Geri Schnell / Dieter Thom

Der Drang nach Freiheit


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zwei Tagen erklärten die politischen Führer der Tschechoslowakei, dass sie die Reformen rückgängig machten. Sie forderten die Bewohner auf, keinen Widerstand gegen die befreundeten Soldaten zu leisten.

      Dieter hielt sich aus den Diskussionen raus, Politik interessierte ihn nicht. Er musste nur an die freundlichen Leute in diesem kleinen Dorf in der hohen Tatra denken, was bedeutete das für sie? Er wusste, das Leben nahm dort seinen gewohnten Gang, diese Leute hatten sich nie darum gekümmert, was die in Prag beschlossen.

      Der Herbst verging schnell. Boxen und ein bisschen Schule, standen auf dem Programm.

      Nach Dieters Sieg an der Bezirksmeisterschaft, wurde er auch für Vergleichskämpfe mit andern Städten aufgestellt. Für seinen Klub Chemie Halle, konnte er jeweils Punkte sammeln. Der Trainer war stolz auf Dieter und hielt ihn für ein grosses Talent. Der Ländervergleichskampf gegen Polen fand in Leipzig statt und Dieter wurde aufgeboten.

      Die Gegner aus Polen waren stark. Dieter musste zu Beginn des Kampfes einiges einstecken. Doch sein Siegerwille war nach der ersten Runde noch nicht gebrochen. Zu Beginn der zweiten Runde fühlte sich sein Gegner etwas zu sicher. Dieter landete zwei harte Treffer, welche seinem Gegner zu schaffen machten. Ab diesen harten Treffern verlief der Kampf ausgeglichen. Gegen Ende des Kampfes, entschied Dieter den harten Fight, durch seine beherzten Angriffe aus der sicheren Deckung. Erst in der letzten Minute konnte er den Kampf dominieren, was ihm schliesslich den Punktesieg einbrachte. Die Halle tobte, es war der erste DDR-Sieger in diesem Länderkampf. Die ersten drei Kämpfe hatten die Deutschen verloren. Der Sieg von Dieter brachte die Wende.

      Definitive Berufswahl

      Endlich hatte Dieter die achte Klasse abgeschlossen. Nun galt es zu entscheiden, Berufs- oder Boxkarriere. Der Trainer riet ihm, die Boxkarriere fortzusetzen, da er viel Talent zum Boxen mitbrachte. Nur, in der DDR war es nicht möglich Profikämpfe auszutragen. Als Amateur, welcher nicht vom Staat gefördert wurde, konnte man auf kein gesichertes Einkommen kommen. Mit den Eltern entschied sich Dieter notgedrungen, auf die Karte Berufsausbildung zu setzen. Eine Boxkarriere schien einfach zu unsicher.

      Nun musste Dieter seine Entscheidung seinem Trainer mitteilen. Dieter kam eine Viertelstunde früher zum Training.

      «Herr Friedel», sprach er seinen Trainer an, «kann ich noch etwas mit Ihnen besprechen?»

      «Natürlich», erklärte Herr Friedel, «aber erst nach dem Training. Ich warte im Büro bis du mit Duschen fertig bist.»

      Zwei Stunden später besuchte Dieter Herr Friedel in seinem kleinen Büro.

      «Ich habe mich entschieden», begann Dieter, «ich werde eine Berufsschule besuchen. Mit meinen Eltern haben wir alles besprochen. Ich brauche eine sichere Ausbildung. Ich muss später mein eigenes Geld verdienen und mit boxen ist das nicht gesichert.»

      «Schade!», meinte Herr Friedel und klopfte Dieter freundschaftlich auf die Schulter, «ich muss deinen Entscheid akzeptieren, ich verstehe deine Argumente. Ich konnte dir kein besseres Angebot machen. Ich könnte dich in der Sportschule unterbringen, doch langfristig könnte ich keine Garantie abgeben, du müsstest ein Sportstudium beginnen und das bedeutet, nebst dem Sport viel Schule. Ich verstehe, für dich ist das Erlernen eines handwerklichen Berufs sicher besser, du hast es nicht so mit den Schulbücher, ich übrigens auch nicht.»

      Die neunte Klasse wurde als Berufsschule geführt. Dieter sollte dort zum Baumaschinist ausgebildet werden. Er freute sich darauf, denn endlich sollte neben dem Unterricht in der Schulstube, auch praktischer Unterricht auf einer Baustelle dazukommen. Das neue Schulhaus lag mitten in Halle. Dieter brauchte mit dem Fahrrad rund eine Stunde.

      Am ersten Tag versammelten sich die neuen Schüler in der Aula. Dort wurden sie in die verschiedenen Klassen aufgeteilt. Die erste Überraschung erlebte Dieter, als er nicht in der Klasse der Baumaschinisten aufgerufen wurde. Er hielt es zuerst für ein Versehen. Dann wurde er doch noch aufgerufen. In der Klasse der Betonfacharbeiter. Was war denn das? Betonfacharbeiter!

      Als er sich ins angegebene Schulzimmer begab, fragte er beim Lehrer nach, wieso er nicht in die Klasse der Baumaschinisten eingeteilt wurde. Der Lehrer holt seine Akte hervor.

      «Deine Schulnoten waren nicht ausreichend», erklärte er ihm nach einem kurzen Blick in die Akte, «aber das ist nicht schlimm, Betonfacharbeiter sind zurzeit sehr gefragt. Es müssen viele Wohnungen gebaut werden.»

      Damit musste sich Dieter abfinden. So schlimm würde es nicht werden, er kannte den Unterschied zwischen den beiden Berufen genau und war stink sauer, dass er nicht Baumaschinist lernen durfte. Sicher war, dass man bei beiden Berufen auf dem Bau arbeitete, wenigstens musste er nicht in einer Schreibstube sitzen, sondern war draussen an der Luft. Die Klasse bestand aus 29 Schüler und drei Mädchen.

      Der Unterricht wurde so gestaltet, dass sie drei Wochen Schule hatten und danach eine Woche praktische Lehrausbildung. So gab es etwas Abwechslung. Schon nach wenigen Tagen fühlte sich Dieter an die Kämpfe mit Frau Doppeeser erinnert. Die gleiche Taktik von Seiten des Lehrers. Kein Verständnis für die Interessen der Schüler, nur Zucht und Ordnung, dazu der drillmässige staatspolitische Fixierung auf das grossartige Sozialistische System.

      Das waren genau die Bedingungen, welche bei Dieter den Konflikt mit den Lehrkräften herausforderte. So dauerte es nicht lange und er stand auf dem so genannten schwarzen Brett.

      Endlich waren die ersten drei Wochen rum. Die praktische Ausbildung auf einer Baustelle begann. Es war harte Arbeit. Sein Vorarbeiter erklärte die zu erledigende Arbeit sehr komplizier. Man merkte, dass er alles nur aus dem Bürosessel gelernt hatte, man konnte mit seinen Anweisungen nichts anfangen. Doch Dieter merkte schnell, dass er sich besser bei den anderen Arbeitern auf der Baustelle informierte, die gaben einem die besseren Typs. Dank seiner praktischen Veranlagung kam Dieter gut zurecht.

      Mit der Zeit lernte Dieter, wie er seine harte Arbeit einfacher gestalten konnte. Dazu wurde sein Körper durch die harte Arbeit gestärkt. In der Praxis konnten die andern Schüler nicht mit ihm Schritt halten, doch in den Schulfächern hatte er weiterhin sehr schlechte Noten.

      Die Zeugnisse wurden an einer Feier durch Parteigrössen übergeben. Die Eltern von Dieter mussten sich entschuldigen, sie konnten an der Feier nicht teilnehmen. Dieter lud seine Freunde Gerd und Helmut ein, ihn zu begleiten. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, Dieter sass mit seinen Freunden in die letzte Reihe.

      Es wurden endlos lange patriotische Reden gehalten. Dann, endlich wurden die ersten Absolventen aufgerufen. Zuerst waren die Schüler mit sehr guten Noten an der Reihe.

      Nach den sehr guten Noten, kamen die Schüler, welche mit einer zwei abgeschossen hatten, danach die, mit Note drei. Immer das Gleiche. Am Schluss blieben noch die mit Note vier übrig. Als Letzter wurde Dieter aufgerufen.

      «Dank der grossen Errungenschaften des Sozialismus, welcher auch weniger begabten Schülern erlaubt, sich zu bewähren und einen Berufsabschluss zu erlangen. Trotzt einer Note fünf in einem Fach, hatte die Kommission beschlossen Dieter Thom die Prüfung, als bestanden anzurechnen. Dank seinen guten Leistungen in der praktischen Prüfung, ist es zu verantworten. Der Sozialismus ermöglicht es, dass jeder seine Möglichkeiten ausschöpfen kann. Wir gratulieren Dieter zur bestandenen Prüfung!»

      Er überreichte Dieter sein Diplom, der Saal applaudierte. Dieter klemmte sich das Diplom unter den Arm und verliess mit seinen Freunden sofort den Saal. Er fühlte sich ausgenutzt und gedemütigt. Keiner hatte erwähnt, dass er die Note fünf in Politunterricht erhalten hatte. Die Partei hatte mit dem Anlass, wieder einmal ihre grenzenlose Macht demonstriert.

      Im Anschluss besuchte Dieter mit seinen Freunden eine Tanzveranstaltung. Er musste sich noch von seinen Freunden verabschieden, in drei Tagen würde er seine Ferien auf der Insel Rügen antreten. Das mit der hohen Tatra, musste er vergessen, die Deutschen durften nicht mehr in die Tschechoslowakei einreisen. Vermutlich hätte Dieter auch so nach Rügen in die Ferien fahren müssen, denn, er musste rekognoszieren. Die Familie Thom wollte wegen seinem Bruder Olaf nach Rügen umziehen. Seit einem Jahr suchten sie auf Rügen vergebens nach einer Wohnung.