Z. Bär

Ina


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die nötige Energie, um dieses Spiel weiter zu spielen. Sie bemühen sich nicht einmal mehr ihre Unstimmigkeiten ungestört auszutragen. Es ist ihnen egal wenn die Hälfte des Personals alles hört was sie sich an den Kopf werfen. – Es ist ein offenes Geheimnis.“ Ina wunderte sich darüber, dass Map es so offen aussprach aber noch mehr wunderte sie sich über ihr Mitgefühl für Madam Nilia. Ina konnte diese Emotion nicht teilen. Von Madam Nilia hörte sie nie ein einziges nettes Wort. „Und ihr Sohn?“

      „General Nilia hat Jerma in ein Internat geschickt. So bekommt er wenigstens nicht alles mit. In einem Monat wird er auf die Rekrutenschule gehen.“ Ina glaubte nicht recht zu hören: „Auf dieselbe Rekrutenschule?“ Dass er sie dort hin geschickt hatte war eine Sache. Aber seinen eigenen Sohn für drei Jahre in diese – wie sollte sie es nennen? - Rekrutenschule? Oder doch eher Gefangenenlager? Zu schicken zeugte von mangelnder Vaterliebe. „Ja, General Nilia ist der Meinung, dass er dort zu einem Mann wird.“

      „Ich weiss nicht ob er das wirklich verdient hat.“ Map sah Ina etwas erstaunt an aber schwieg zu diesem Thema: „Es ist Zeit.“ Ina erhob sich und liess sich von Map ein Tuch um den Körper wickeln.

      Die Sonne war hinter dem Hügel verschwunden und tauchte den Himmel in ein tiefes rot. Map öffnete den Kleiderschrank und nahm einen Bügel mit Kleidern heraus, legte sie auf das Bett und ging zu Ina um sie abzutrocknen. Ina sah im Spiegel, dass die blauen Flecken an ihrem Hals immer noch nicht ganz abgeheilt waren. Map drückte ihr gerade mit dem Daumen auf das rechte Schulterblatt und bemerkte: „Das sieht nicht gut aus!“ Ina drehte sich um und betrachtete ihre Schulter im Spiegel. Stellenweise grüne und blaue Punkte. Es sah aus als ob sie sich angemalt hätte. „Woher ist das?“ Fragte Map mehr besorgt als interessiert. „Nahkampf. – Ich habe gewonnen.“ Map zwang sich ein Lächeln auf die Lippen: „War es das Wert?“ „Bestimmt“, gab sie überzeugt zurück, was Map mit einem seltsamen Gesichtsausdruck quittierte und ohne weiteres Wort hinausging.

      Ina griff nach den Kleidern. Zog sich eine schwarze Hose heraus und überlegte, ob sie ihr wohl passen würde – sie passte. Dazu fand sie ein schwarzes Oberteil. Allerdings war der Ausschnitt für ihren Geschmack etwas zu tief geraten, also suchte sie im Schrank nach etwas das sie darüber anziehen konnte. Schliesslich fand sie eine blaue Jacke mit Kragen die sie bis oben schliessen konnte. Sie sah sich im Spiegel an. Ihre Haare waren noch nass und hingen ihr über die Schultern. Die Kleider Sassen ihr perfekt. Sie kniete sich bei ihrer Tasche hin und suchte in den Seitentaschen nach etwas. In der letzten Seitentasche fand sie es. – Ihre schwarze Steinkette. Vorsichtig zog sie sie heraus. Diese Kette war das einzige was sie an ihre Mutter, ihre Familie, ihre Herkunft erinnerte. Sie hatte kaum eine Erinnerung an das Leben bevor sie nach Seran kam. Meistens war sie sich nicht einmal sicher ob es nicht vielleicht nur ihrer Fantasie entsprang. Das einzig greifbare war diese Kette. Sie legte sie sich um. Drei Reihen lagen eng um ihren Hals, die vierte Reihe fiel etwas tiefer hinunter. Das einzige was ihr jetzt noch fehlte waren Schuhe. Sie sah sich im Zimmer um. Allerdings sah sie keine. Nicht einmal ihre eigenen Stiefel waren noch da. Map hatte diese wahrscheinlich entsorgt. Keine einzige Schublade der Kommode offenbarte Schuhe. Alle waren leer. Map blieb vollkommen verblüfft vor Ina stehen: „So sieht eine junge Dame aus“, ihr Gesicht strahlte Freude aus. „Hast du meine Schuhe gesehen?“ Fragte Ina abwesend „Im Schrank hat es andere. Saubere“, sie ging hin und reichte Ina ein Paar. Während sie die Schuhe anzog räumte Map die Kleider weg für die sie sich aus diversen Gründen nicht entschieden hatte. Dann ging sie zu dem Tisch auf dem der Spiegel stand und zog den Stuhl zurück, damit sich Ina setzte. Map wusste bei dem Gewirr auf Ina's Kopf kaum wo sie beginnen sollte. Doch sie hatte bereits genug Erfahrung um ihre Haare zu bändigen und begann damit, sie zu flechten: „Das Essen wird gleich serviert. Madam Nilia ist bereits bei Tisch und General Nilia wird heute wohl auch hier essen. Bist du bereit dich ihnen zu stellen?“ Ina bemerkte Map’s besorgte Stimme und wollte sie etwas aufheitern: „Ich habe drei Jahre Rekrutenschule überstanden, so schlimm kann es nicht werden.“

      Gemeinsam schritten sie aus dem Zimmer. Map ging voran und Ina hinterher. Sie erinnerte sich daran, dass sie vor drei Jahren froh war auf die Rekrutenschule gehen zu können, glaubte dort würde es ihr besser gefallen als in diesem Haus. Natürlich irrte sie sich. Bereits nach der ersten Woche wäre sie liebend gern wieder hierher zurückgekehrt. Und das obwohl sie in diesem Haus von allen nur toleriert worden war weil General Nilia sie hier haben wollte. Es wurde ein Verhalten von ihr erwartet mit dem sie nicht dienen konnte, es galten Regeln mit denen sie sich nicht anfreunden konnte. Kurzum, sie hatte die grössten Probleme sich in diesem Haus zu etablieren. Neven, der Mann der sich um sie kümmerte seit sie sechs Jahre alt war, hatte sie andere Dinge gelehrt als in diesem Haus von ihr verlangt wurden. Er hatte ihr eine Erziehung zukommen lassen die in diesem Haus auf Widerspruch stiess. Ina hatte viel eingebüsst, als sie hier aufgenommen wurde. Und sie büsste noch mehr ein, als sie auf die Rekrutenschule ging. Was würde sie nun hier erwarten? Drei Jahre waren eine lange Zeit. Wie viel hatte sich hier verändert? Wie hatte sie sich verändert? Würde es nun besser passen? Ina wurde mit einem Ruck aus ihrer Gedankenwelt geholt. – Sie lief gegen eine Person und hätte diese sie nicht an den Schultern festgehalten, wäre sie wohl rückwärts hingefallen. Sie sah vom Boden auf die Arme die sie hielten. Es war nicht Map. Also sah sie weiter hinauf – General Nilia hielt sie mit einem schelmischen Lachen fest. Er neigte seinen Oberkörper etwas zurück, so dass er sie von oben bis unten betrachten konnte, ohne seine Hände von ihren Schultern zu nehmen: „Ich habe ein Kind auf die Rekrutenschule geschickt und einen Soldaten zurückerhalten. Die Investition hat sich gelohnt.“ Diese Worte und der zufriedene Ton in denen er sie aussprach lösten eine Flutwelle in Ina’s Gefühlshaushalt aus. Sie hatte drei lange, harte Jahre hinter sich in denen sie sich mehr als einmal gewünscht hatte nicht zu existieren und er war zufrieden! - Es hätte sich gelohnt. Neven hätte sie niemals auf die Rekrutenschule geschickt. Er hätte die Entscheidung ihr überlassen. Das nahm sie General Nilia übel. Von dem Tag an, an dem er ihr seine Entscheidung mitteilte bis zu diesem Tag. „Noch nicht ganz wach?“ Ina sammelte sich: „Entschuldigen sie Sir, ich war mit meinen Gedanken wo anders.“ Er hob eine Augenbraue: „Und wo?“ Seine Hände strichen ihren Armen entlang hinunter. „Bei der Rekrutenschule“, gab sie verwirrt zurück und verfolgte mit ihren Augen seine Hände. Er lächelte, griff mit seinen Händen an ihren Kopf und küsste sie auf die Stirn. Danach trat er bei Seite und liess sie vor sich zum Tisch gehen. Madam Nilia die bereits dort sass, machte keine Anstalten Ina zu begrüssen, so ging sie an ihr vorbei und setzte sich an das dritte Gedeck ihr gegenüber. General Nilia setzte sich am Kopf des Tisches hin und wies den Bediensteten an das Essen zu servieren. Map war verschwunden, wahrscheinlich ging sie in die Küche um nach dem Rechten zu sehen.

      Mit demselben Argwohn mit dem Madam Nilia bereits die Szene zwischen Ina und ihrem Gatten beobachtet hatte, starrte sie nun zu Ina hinüber. „Du siehst erholt aus“, meinte sie schliesslich mit einer Stimme die keinen Zweifel daran liess, dass sie Ina nach wie vor nicht in ihrem Haus haben wollte. Bei diesen Worten lachte General Nilia laut los: „Ihr Kopf fällt beinahe auf die Tischplatte und du glaubst sie wirkt erholt?“ Sie blickte ihrem Gatten verächtlich entgegen: „Nun, ich dachte es wäre eine Rekrutenschule auf der die Rekruten gefordert werden. Aber es scheint ihr dort gut ergangen zu sein.“ Er straffte seinen Rücken und hob sein Kinn: „Dann wird es unserem Sohn dort auch gut ergehen!“ Madam Nilia wandte unter dem scharfen Blick ihres Mannes den Kopf ab und sagte mit etwas unterwürfiger Stimme: „Ich meine nur, dass Frauen dort offensichtlich besser behandelt werden als Männer.“ Ja, die Ehe der beiden war nur noch Fassade. Sie lebten im selben Haus, um nach aussen den Anschein zu wahren. Doch im Grunde konnten sie einander nicht mehr ausstehen. „Jerma wird dort reifen und hoffentlich auch zu einem Mann, was höchste Zeit ist!“ Seine starren Augen hafteten an denen seiner Ehefrau. Eine unangenehme Stille breitete sich aus. Zum Glück kam kurz darauf einer der Bediensteten und servierte den ersten Gang. Als er Ina den Teller vorsetzte lächelte sie ihn an und bedankte sich. Madam Nilia’s Blick traf sie wie ein Pfeil und die scharfen Worte liessen nicht auf sich warten: „Du brauchst dich nicht bei einem Bediensteten für dein Leben hier zu bedanken. Er wird von uns dafür bezahlt! Wenn du dich bei jemandem zu bedanken hast, dann bei uns!“ Ina bereitete schon eine Entschuldigung vor. Doch Nilia kam ihr zuvor: „Er wird von mir bezahlt! Und wann hast du dich jemals dafür bei mir bedankt?!“ Er hatte seine Frau blossgestellt. Vor Ina und vor dem Bediensteten, der es sehr eilig