Geri Schnell / Dieter Thom

Der Drang nach Freiheit


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Fahrer war schon ungeduldig, er hatte noch mehr Zeit verloren. Er würde sehr spät in der Nacht nach Hause kommen.

      Das Ausräumen mit Mieke klappte. Sie trugen die Möbel raus, Mutti erklärt, wo sie die Möbel hinstellen müssen. Moni und Olaf kümmerten sich um die kleinen Dinge. Auch Herr Runge half mit. Der Fahrer hatte wieder eine Stunde aufgeholt und verabschiedete sich mit einer etwas besseren Laune.

      Dieter begleitete Herr Runge noch zum Bahnhof, der musste noch mit dem Zug nach Halle fahren.

      «Auf Wiedersehen Herr Runge, ich hoffe, sie fühlen sich in Halle wohl. - Grüssen sie Frau Runge und vor allem Britta, gut Fahrt!»

      Als Vati spät am Abend mit dem letzten Zug ankam, war es bereits dunkel. So sah er nicht sofort, in welch schlechtem Zustand das Haus war. Doch als er sich zur Familie an den Tisch setzte, um noch etwas zu Essen, schaute er sich um, seine Miene verfinsterte sich.

      «Das ist eine Bruchbude!», er schaute Dieter mit finsterem Blick an, «du hast nicht gesagt, dass das Haus eine Ruine ist, wenn wir Glück haben, fällt es nicht über unsern Köpfen zusammen.»

      Dieter wusste, dass Vati recht hatte, das Haus war in einem erbärmlichen Zustand, nur hatte er gar nicht darauf geachtet, als er hier in den Ferien weilte, er hatte sich durch Britta zu stark ablenken lassen.

      Im leeren Haus, sah man die Schäden natürlich besser. Vermutlich hatten die Runges ihre Möbel so aufgestellt, dass man die schlimmsten Schäden nicht sehen konnte. Nun, jetzt war es zu spät, das hatten auch Dieters Eltern eingesehen, sie mussten sich damit abfinden.

      Das Haus war in zwei Hälften aufgeteilt, die eine Hälfte war auf zwei Etagen Wohnraum, die zweite Hälfte bestand aus dem Stall. Dieser stand jetzt leer, die Runges hatten ihre Tiere verkauft. Nur der Lumpi blieb zurück.

      Im ersten Stock hatte es zwei Zimmer, unten befanden sich die Küche und das Schlafzimmer der Eltern. Das Klo war draussen, ein einfaches Plumpsklo, Moni hatte keine Freude daran, dass sie ihr Geschäft im stinkenden Häuschen verrichten musste. Mutti hatte am meisten Probleme mit dem fehlenden Wasser in der Küche. Vor dem Haus gab es eine Handpumpe, mit der man das Wasser hochpumpen musste.

      «Das ist wie früher in Zörbig», stellte sie fest, «willkommen im Mittelalter!»

      «Ja, aber die Luft ist gut», versuchte sie Dieter zu trösten, «und der Lumpi ist auch sehr lustig.»

      «Du hast Recht», bestätigte Mutti, «es bringt nichts, jetzt sind wir hier und machen das Beste daraus, Vati wird sich schon beruhigen.»

      So einfach war das allerdings nicht. Ein Woche später, es kam ein Unwetter auf, es stürmte richtig. In den Zimmern mussten sie an vier Stellen Eimer aufstellen, um das Wasser aufzufangen, welches durch das undichte Dach tropfte.

      Doch das Schlimmste stand noch bevor. Eine heftige Böe erfasste das Haus. Man spürte die Erschütterung, es war sehr beängstigend. Plötzlich ein polternder Lärm, alle schauen sich verwundert an.

      «Was war das?», Vati stieg nach oben.

      «Kommt hoch und helft mir!», rief er von oben.

      Dieter eilte die Treppe hoch. Dann sah er die Bescherung. Im kleineren Zimmer war eine Wand ausgebrochen, man konnte direkt auf die Felder hinaussehen. Vati war bereits dabei, den Schaden notdürftig zu reparieren.

      «Hol im Stall die Plane, mit der früher der Traktor abgedeckt wurde, so können wir das Loch provisorisch verschliessen. Mit vereinten Kräften konnten sie verhindern, dass der Schaden noch grösser wurde. Am nächsten Morgen war der Sturm vorüber. Das Wetter klarte auf. Nun konnten sie den Schaden auch von aussen begutachten.

      Dieter und Mieke besuchten sich gegenseitig. Mal half Dieter auf dem Hof bei Mieke mit, dann half Mieke beim reparieren des Hauses der Familie Thom. Sie wurden ein unzertrennliches Team.

      Wie üblich, wurde die Schlachtung eines Schweins zuhause bei Mieke mit einem kleinen Fest gefeiert. Das Schlachten bedeutete viel Arbeit und abends wurden die ersten Würste gegessen und danach mit Schnaps nachgespült. Der Schnaps tat seine Wirkung. Plötzlich erzählte Milke von damals. Bis jetzt wusste Dieter immer noch nicht, was sich damals ereignete. Doch nun begann er zu erzählen und Dieter hörte die leidige Geschichte das erste Mal.

      «Also, das war so!», begann Mieke zu erzählen, «ich sass mit meinen Freunden in der Kneipe. Wir tranken Bier, dann kam Dirk in die Kneipe und bestellte ein Bier. Wie meistens hänselten wir ihn, weil er starkes Übergewicht hatte. Einer nannte ihn Schweinchen. Der Dirk wurde wütend, er war zwei Jahre älter als ich, obwohl ich nichts gesagt hatte, griff er mich an. Er wollte mir die Bierflasche auf den Kopf hauen. Ich konnte im letzten Moment den Arm hochreissen und den Schlag an meinem Kopf vorbeilenken. Der Schlag traf mich an der Schulter. Es tat höllisch weh. Der Dirk rannte aus der Kneipe. Ich war wütend und meine Freunde meinten, ob ich mir das einfach so bieten lasse. Natürlich konnte ich das nicht auf mir sitzen lassen und rannte Dirk nach. Ich stellte ihn vor der Kneipe zur Rede. Ich fackelte nicht lange und schlug ihm die Faust ins Gesicht. Er wich zurück und strauchelte und viel der Länge nach hin. Sein Kopf schlug hart auf dem Bürgersteig auf. Wir merkten sofort, dass er tot war, seine Augen waren gebrochen und er hatte keinen Puls mehr. Es gab ein grosser Auflauf, alle diskutierten wild durcheinander. Sie brachten die Leiche schliesslich zu seiner Mutter, welche einen Schock erlitt. Ich wurde kurz darauf festgenommen.»

      «Aber du konntest ja gar nicht dafür, es war ein dummer Unfall», entfuhr es Dieter.

      «Nur, dass am Ende ein junger Mann tot war und da braucht man einen Schuldigen», meinte Mieke und erzählte weiter, «ich wurde in die Jugendstrafanstalt überführt. Dort sass ich zwei Tage lang in einer Einzelzelle. Das Essen wurde durch die Türe geschoben, sonst hatte ich zu niemandem Kontakt. Dann wurde ich zum ersten Verhör geholt. Ich konnte das erste Mal erzählen, wie ich den Vorfall erlebt hatte. Ich musste ein Protokoll unterzeichnen, dann war ich wieder allein in der Zelle. Die Zeit verging, ich wurde nun wie die andern Gefangenen behandelt, das hiess eintöniger Gefängnisalltag. Schlafen in einer Sechser Zelle, gemeinsam Aufstehen, gemeinsam Essen, danach arbeiten in der Wäscherei, essen und weiter arbeiten. Nachmittags ein kurzer Rundgang im Gefängnishof, Nachtessen und schlafen. Immer der gleiche Trott. Dazu Aufseher die jede Kleinigkeit, welche von den Vorschriften abwichen, mit lautem Gebrüll beantworteten und sofort Drohungen aussprachen.»

      «Muss ja schlimm gewesen sein», warf Dieter ein.

      «Ja, vor allem weil ich keine Ahnung hatte, wie lange das nun so weiterging. Der Prozess stand noch aus. Ich wusste nicht mehr wie lange ich auf den Prozess warten musste, aber eines Tages wurden meine Haare vorschriftsmässig kurz geschnitten und ich bekam einen schön Anzug zum anziehen, dann wurde ich im Polizeiauto in die Stadt gefahren. Beim Prozess war auch Dirks Mutter anwesend. Mit hasserfüllten Blicken verfolgte sie den Prozess. Der Vorfall wurde nochmals aufgerollt, mehrere Zeugen befragt. Die Anklage auf Mord wurde fallen gelassen, man einigte sich auf vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge. Doch dann nahmen sie noch meine persönliche Akte zur Hand und stellten fest, dass ich schon früher Schlägereien hatte. Eigentlich normale Prügeleien unter Jugendlichen, die nie angezeigt wurden, doch die wussten über alles Bescheid, wie sie dazu kamen, keine Ahnung.»

      «Trotzdem, du hattest Glück, dass sie es nicht als Mord beurteilten», warf Dieter ein, «dann sässest du immer noch im Knast.»

      «Das schon», fuhr er fort, «sie fanden auf Grund meines Lebenswandels, müsste mir ein Denkzettel verpasst werden. Dreieinhalb Jahre Jugendhaft, ich hatte eigentlich mit einer bedingten Strafe gerechnet, für mich brach eine Welt zusammen. Dreieinhalb Jahre, die ganze Jugend war gelaufen. Ich war am Boden zerstört. Ich kam in eine Jugendstrafanstalt für schwere Fälle. Im Vergleich zur Untersuchungshaft war es die Hölle. Die andern Häftlinge waren harte Kerle, Mörder und Vergewaltiger. Die Vergewaltiger hatten es besonders hart, wann immer die andern die Möglichkeit hatten, schikanierten sie diese auf Übelste. Ich hatte insofern Glück, dass ich unter den Ganoven als Mörder galt, da hatten sie etwas Respekt. Mit der Zeit gewöhnte man sich an den Tagesablauf. Auch wenn die Wärter, - alles Psychopaten - sich einen Spass daraus machten, einem, wenn immer möglich zu schikanieren. Sie meinten, sie müssen