Geri Schnell / Dieter Thom

Der Drang nach Freiheit


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Weg führte aus ihrer Sicht, nur über Arbeit und bedingungslosem Gehorsam.»

      «Das kenne ich, genau wie meine Lehrerin.»

      «Da irrst du dich, die hatten noch viel mehr Möglichkeiten und sie wurden nicht kontrolliert, je fieser sie zu den Gefangenen waren, umso besser fiel Ende Jahr ihre persönliche Beurteilung aus und die war Voraussetzung, wenn sie Karriere machen wollten. Ich habe mich angepasst und spielte den Unterwürfigen, gab mich als fanatische Anhänger des Sozialismus aus und besuchte die gefängnisinternen Parteiveranstaltungen. Nach zwei Jahren und drei Monaten wurde ich wegen guter Führung entlassen. Der wahre Grund war wohl, dass sich immer mehr politische Häftlinge aufnehmen mussten und sie deshalb Platzprobleme bekamen.»

      Nach dieser Aussprache wurden Dieter und Mieke noch engere Freunde. Gemeinsam reparierten sie das alt Haus so gut es ging. Dieter hatte noch drei Wochen Zeit, bevor die Schule anfing. Die beiden Freunde arbeiteten von morgen früh bis abends. Zuerst wurde das Dach abgedichtet. Dann hatten sie auch das Material organisiert, mit dem sie die ausgebrochene Wand neu aufbauen konnten. Nun musste noch der Schornstein neu gemauert werden, dann war das wichtigste erledigt.

      «So, das haben wir hingekriegt», zufrieden wischte Dieter den Kessel aus, in welchem sie den Mörtel angerührt hatten, «Mieke, kommst du mit, ich denke, wir haben uns ein Bier verdient!»

      «Weiss nicht», antwortete der, «ich war nie mehr im Dorf.»

      «Dann wird es Zeit, dass du wieder einmal unter die Leute gehst, du kannst dich nicht immer verstecken.»

      «Gut», man merkte ihm an, dass er skeptisch war, «aber du zahlst!»

      «Natürlich, ich habe dich ja eingeladen!»

      Gemütlich plaudernd, schlendern sie durch Sagard in Richtung Kneipe.

      «Da! – Da läuft der Mörder meines Sohnes!», eine hysterische Frauenstimmer schrie wie am Spiess, «er wagt es, sich in unserm Dorf zu zeigen!»

      Sofort gingen an den umliegenden Häusern die Fenster auf. Die Leute starrten auf die Strasse, um nachzuschauen, wer da so hysterisch herumschrie. Der Mieke zuckte zusammen, er wurde weiss im Gesicht und rannte zurück durchs Dorf nach Hause.

      Die Frau kam immer noch schreiend auf Dieter los. Am liebsten hätte sie ihn angegriffen, sah aber ein, dass der stärker war.

      «Was willst du von Mieke?», fragte Dieter die wütende Frau, «er hatte seine Strafe abgesessen.»

      «Die Strafe abgesessen?», jammerte die Frau, «ich hör wohl nicht recht! - Er hatte meinen Sohn ermordet? – Dirk ist für immer tot!»

      «Ja, das ist sehr traurig und Mieke leidet immer noch.»

      «So er leidet?», die Frau wollte zu einem Schlag ausholen, Dieter schaut ihr in die hasserfüllten Augen, sie senkte ihren Arm, doch ihre Augen glühten weiter vor Hass.

      Inzwischen hatten sich viele Leute auf der Strasse eingefunden. Einige Frauen nahmen die tobende Mutter zur Seite und versuchten sie nach Hause zu bringen. Dieter setzte seinen Weg in die Kneipe fort. Die Leute schauten im zornig nach.

      «Wer einem Mörder hilft, ist selbst ein Mörder!» rief einer hinterher, dann verschwand Dieter in der Kneipe und bestellte sich ein Bier. Er sass allein an einem Tisch in der Ecke. Den bösen Blicken der andern Gäste wich er aus. Ab und zu glaubte er Sachsenschwein zu hören. Die Sachsen sind auf Rügen nicht gut angesehen. Wenn so einer sich noch für einen Mörder einsetzte, war das eine Provokation. Dieter achtete nicht auf das Geschwätz. Er dachte über Mieke nach, der Vorfall würde ihn sicher zurückwerfen. Jetzt wird er erst recht nicht mehr unter die Leute gehen. Er zahlte sein Bier und machte sich auf den Heimweg.

      Die Strassen von Sagard waren verlassen und nur spärlich beleuchtet. Dieter ging schneller, er hatte ein ungutes Gefühl. Da spürte er einen harten Schlag ins Genick. Der Schlag kam so überraschend, er konnte ihm nicht mehr ausweichen. Er viel hin. Drei junge Männer stürzten sich auf ihn und bearbeiteten ihn mit Stöcken und Fusstritten. Dieter versuchte mit den Armen seinen Kopf zu schützen.

      «Da hast du’s du Sachsenschwein!», wieder steckte Dieter einen Schlag mit dem Stock ein, dann wurde er ohnmächtig.

      Als Dieter wieder zu sich kam, lag er in der Gosse. Er tastete seinen Körper ab. Anscheinend war nichts gebrochen, doch wo er hinlangte, spürte er eine klebrige Masse. Überall war Blut. Er rappelt sich auf und schleppte sich nach Hause. Bevor er ins Haus eintrat, wusch er sich am Brunnen. Im Haus war es ruhig, alle schliefen schon.

      «Was ist denn mit dir passiert!», rief Mutti, als er zum Frühstück erschien.

      «Ach nichts», versuchte Dieter zu beruhigen, «ich bin ausgerutscht und dumm hingefallen, das wird schon wieder.»

      «So, hingefallen!», sie ging auf ihn zu und untersuchte die Wunden, «setz dich, das muss ausgewaschen werden, sonst gibt es eine Infektion.»

      Vorsichtig reinigte Mutti die Wunden und verarztet ihn so gut es ging.

      Nachdem Dieters Wunden versorgt waren, machte er sich auf, um Mieke zu besuchen. Seine Mutter war allein in der Küche. Sie erschrak, als sie das zerschlagene Gesicht von Dieter sah.

      «Was ist mit dir geschehen?»

      «Ach, ich bin ausgerutscht und dumm hingefallen.»

      «Was war gestern los?», wollte die Mutter von Mieke wissen, «Mieke ist in seinem Zimmer verschwunden und nicht mehr aufgetaucht.»

      «Mieke war auf dem Weg zur Kneipe, als wir Dirks Mutter begegneten und die hatte sich aufgeregt.»

      Dieter klopfte bei Mieke an die Zimmertür. Mieke erschrak als er das Gesicht von Dieter sah.

      «Das hast du nun davon», erklärte er, «ich weiss, dass ich mich im Dorf nicht zeigen darf!»

      «Blödsinn, du darfst dich nicht verkriechen», erklärte Dieter, «verkriechen ist keine Lösung, du musst dich denen stellen, sie müssen begreifen, dass du auch ein Recht hast weiterzuleben.»

      Die Wunden in Dieters Gesicht heilten schnell. Die Wunde in Miekes Herzen brauchte länger.

      Lehre auf Rügen

      Nun begann der Alltag auf Rügen. Vati arbeitete auf dem Bahnhof Sagard und verdiente recht gut. Auf dem Viehmarkt kaufte Familie Thom zwei Schafe, ein Schwein und einige Hühner. Land war genug da, so konnten sie auch den Stall nutzen. Das Versorgen der Tiere war die Aufgabe von Mutti. Natürlich halfen ihr Olaf und vor allem Moni dabei. An dem Wochenende versorgte auch Dieter die Tiere. Schon bald vermehrten die sich, es kamen zwei junge Schafe dazu und aus den paar Hühnern wurde bald hundertfünfzig. Später kauften sie noch einige Gänse und Enten.

      Die Ferien für Dieter waren zu Ende. Er musste seine Lehre in der Firma VEB Bau Bergen/Rügen fortsetzen. Er meldete sich pünktlich auf den vereinbarten Termin in der Werkstatt und erkundigte sich nach Herr Paul.

      Ein Mann in den sechziger kam auf ihn zu und reichte ihm die Hand. Dazu redete er auf Dieter ein, nur der verstand kein Wort, sein neuer Boss sprach original Plattdeutsch, da verstand man als Sachse kein Wort.

      «Entschuldigung», bemerkte Dieter, «ich verstehe kein Plattdeutsch.»

      «Dann musst du dir die Haare schneiden, dann verstehst du mich besser.»

      Dieter wurde mit den andern neun Lehrlingen bekannt gemacht. Alle kamen aus Rügen und sprachen untereinander nur Platt. Natürlich hatten alle kurz geschnittene Haare. Die hatten sich alle gegen den Sachsen verschworen. Sie schwärzten ihn an wo sie nur konnten. Zum Glück war Dieter in praktischen Dingen sehr begabt, so fanden sie nur wenige Gründe, ihn bei Herr Paul anzuschwärzen. Dieser war aber eh nicht gut auf Dieter zu sprechen, wann immer es etwas zu meckern gab, erledigte er dies mit grossem Vergnügen.

      Dieter überstand die ersten drei Wochen Praktikum. Jetzt war eine Woche Schule angesagt. Am Montagmorgen nahm er den ersten Zug nach Stralsund. In seinem Rucksack hatte er Schulzeug und Kleider für