, es auszuziehen. Der Dreck daran war bereits eingetrocknet. Als sie alle Kleider auf ihren Armen hatte, deutete sie Ina mit einem Kopfnicken in die Badewanne zu steigen. Das Wasser war angenehm warm. Als sie ganz in das duftende Bad eingetaucht war verliess Map den Raum und löschte das Licht, welches ohnehin viel zu hell war. Die Kerze die sie aufgestellt hatte erleuchtete den Raum genug. Ina legte den Kopf zurück und drehte mit ihrem Fuss das heisse Wasser auf. Das letzte Bad hatte sie vor 3 Jahren. Auf der Rekrutenschule war es bereits Luxus, wenn man duschen konnte. Und Urlaub hatte sie nie erhalten. Die wenigen Tage Freizeit, die ihnen während den ganzen drei Jahren zugestanden wurden, hatte sie steht’s auf dem Rekrutenschulegelände verbracht. Die Anreise und Rückreise hätte viel zu viel Zeit in Anspruch genommen. So dass sie letztendlich gar nichts davon gehabt hätte. Einmal in drei Jahren erhielten sie eine ganze Woche Urlaub. Doch auch diese Woche hatte Ina auf der Rekrutenschule verbracht. - Sonderausbildung hatte man es genannt. Beinahe die Hälfte aller Rekruten musste daran teilnehmen. Auf Grund welcher Kriterien diese Rekruten ausgewählt wurden, war ihnen allen Rätselhaft. Denn nicht alle gehörten zu den Schlechtesten. Sie betrachtete den Dampf der hochstieg und den Spiegel beschlug, tauchte ganz unter Wasser. Nach einigen Sekunden öffnete sie ihre Augen und sah Map’s verzerrte Silhouette. Als sie wieder auftauchte war diese damit beschäftigt verschiedene Tücher bereit zu legen. Ina beobachtete sie bei ihrer Arbeit. Map entsprach ungefähr der Durchschnittsgrösse einer Seranerin, hatte dunkelbraune Augen, schmale Lippen, ein sanftes, einfühlsames Gesicht das bereits einige Falten aufwies und eine schlanke Statur. In ihrer Jugend, musste sie eine Schönheit gewesen sein. Sie trug ein einteiliges braunes Kleid das ihr bis zu den Fussgelenken reichte und bis zum Hals geschlossen war. – Map trug niemals Kleider mit einem Ausschnitt. Lange Ärmel und ein schlichter Schnitt waren ihre Norm. Ihre Haare waren bereits grau und wie immer hochgesteckt. Kein einziges Schmuckstück verzierte ihre Hände, Ohren, Haare oder ihren Hals. Von Kopf bis Fuss bescheiden. Doch Map war zufrieden damit, denn im Gegensatz zu allen anderen Angestellten musste sie keine Arbeitskleidung tragen an der man sie gleich als Bedienstete erkannte, solange sie sich angemessen kleidete. Sie war von Natur aus eine ruhige Person, stets korrekt und immer gut gelaunt, dachte nach, bevor sie etwas aussprach. – Das taten bei weitem nicht alle Seraner.

      Map arbeitete seit Jahren in diesem Haus, hatte als Küchengehilfin angefangen und sich im Laufe der Zeit durch ihre seriöse, vertrauenswürdige Art bis zur Aufsichtsperson der anderen Bediensteten aufgearbeitet. Sie tat nichts was ihre Position hätte gefährden können. Dies, weil sie auf ihre Arbeit angewiesen war und es sich noch dazu um eine gut bezahlte Stelle handelte. Obwohl Map in ihrer Jugend geheiratet hatte, hatte sie keine Kinder. Sie verliess ihren Mann fünf Jahre nach ihrer Heirat, aus Gründen die niemand so genau kannte, über die aber alle spekulierten. Über sich selbst sprach sie fast nie. Fragen wich sie immer geschickt aus. Map setzte sich auf einen Stuhl. Nach einer Weile der Stille sagte sie schliesslich: „Ich habe gehört, dass du gut abgeschlossen hast.“ Ina suchte ihren Blick: „Die Ergebnisse sind doch noch nicht bekannt?“

      „General Nilia kennt die Ergebnisse. Und er scheint mit deiner Leistung sehr zufrieden zu sein.“ Ina legte ihren Kopf wieder zurück: „Weißt du auch wieso er wollte, dass ich wieder hierher komme?“

      „Wo solltest du denn sonst hin?“ Das war eine gute Frage. Darauf hatte Ina keine Antwort: „Madam Nilia will mich doch immer noch nicht hier haben oder?“ Map antwortete nicht. „Streiten sie noch oder haben sie das auch schon aufgegeben?“ Ina wünschte sich sofort, sie hätte es nicht ausgesprochen, denn Map’s Blick erschlug sie fast. „Ihre Ehe war schon vor drei Jahren nicht glücklich. – Wenn sie es jemals war“, erklärte Ina ruhig und hoffte, dass sie Map damit etwas milder stimmte. Diese Ehe war vom ersten Tag an eine politische Angelegenheit. Das begriff sogar Ina. Nur Madam Nilia war damals, vor zwanzig Jahren noch zu jung gewesen, um dem Charme dieses Mannes zu entkommen und Nilia hatte sie sich zweifellos nur wegen ihrem einflussreichen Vater ausgesucht. Map strich gedankenverloren ihr Kleid glatt. Vielleicht war es ihr ja genau gleich ergangen. Wobei Ina diesen Gedanken gleich wieder verwarf. – Map hatte keine einflussreiche Familie, sonst würde