Geri Schnell / Dieter Thom

Der Drang nach Freiheit


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in ihrer Klasse, das konnte nicht gut gehen. Die Lehrer schafften jedoch schnell Ruhe und der Unterricht ging weiter.

      «Gibt es in Sachsen keine Friseure?», fragte der Lehrer.

      «Doch, aber die schneiden den jungen Leuten moderne Frisuren.»

      «Nur nicht noch frech werden, - Sachse! Wir werden sehen was du kannst», am Unterton merkte Dieter, dass er nicht mit einer Vorzugsbehandlung rechnen konnte, aber das war ja für ihn nichts Neues.

      Die Unterrichtsstunden wurden unendlich lange. Gegen sechs Uhr war endlich Schluss. Die Schüler von der Insel wurden in Baracken untergebracht. Jede Baracke konnte acht Schüler aufnehmen.

      Die Woche in Stralsund wurde für Dieter sehr unangenehm. Sie schikanierten ihn, wo sie nur konnten. Die ländliche Mentalität setzte sich durch, alles war anders. Die langen Haare und der falsch Dialekt, da mussten sich alle gegen ihn stellen. Dazu kam, dass sich die Lehrer ebenfalls alle Mühe gaben, dem Dieter zu zeigen, dass er nicht hierher gehörte. Ohne grossen Lehrerfolg brachte Dieter die Woche hinter sich. Er freute sich aufs Wochenende.

      Der Unfall

      Die Spannungen mit Herr Paul nahmen immer mehr zu. An einem Morgen arbeitete Dieter in einem kleinen Gehöft in der Nähe von Lohme. Er musste einen Holzbalken einkürzen. Keiner der anderen Lehrlinge wollte ihm helfen, den Balken mit der Schrotsäge, die man nur zu zweit bedienen konnte, einzukürzen, also nahm er die Bügelsäge, mit der konnte er alleine arbeiten, was allerdings sehr mühsam war. Herr Paul hatte gesehen wie er sich abmühte und kam ihm zu Hilfe.

      «Dazu nimmt man die Schrotsäge!», erklärte er ihm, «das solltest du nun langsam wissen.»

      Die Säge hatte er gleich mitgebracht und setzte sie an. Dieter war am andern Ende der Säge bereit. Er wusste, dass das Ansägen nicht einfach war und man mit der Hand das Sägeblatt am Anfang führen sollte. Er traute sich nicht, seine Hand in die Nähe das Sägeblatt zu legen.

      «Bist du ein Anfänger!», schrie Paul, «du musst das Blatt mit deiner Pfote führen!»

      Vorsichtig führte Dieter das Sägeblatt mit der Hand und zog langsam am Griff, um den Anschnitt durchzuführen. Herr Paul hielt die Säge am andern Ende, plötzlich zog er die Säge mit einem Ruck schnell zurück. Das Sägeblatt sprang aus der Führung und traf Dieters Hand. Der schrie auf und zog die Hand zurück. Ohne ein Wort zu sagen, drehte sich Herr Paul um, ging in sein Büro und liess Dieter blutend zurück. Es war niemand in der Nähe, der ihm helfen konnte. Der Schnitt ging bis auf den Knochen und die Wunde blutete stark.

      Dieter wusste, er musste so schnell wie möglich zu einem Arzt. Der einzige Arzt den er kannte war in Sassnitz, das waren gut zwanzig Kilometer. Mit dieser blutenden Wunde würde er es nicht schaffen. Er nahm den Lappen, den sie sonst zum Abtrocknen der Hände benutzten und wickelte ihn um die Hand. Von Herr Paul war nichts mehr zu sehen. Das Tuch stoppte die Blutung.

      Es gab keine andere Möglichkeit, er musste nach Sassnitz, wenn er den Weg durch den Wald nahm, konnte er etwas abkürzen. Er marschierte los. Jeden Pulsschlag spürte er, als ob ihm jemand mit einem Hammer auf die Hand schlagen würde. Wie in Trance eilte er durch den Wald. Er kannte die Gegend und wusste in welcher Strasse der Arzt seine Praxis hatte.

      Mit letzter Kraft schleppt er sich die Treppe zur Arztpraxis hoch. Die Arzthelferin wurde blass im Gesicht, als sie seine Hand sah.

      «Herr Doktor!», rief sie, «kommen sie schnell, ein Notfall!»

      «Das sieht ja furchtbar aus», stellte der fest, «schnell auf den Behandlungstisch, holen sie heisses Wasser und Desinfektionsmittel.»

      Er gab Dieter eine Spritze gegen die Schmerzen, dann machte er sich ans Säubern der Wunde. Immer wieder zuckte Dieter zusammen. Endlich wurde die Wunde mit drei Stichen genäht, jetzt liessen die Schmerzen etwas nach. Als der Arzt ihm den Verband anlegte fragte er ihn, wie das passieren konnte. Dieter schilderte ihm den Hergang des Unfalls und wie er sich bis nach Sassnitz durchkämpfen musste.

      «Ich schreibe dich für vier Wochen krank, bis dann sollte die Wunde verheilt sein», erklärte er, «dem Herrn, wie heisst er, ah, Paul, den werde ich wegen unterlassener Hilfeleistung anklagen. Wenn du im Wald ohmmächtig geworden wärst, hätte es schlimm enden können. So etwas ist mir schon lange nicht mehr vorgekommen.»

      Der freundliche Arzt brachte Dieter noch mit seinem Auto nach Marlow. Dort konnte sich Dieter dank der Führsorge von Mutti gut erholen. Nach einer Woche war die Hand soweit verheilt, dass er bei der Betreuung der Tiere mithelfen konnte. Auch lange Spaziergänge mit Lumpi taten ihm gut.

      Wie der Arzt richtig vermutet hatte, konnte Dieter nach vier Wochen wieder arbeiten. Die Hand wurde noch mit einem Verband geschützt, doch er konnte sie wieder brauchen. Gespannt wartete Dieter in Bergen, dem Firmenhauptsitz, welche Arbeit ihm zugeteilt wurde.

      «Du sollst dich beim Betriebsleiter melden», erklärte ihm ein Lehrling in der Umkleidekabine.

      Dieter stieg die Treppe hoch und klopfte im Büro an.

      «Herein!», rief eine Frauenstimme und Dieter trat ein.

      «Ich bin Dieter und soll mich bei Betriebsleiter melden.»

      «Ich weiss», entgegnet die hübsche Sekretärin und lächelte ihn freundlich an, «ich bin Bärbel.»

      Bärbel streckte ihm die Hand entgegen, hielt dann allerdings inne, als sie den Verband sah, «Tut es noch weh?»

      «Eigentlich nicht», erklärte ihr Dieter, zu mehr reichte es nicht mehr, denn der Betriebsleiter rief ihn, er solle eintreten.

      «Du bist also Dieter», der Betriebsleiter reichte ihm die Hand, «wie war das mit dem Unfall?»

      Dieter erzählte ihm wie es ablief. Der Betriebsleiter hörte zu, obwohl er die Geschichte schon kannte. Danach gab es eine kurze Pause. Der Betriebsleiter schien zu überlegen.

      «Also der Herr Paul hatte den Unfall etwas anders geschildert», erklärte er dann, «ich glaube dir, aber gegen den Herrn Paul kann ich nichts unternehmen. Erstens ist er ein sehr guter Ausbilder den wir unbedingt brauchen und zweitens für eine Gerichtsverhandlung steht Aussage gegen Aussage. Am besten, wir vergessen den Unfall, es geht dir ja wieder gut. Eines leuchtet mir ein, du kannst nicht mehr mit Herr Paul zusammenarbeiten. Ich suche deshalb eine andere Lösung. Zwei Zimmerleute aus Dranske sind bereit, dich anzustellen.»

      «Gut, ich bin damit einverstanden», entgegnete Dieter, er wollte einfach seine Lehre beenden.

      Bereits am Nachmittag stellte sich Dieter bei den beiden Zimmerleuten vor. Als sie ihn mit seinen langen Haaren sahen, waren sie nicht begeistert. Sie waren aber so klug, dass sie Dieter zumindest die Möglichkeit gaben, zu zeigen, was er konnte.

      Dieter gab sich viel Mühe und arbeitete hart und konzentriert. Dies schätzen die beiden und es entstand ein kollegiales Verhältnis. Die erste Woche arbeitete Dieter im Betrieb, dann mussten sie ein altes Hotel in Dranske umbauen. Dieter wurde ein Wohnwagen in die Nähe des Hotels hingestellt, dort konnte er schlafen und hatte nur einen kurzen Weg zu seinem Arbeitsplatz. Die beiden Zimmerleute fuhren abends mit ihren Fahrrädern nach Hause denn sie wohnten in der Nähe von Dranske.

      Es wurde kälter. Der Winter kündigte sich an. Dieter stand jeden Morgen früh auf und heizte den Wohnwagen. Wenn die beiden Zimmerleute auf der Baustelle ankamen, servierte er ihnen immer einen heissen Kaffee. Die beiden Brüder schätzten diesen Sonderdienst und das Verhältnis zu Dieter wurde immer besser. Sie konnten ihm viele Tricks beibringen, wie man seine Arbeit schneller und einfacher erledigen konnte.

      Abschlussprüfung

      Endlich, die Abschlussprüfung zum Betonfacharbeiter stand an. Dieter musste nach Bergen. Die Prüfung wurde im Hauptsitz des Betriebs durchgeführt. Dieter hatte sich herausgeputzt, die schönsten Beatles-Klamotten. Die lockigen blonden Haare, die inzwischen bis zur Schulter reichten, waren sauber gewaschen. Die andern Lehrlinge musterten ihn kritisch. Alle trugen