Geri Schnell / Dieter Thom

Der Drang nach Freiheit


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bemerkt und lächelte. Ein so freundliches Lächeln hatte er noch bei keinem Mädchen gesehen. Ihre Augen strahlten eine Wärme aus, Dieter wurde nervös.

      Eine Frau winkte dem Mädchen zu und redete auf sie ein. Dieter konnte nur etwas von Schule und Deutschunterricht verstehen. Das Mädchen kam näher, immer noch schüchtern, aber dafür strahlten ihre Augen immer mehr, je näher sie Dieter kam.

      Die älteren Leute redeten auf sie ein. Dann kam sie auf Dieter zu und gab ihm die Hand.

      «Kommst du aus Deutschland?», fragte sie in einem gut verständlichen Deutsch.

      Dieter war so nervös, dass er kein Wort sagen konnte.

      «Ich weiss», lächelte sie, «mein Deutsch ist nicht gut, oder sprichst du Russisch?».

      Die Frage stellte sie ängstlich, denn das wäre für sie eine Enttäuschung, das spürte Dieter sofort. Er nahm allen Mut zusammen.

      «Ja ich komme aus Deutschland, genau aus Halle an der Saale», antwortete Dieter, «wo hast du so gut Deutsch gelernt?»

      «Wir hatten Deutsch in der Schule, nur, ich bin nicht besonders gut», erklärte sie, während sie die Leute mit Fragen überhäuften, welche Dieter beantworten sollte.

      Nun deckte ihn Jana mit Fragen ein, die Dieter so gut es ging beantwortete. Wenn Jana seine Worte für die andern Leute übersetzte, sah Dieter ihr interessiert zu. Wenn sie ihn anlächelte, gab es Dieter einen Stich ins Herz.

      «Du Jana, ich muss zurück ins Lager», erklärte Dieter.

      «Ich begleite dich ein Stück», entgegnete Jana und lächelte ihn an.

      Als sie ausser Sichtweite des Dorfes waren, nahm Jana seine Hand. Es fuhr wie ein elektrischer Schlag durch Dieters Körper, so ein Glücksgefühl hatte er schon lange nicht mehr erlebt. Viel zu schnell erreichten sie den See.

      «Kannst du morgen nochmals herkommen?», fragte sie, «ich komme dir bis zum See entgegen.»

      «Das lässt sich machen», entgegnete Dieter immer noch sehr nervös.

      «Gut, dann bis Morgen!», als sie das sagte, viel sie ihm um den Hals drückte ihn fest an sich und gab ihm einen Kuss.

      Dann, trennen sie sich. Nach hundert Meter schaute Dieter nochmals zurück, im gleichen Moment drehte sich auch Jana um und winkte ihm zu. Dieter rannte die Strecke ins Lager zurück. Genau rechtzeitig erreichte er das Lager und setzte sich zum Nachtessen zu den andern an den Tisch.

      Am nächsten Morgen war er hellwach. Schnell erledigte er seine Aufgaben, das Mittagessen fiel aus, jeder hatte am Morgen einen Beutel mit Brot, Wurst und etwas Käse erhalten, dazu eine Flasche mit frischen Tee. Dieter konnte schon früher losmarschieren.

      Er kam gut voran. Als er den See erreichte, sah er, dass Jana bereits im Wasser herumplanschte. Er rannte zu ihr, zog sich aus und sprang ins Wasser. Sie umarmten und küssten sich.

      Er fühlte ihren schönen Körper, spürte den sanften Druck ihrer Brüste. Erst jetzt bemerkt er, dass sie keinen Badeanzug trug. Dieter streifte seine Badehose ab und nun alberten sie nackt im klaren Wasser des Bergsees herum. Später setzten sie sich auf einen Stein am Ufer des Sees und beobachteten die Enten.

      Leider verging die Zeit viel zu schnell. Er traf Jana jeden Tag am See. Sie war genauso in Dieter verliebt, wie er in sie.

      Dann kam der Tag des Abschieds. Eigentlich müsste er helfen, die Räume zu fegen und die Betten abziehen. Das war Dieter egal, er wollte, ja er musste, Jana nochmals sehen.

      Lange vor dem See kam sie ihm entgegen gerannt. Sie vielen sich in die Arme, es sollte ein letzte schöner Abschiedskuss werden.

      «Ich werden auf dich warte», flüsterte sie ihm ins Ohr, «so, nun geh schon, sonst kommen mir noch die Tränen!»

      Dieter zwang sich, ins Lager zurückzukehren. Diesmal schaute er nicht zurück.

      Im Lager warteten die andern Jungs schon ungeduldig auf Dieter, alle waren marschbereit. Der Aufseher warf ihm einen Blick zu, jetzt war die Romantik vorbei, alle mussten zurück nach Deutschland.

      Mit schwerem Herzen bestieg Dieter den Zug. Er warf seinen Rucksack aufs Gepäcknetz und öffnete das Fenster. Er konnte Jana nirgends erkennen. Dann, als der Zug langsam anfuhr, sah er sie hinter einem Güterschuppen, sie winkte ihm zu.

      «Ich warte auf dich!», schrie sie gegen den Lärm des Zuges ankämpfend. «Ich warte auf dich!»

      «Ich auch», rief Dieter zurück, dann bog der Zug um eine Kurve und Jana war nicht mehr zu sehen.

      Der Schulanfang war für Dieter die übliche Qual. Er gab sich Mühe, dass Frau Kasche nicht zu sehr enttäuscht war. Doch es gab Fächer, da war einfach nichts zu machen. Staatsbürgerkunde war nicht sein Ding. Mit den Geschichten, mit denen der Sozialismus verehrt wurde, konnte er nicht viel anfangen. Für die Schule war die Staatsbürgerkunde eines der wichtigsten Fächer. Die Jugend sollte für auf die Ideale des Sozialismus begeistert werden. Bei Dieter fiel die Saat auf unfruchtbaren Boden. Alles Andere war ihm wichtiger.

      Etwas war Dieter noch aufgefallen, als er aus der hohen Tatra zurückkehrte. Er bemerkte, wie schlecht die Luft in Halle war. Wen man immer in Halle lebte, fiel es nicht auf, doch jetzt, nachdem er zwei Wochen lang frische Luft geatmet hatte, schon. Genauso mit der Saale, in der sie baden mussten, im Vergleich zum Bergsee in der hohen Tatra war es eine stinkende Kloake.

      Die Hautkrankheit von Olaf hatte sich so verschlimmert, dass er in ein Sanatorium an die Ostsee gebracht wurde. Dort musste er acht Wochen bleiben. Er hatte furchtbar Heimweh nach Mutti. Als er nach den acht Wochen nach Hause kam, waren seine Flecken am Körper verschwunden, dafür war aus dem einst fröhlichen Buben, ein ernster verschlossener Junge geworden.

      Dieter freute sich auf den Sommer, er plante Jana zu besuchen.

      «Deine Freundin in der Tschechei kannst du vergessen», meinte ein Schulkollege beim kurzen Schwatz in der Pause.

      «Wieso?», wollte Dieter wissen.

      «Nun, die Grenze sind zu», erklärte sein Kollege, «die neue tschechische Regierung passt unsern Parteifunktionären nicht, die seien vom Westen unterwandert. Der Dubcek sein ein Verräter, meinen sie.»

      «Aber das können die nicht machen», ereiferte sich Dieter, «ich muss diesen Sommer Jana wieder sehen.»

      «Das kannst du vergessen», beharrte der Kollege auf seinem Standpunkt, «die haben es in den Nachrichten gebracht!»

      Abends schaute Dieter wieder einmal die Nachrichten im Fernseher. Tatsächlich, die DDR-Führung war mit der Regierung von Dubcek nicht einverstanden. Es werden keine Visa an DDR-Bürger für Reisen in die Tschechoslowakei mehr ausgestellt.

      Dieter musste den Sommer anderweitig planen. Zuerst war natürlich wieder arbeiten angesagt. Er konnte nochmals vier Wochen im Wagonbau Ammendorf arbeiten. Die restlichen vier Wochen würde er in Halle verbringen. Im Boxklub hatten sie Trainingswochen eingeplant. Es wurde speziell an der Technik gefeilt. Da wurde täglich gut vier Stunden trainiert, so war die Trainingswoche auch gut für die Kondition. Im Herbst standen einige Kämpfe an, da wollte Dieter in Topform sein.

      Im August eskalierte die Lage in der Tschechoslowakei. Im DDR-Fernsehen wurde berichtet, dass die Staaten des Warschau Paktes ihre Tschechischen Freunde aufforderten, sich auf die Ideale des Sozialismus zu besinnen und einige, von den subversiven Elementen eingebrachte Gesetzesänderungen abzulehnen.

      Am 21. August meldete das DDR-Fernsehen, dass die befreundeten Staaten der Tschechischen Sozialistischen Partei, sie um militärische Unterstützung gebeten hatten. Dieser Hilfe musste gewährt werden. Die befreundeten Truppen unter Führung der Sowjetunion, hätten die Lage im Griff. Alle wichtigen Gebäude der Tschechoslowakei, kontrollieren die befreundeten Truppen.

      Aus was diese Unterstützung bestand, sah man am späten Abend im Westfernsehen. Mit Panzern fuhren die Russen durch Prag und machten jagt auf Demonstranten. Die Führer der gewählten Regierung wurden verhaftet und nach Moskau gebracht. Dort