Geri Schnell / Dieter Thom

Der Drang nach Freiheit


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«und willst sein Freund sein.»

      «Man kann es versuchen», bestätigte Dieter, «ich kenne hier niemand und Britta verfügt über gute Menschenkenntnis, ich vertraue ihr.»

      «Ich will nicht, dass mein Sohn in schlechte Gesellschaft kommt», sagte die alte Frau.

      «Gut», erklärte Dieter, «dann gehe ich wieder, ich will mich nicht aufdrängen.»

      «Jetzt trink zuerst deinen Kaffee», hält sie ihn hin, «du bist nicht von hier, das höre ich an deinem Dialekt. Woher kommst du?»

      «Das habe ich schon gesagt, aus Halle, wir tauschen vielleicht die Wohnung mit der Familie Runge. Sie wollen nach Halle und wir müssen wegen meinem Bruder nach Rügen.»

      «Wieso wegen deinem Bruder?», wollte sie wissen.

      «Er bekommt in Halle immer einen Hautausschlag und als er in Rügen zur Kur war, hatte er keine Ausschläge mehr. Jetzt will Mutti, dass wir nach Rügen ziehen.»

      «Ihr wollt hierher ziehen?», sie schaute ihn ungläubig an, «die mögen hier keine Sachsen, vergiss es!»

      «Wir lassen andere Leute in Ruhe, das wird kein Problem sein, das Haus liegt sehr abgelegen, wir werden niemanden stören.»

      «Da bin ich nicht sicher», sie schaute betrübt, «ich weiss nicht, ob das die Leute hier auch so sehen?»

      «Wir werden schon klar kommen. Mutti ist sehr lieb und kommt mit allen Leuten gut aus. Vati ist auch ein ruhiger Typ, ich sehe keine Probleme.»

      «Was hast du gelernt?».

      «Betonfacharbeiter, aber ich bin noch nicht ausgelernt. Zudem gefällt mir der Beruf nicht, ich muss noch etwas anderes lernen.»

      «Betonfacharbeiter! - Die brauchen sie auf Rügen nicht, hier bauen wir keine Wohnsilos. Hier wird nach alter Tradition gebaut, ich wünsche dir viel Glück.»

      Ihre Miene entspannte sich, sie war aber immer noch sehr misstrauisch und beobachtete ihn kritisch. Als Dieter seinen Kaffee ausgetrunken hatte, stand die Frau auf und winkte ihm: «Komm mit, ich zeige dir den Stall.»

      Sie führte ihn durch den Hintereingang zum Stall.

      Dieter ging durch den sauberen Stall. Plötzlich tauchte in der Stalltüre ein junger Mann auf, welcher Dieter kritisch musterte. Seine Augen waren traurig und leer. Ein gebrochener Junge, dabei hatte er eine gute Statur, früher hatte er sicher den Mädchen den Kopf verdreht. Rabenschwarzes Haar und seine braunen Augen, darauf standen die Mädels.

      «Es ist Zeit, das Futter für die Tiere vorzubereiten», erklärte er und ergriff die Heugabel.

      «Hallo ich bin Dieter», stellte sich Dieter vor und reichte ihm die Hand zum Gruss, «Britta hatte mir vor dir erzählt und gemeint, ich soll nach dir schauen.»

      Nur kurz flackern die Augen auf und ein schüchternes Lächeln huschte über sein Gesicht, doch nach einer Sekunde war es wieder vorbei. Seine Miene war wieder so finster wie vorher. Nach einigem Zögern reichte er Dieter die Hand. Ein schwacher, uninteressierter Händedruck. Dieter wäre am liebsten sofort umgekehrt. Doch er spürte, hier wurde er gebraucht. Der Junge war am Ende.

      «Kann ich helfen?», fragte Dieter, damit die Unterhaltung nicht abbrach.

      «Das Heu muss in den Trog», Mieke zeigte auf eine Ecke und Dieter ergriff ohne ein Wort zu sagen die Heugabel. Die alte Frau schaute den beiden kurz zu, dann zog sie sich zurück. Ohne ein Wort zu reden arbeiteten die beiden Jungen. Als die Tiere gefüttert waren, tritt Mieke vor den Stall.

      «Willst du meine Tiere sehen?», Dieter erschrak, als Mieke zu reden begann.

      «Ja gerne», Dieter stellte die Heugabel auf den Boden.

      «Komm», er verliess den Stall. Auf dem Feld hinter dem Haus konnten er Schafe, Ziegen und ein Pferd, weiden sehen. Mieke rief ihnen und alle trabten heran. Er streichelte sie, die Tiere mochten ihn.

      «Jetzt muss ich die Ziegen melken», stellte Mieke fest, «hast du auch schon Ziegen gemolken?»

      «Nein, das musst du selber machen, die Tiere sind an dich gewöhnt. Soviel weiss ich, die mögen es nicht, wenn ihnen jemand anderes an die Zitzen geht.»

      «Du kennst dich etwas aus.»

      «Ja ich habe bei meinen Grosseltern oft im Stall geholfen. Ich muss jetzt nach Hause», entschuldigte sich Dieter, «die Runges essen pünktlich! Frau Runge ist da sehr streng.»

      «Gut», war die kurze Antwort.

      «Darf ich wieder kommen?», fragte Dieter.

      «Willst du denn?»

      «Wir werden sehen, ich schau sicher nochmals rein.»

      Dieter machte sich auf den Heimweg. Er schaute sich nicht um. Der arme Junge. Was sollte er hier, er hatte das Gefühl, dass er unerwünscht war, aber am Schluss, da war Mieke doch etwas aufgetaut, er wollte es noch einmal versuchen. Er mochte Mieke und das trotzt dem Geheimnis, das er ihm nicht verraten will.

      In den folgenden Tagen schaute Dieter so oft wie möglich bei Mieke vorbei. Langsam wurde er zugänglicher. Doch er blieb sehr misstrauisch und erzählt Dieter nie, was er für ein Problem er hatte. Er redete nicht über früher. Damit konnte Dieter gut leben, Mieke brauchte Zeit. Allerdings, viel Zeit blieb Dieter nicht mehr. Ende Woche musste er zurück nach Halle, die vier Wochen waren bereits um.

      Umzug nach Marlow

      Der Tag des Umzugs nach Marlow war gekommen. Vati und Mutti mussten nur Olaf und seinen Hautausschlag anschauen, dann war die Entscheidung gefallen. Man wurde mit Familie Runge einig und tauschte die Wohnungen. Beide organisierten auf den gleichen Tag ein Umzugswagen.

      Zuerst mussten die Möbel nach Rügen geschafft werden. Es tat Dieter weh, als er die Möbel Stück um Stück im Möbelauto verschwinden sah. Er würde Halle vermissen.

      Da sein älterer Bruder Wolfgang in Karl- Marx Stadt eine Freundin hatte, musste er nicht mit nach Rügen.Dieter wollte gern seine Lehre in Halle abschliessen, doch Vati war dagegen.

      «Wenn du achtzehn Jahre alt bist, wie dein Bruder, kannst du selber entscheiden wo du wohnst. Bis dann bleibst du bei der Familie!»

      Da gab es nichts mehr zu verhandeln. Vati hatte entschieden. Dieter musste mit nach Marlow. Er hatte nicht einmal Zeit, sich von seinen Freunden zu verabschieden. Die meisten waren noch in den Ferien. Wenigstens Gerd hatte beim Umzug mitgeholfen, dann hiess es einsteigen.

      «Los, beeilt euch», rief der Fahrer, «wir sind schon im Rückstand.»

      Eine kurze Umarmung von Gerd, dann noch je zwei Küsschen für Barbara und Sabine, die ebenfalls beim beladen des Möbelauto geholfen hatten, dann musste Dieter einsteigen. Die Fahrt Richtung Ostsee ging los. Vati blieb in Halle, er musste die Wohnung übergeben und später mit dem Zug nachreisen. Als sie beim Haus vorfuhren, wurden sie von Herrn Runge erwartet. Mutter Runge mit ihrer Tochter, war unterwegs nach Halle. Dieter würde Britta nicht mehr sehen.

      «Das soll unser Haus sein?», fragte Mutti und konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen, «das ist uralt und verlottert, ich hoffe, es fällt nicht gleich in sich zusammen.»

      «Ja, es ist natürlich nicht so modern wie unsere Wohnung in Halle, aber hier wohnen alle so.»

      «Vati wird keine Freude habe», meinte Mutti, «aber schauen wir mal.»

      Das Möbelauto hatte seine optimale Position erreicht, sie konnten aussteigen. Lumpi sprang freudig und schwanzwedelnd an Dieter hoch und begrüsste ihn wie ein alter Bekannter. Es wurde ausgemacht, dass Lumpi in Marlow bleibt, man wollte ihm die Grossstadt ersparen.

      «Das ist meine Mutti», stellte Dieter seine Mutti dem Mieke vor, welcher bereit war, mit zu helfen, die Möbel hineinzutragen, «das ist meine Schwester Moni und das Olaf.»

      An die andern gewandt: «Das ist Mieke, ich hab euch von ihm erzählt.»