Z. Bär

Ina


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vergangen. Mit welcher Entschuldigung konnte sie sich vom Tisch entfernen? „Ich habe keinen Appetit!“ Madam Nilia erhob sich und ging auf die Tür zu. „Sag einfach, dass du nicht mit Ina an einem Tisch sitzen willst.“ Im gehen warf sie ihm zurück: „Es liegt nicht nur an ihr!“

      Ina griff verlegen nach der Gabel und versuchte etwas hinunter zu bringen. Nun konnte sie nicht mehr gehen. Sie hatte zu lange gezögert. Auf der Rekrutenschule hatte man ihr beigebracht nicht zu zögern und nun hatte sie es doch getan. Das Resultat war, dass sie alleine mit General Nilia da sass. An einem grossen Marmortisch an dem zwölf Personen Platz hätten und sie wusste nicht was sie sagen sollte.

      Es herrschte einige Minuten Stille. Auf der Rekrutenschule war es den Rekruten untersagt beim Essen zu sprechen. Doch hier war es eine unangenehme Stille. - Wie konnte sie diese Stille brechen? Nicht zögern dachte sie und fing an: „Es tut mir leid…“

      „Was?“ Unterbrach er sie schroff, was ihr den Atem raubte. „Dass durch mein Fehlverhalten diese Situation entstanden ist.“ Er lachte: „Diese Situation wäre ohnehin entstanden. Du bist nicht der Auslöser.“ Er wechselte das Thema ehe Ina auf seine Aussage reagieren konnte. „Map wird Morgen mit dir deine Uniform für die Feier holen.“

      „Das ist nicht nötig. Ich habe nicht vor hin zu gehen“, sie biss sich auf ihre Zunge, als sie seinen Blick bemerkte. „Du wirst hingehen. An solchen Feiern lernt man wichtige Leute kennen“, er erwartete keine Antwort von ihr. Sie hatte sich seinem Willen zu fügen. Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: „Hast du dir schon Gedanken darüber gemacht was du nun tun willst?“ Mit einigen Freunden eine Reise unternehmen. Am liebsten nie mehr zurückkommen. „Nicht direkt.“

      „Und das heisst?“ Er stellte diese Frage sehr autoritär.

      Sie suchte nach den richtigen Worten. Doch wahrscheinlich gab es keine richtigen Worte für das was sie tun wollte. Nicht zögern dachte sie. Nicht zögern. Er sah sie an und wartete auf ihre Antwort. „Ich möchte Seran für einige Wochen verlassen.“ Nilia behielt seinen Blick steif auf ihrem Gesicht ohne etwas zu sagen. „Acht oder neun Wochen.“ Nilia schob sich eine Gabel voll Gemüse in den Mund und kaute genüsslich darauf herum: „Und wohin willst du?“ Sie sammelte allen Mut: „Verschiedene Handelsstationen und Planeten besuchen. Die Sonnenaufgänge auf Terus sollen einmalig sein.“ Sein argwöhnischer Blick musterte sie sekundenlang: „Du willst zu Neven“, meinte er schliesslich ruhig und doch agressiv. „Nein“, ihre Antwort kam so schnell und bestimmt, dass offensichtlich war, dass sie mit dieser Unterstellung gerechnet hatte. Nilia analysierte ihr Gesicht. Er versuchte herauszufinden, ob sie ihn täuschen wollte. Ihre Teller wurden abgetragen und ein Krug mit heissem Wasser, eine Flasche Wein und Gläser wurden hingestellt. Mit einer Handbewegung deutete er den Bediensteten den Raum wieder zu verlassen. Er nahm zwei Gläser, schenkte Wein ein, schob eines zu Ina und fuhr fort: „Er ist ein Verräter.“ Ina wich seinen strengen Augen aus: „Das ist mir bekannt“, gab sie mit unterwürfiger Stimme zu. „Wieso willst du zu ihm?“ Sie drehte das Glas in ihrer Hand: „Ich will nicht zu ihm. Er hat Seran und mich verraten. Er hat mich alleine zurückgelassen. Wieso sollte ich ihn jemals wieder sehen wollen?“

      „Er hat dich aufgezogen. Neven war wie ein Vater für dich und…“

      „Er ist nicht mein Vater!“ Fuhr sie mit bebender Stimme dazwischen. Sie erschrak aufgrund ihrer eigenen Reaktion und bereute es. Sie hatte kein Recht in diesem Ton mit ihm zu sprechen. Das liess er sich von niemandem gefallen – schon gar nicht von ihr. Ein tiefer Atemzug, ihre Hände zitterten. Sie umschlang mit beiden Händen das Glas und fuhr mit ruhiger Stimme fort: „Hätten sie mich nicht in ihrer Grosszügigkeit aufgenommen, dann würde ich heute in den Strassen leben. Ich habe kein Interesse daran diesem Mann jemals wieder zu sehen. – Ich weiss nicht einmal wo er lebt.“

      „Das ist auch gut so. – Ich habe keine Kosten gescheut um dich ausbilden zu lassen. Wenn du es mir mit Verrat vergelten willst, wirst du es bereuen Ina“, seine Stimme war kalt und liess keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte. „Ich würde niemals bewusst etwas tun, was sie verärgern könnte General Nilia. Meine Treue ist ihnen sicher“, hätte sie diese Worte auf der Rekrutenschule nicht immer wieder geübt, wären sie ihr wohl im Hals stecken geblieben. - Ihm zu Treue verpflichtet zu sein widerte sie an. Doch so war es nun mal und sie konnte nichts daran ändern. Nilia nahm einem Schluck Wein, stellte das Glas hin und sah ihr in die Augen. Wie alle Seraner hatte er dunkle Augen. Seine Haare waren schwarz, ein kräftiges Gesicht mit einem eckigen Kinn und einem breiten Hals. Über seinem rechten Auge hatte er eine Narbe, diese zog er sich bei einem Strassenkampf in seiner Kindheit zu. Sein Körper war muskulös. Er hatte eine Ausstrahlung wie sie nur wenige besassen. Die Uniform die er eigentlich immer trug, rundete das Bild ab. Er war ein gut aussehender Seraner in den besten Jahren, wie man sagte. Und für sein Alter, das irgendwo um die fünfzig Jahre lag, hatte er es schon sehr weit gebracht. Ina fragte sich oft, was er noch vom Leben erwarten könnte. Er hatte noch so viel Zeit und kaum etwas wonach er noch streben konnte. Das Durchschnittsalter von Seranern lag bei ungefähr einhundertzehn Jahren. „Du wirst in kürze deinen Dienst antreten.“ Warum er sie überhaupt nach ihren Plänen fragte, wenn er schon entschieden hatte wie es mit ihr weiter ging, war kein Rätsel für Ina. – Er mochte es seine Untergebenen in falschen Hoffnungen winden zu lassen. „Danke General.“ Sich auch noch dafür bedanken zu müssen, war widerlich. Beide hoben die Gläser. Ein süsser Wein der ihre Kehle hinunterfloss und sie an die Rekrutenschule erinnerte. Es gab einige Rekruten die es immer wieder schafften an Wein heran zu kommen. In kalten Nächten wärmte er sie zusätzlich, denn ihre Decken taten es nicht. Und in den Nächten in denen sie keinen Wein hatten, rutschten sie einfach näher zusammen.

       „Ein junger Mann Namens Kilven ist hier, General.“ Nilia hob erfreut sein Gesicht: „Bring ihn herein“, wies er Map an, die den Jungen etwas skeptisch anmeldete.

       Eingetrockneter Matsch an den Schuhen, zerrissene Hosen, staubige Jacke, Tasche über der Schulter und soviel Dreck im Gesicht, dass man ihn kaum erkennen konnte. Er sah genauso furchtbar aus wie Ina selbst noch vor wenigen Stunden. Aber er war es. Kilven, einer ihrer besten Freunde von der Rekrutenschule. Er hatte immer ein aufmunterndes Wort, ein Lächeln und eine Umarmung für sie gehabt wenn ihr die Energie fehlte um weiter zu machen. Einige Jahre älter als sie selbst und im Gegensatz zu ihr war für ihn die Rekrutenschule das Beste was in seinem Leben passiert war. Ein Junge von der Strasse, der das Glück hatte, dass ein reicher Mann während einem Strassenkampf auf ihn aufmerksam wurde und seine Ausbildung finanzierte. Viele reiche Seraner finanzierten Strassenkindern eine Ausbildung und sicherten sich so ihre Loyalität. Aber Kilven wurde von Nilia finanziert?! Ina stockte wieder der Atem, nicht zum ersten Mal an diesem Tag! General Nilia ging zu ihm und schüttelte ihm die Hand: „Einige Stunden länger als Ina, aber du hast es geschafft. Ich bin zufrieden.“ Kilven wirkte erschöpft und doch voller Energie: „Ich hoffe ich habe sie nicht enttäuscht General.“

      „Du hast bestanden. Meine Investition hat sich gelohnt. Setz dich zu uns und iss etwas. Du musst hungrig sein“, er deutete auf den Tisch. Genauer, auf den Stuhl neben Ina. Kilven liess seine Tasche fallen und ging auf Ina zu. Irgendwie realisierte sie immer noch nicht ganz was sich da abspielte. Nur langsam begriff sie, dass Nilia der reiche Gönner war, der Kilven's Ausbildung finanzierte. Kilven setzte sich mühsam auf den Stuhl neben ihr und drückte ihr einen schmierigen Kuss auf die Wange. – Wieviele Nächte hatten sie zusammen hinter einem Busch verbracht und Wache gehalten? Wie oft hatte sie in seinen Armen geweint und Nilia verflucht? Wie oft hatte sie ihm von Neven erzählt?! Von ihren Plänen Seran für immer zu verlassen?! – Und die ganze Zeit über war er Nilia’s Spitzel gewesen!

      Map kam mit einem Teller herein und stellte ihn Kilven hin. Man sah wie ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Bei ihm war es nicht drei Jahre her seit er das letzte Mal so etwas gegessen hatte. Wahrscheinlicher war, dass er noch nie einen Teller gefüllt mit Fleisch vor sich hatte. Er griff nach Gabel und Messer und fing gierig an alles hinunterzuschlingen. „Es ist gut, dass ihr euch versteht. Ihr werdet in Zukunft wahrscheinlich oft zusammenarbeiten“, Nilia legte seinen Arm auf den Tisch und musterte sie beide zufrieden. „Sie haben schon Pläne für uns, General?“ Nilia blickte Kilven mit Genugtuung entgegen. Ina konnte sich denken weshalb. - Noch einer mehr, der ihm verpflichtet war. „Natürlich. Aber darüber sprechen wir nicht heute. – Willst du Seran auch