Geri Schnell / Dieter Thom

Der Drang nach Freiheit


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dann war die alte Wohnung leer geräumt.

      Am Samstagabend waren alle Möbel in der neuen Wohnung. Noch standen viele Gegenstände und Kisten rum, aber wenigstens waren alle Betten bereit zum schlafen. Auch die Küche funktionierte bereits. So wurde, bevor das Fuhrwerk zurück nach Zörbig aufbrach, gemeinsam ein von Mutti gekochten Eintopf mit vielen guten Fleischstücken verzehrt. Dann verabschiedete Vati den Knecht und steckte ihm noch eine grössere Note zu.

      Es dauerte noch zwei Wochen bis sich das Leben in der neuen Wohnung einspielte. Die alte Wohnung wurde gereinigt abgegeben und langsam leerten sich die Kisten und die Gegenstände verschwanden in den Schränken oder im grossen Keller.

      Bis das vierte Schuljahr beendet war, musste Dieter noch mit dem Fahrrad jeden Tag in die alte Schule fahren. Das war für ihn gut, denn nach der Schule traf er sich dort noch mit seinen Freunden Gerd und Helmut. Die wollte er auf keinen Fall aufgeben, auch wenn er jetzt in einem besseren Quartier wohnte.

      Am Ende des Schuljahres bekam Dieter von Frau Doppeeser eine sehr schlechte Beurteilung. Die Versetzung in die fünfte Klasse war gefährdet. Nur dank einem energischen Gespräch seines Vati, mit der Schulleitung, wurde ihm die Versetzung in die fünfte Klasse gestattet, allerdings mit der Auflage, dass er sich in der neuen Schule mehr anstrengte. Dass er bei Frau Doppeeser nie eine echte Unterstützung bekam, konnte Vati belegen. Da Dieter die Schule wechselte, war es dem Rektor an der Diesterweg-Schule egal, wie es mit Dieter weiter ging, den Lümmel waren sie zum Glück los.

      Endlich eine andere Schule

      Im Herbst konnte Dieter endlich die Schule wechseln. Der Frau Doppeeser trauerte er keine Sekunde nach, die neue Klasse konnte nur besser werden. Bis zum Schulhaus in der Heinrich-Heine Schule in der Paul-Suhr Strasse, benötigt er nur zehn Minuten zu Fuss. Das schafft er ohne Fahrrad.

      Die neue Lehrerin hiess Frau Kasche. Als Dieter sich vorstellte, fragte sie ihn: «Heisst deine Mutti Maria?».

      «Ja - Maria Thom», bestätigte Dieter.

      «Ich denke, dass ich mit deiner Mutti zur Schule gegangen bin. Wie geht es ihr?».

      «Gut», erklärte Dieter, «das heisst den Umständen entsprechend, sie erwartet noch ein Kind.»

      «Das ist süss, ich komme Sie einmal besuchen.»

      Die Tatsache, dass die Lehrerin seine Mutti kannte, war natürlich für Dieter ein grosser Vorteil. Endlich war er nicht mehr das schikanierte Kind des Staatsfeindes, sondern der Sohn der Freundin der Lehrerin. Das war ein grosser Unterschied und das machte Dieter das Leben deutlich einfacher.

      An einem schulfreien Nachmittag ging Dieter mit Helmut zum Geräteturnen. Das Einlaufen bereitete Dieter keine Probleme, doch als es an die Geräte ging, wurde schnell klar, Geräteturnen war nicht seine Sportart.

      «Du Dieter!», rief ihn Herr Müller, der Trainer des Geräteturnen zu sich, «ich denke du hast viel Talent zum Sport treiben, aber sicher nicht zum Geräteturnen. Das ist verloren Zeit für dich. Versuch es doch mal mit boxen, ich kenne den Trainer des Boxklub. Geh doch einmal am Donnerstagabend hin.»

      Herr Müller schrieb ihm die Adresse auf und gab ihm ein Empfehlungsschreiben mit. Am Donnerstag besuchte Dieter das Training im Boxklub in der Kaserne, er brauchte keine zehn Minuten zu Fuss. Der Trainer Walter Friedel studierte das Empfehlungsschreiben. Danach musterte er Dieter von oben bis unten, dann nickte er.

      «Herr Müller könnte recht haben», bestätigte er den Inhalt des Schreibens, «er hatte ein gutes Auge für Sportler. Also, probieren wir es einmal aus.»

      Er rief einen Boxer zu sich, «los, mach etwas Sparring mit dem Neuen!»

      Das Sparring wurde für Dieter sehr hart, er bekam einiges an Prügel ab. Sein Gegner war älter und hatten schon Erfahrung im Boxen. Die andern Boxer, welche in den Trainingspausen zuschauten, amüsierten sich und lachten über den Neuen, welcher sich als Prügelknabe zur Verfügung stellte. Schliesslich brach der Trainer das Sparring ab.

      «Gar nicht schlecht», erklärte Herr Friedel, «es fehlen noch die Grundlagen. Komme morgen Nachmittag vorbei, dann sehen wir weiter.»

      Ab jetzt besuchte Dieter regelmässig das Boxtraining. Es war sehr hart, er musste schwitzen und auch einige blaue Flecken einstecken, doch es machte ihm Spass. Seine Kondition und vor allem seine Boxtechnik wurden immer besser.

      Im November, genau am zweiundzwanzigsten, war es soweit, Mutti musste zur Geburt ins Spital. Stolz kam Vati aus dem Spital zurück, «Es ist ein Bub, wir nennen ihn Olaf. Beiden geht es gut. Morgen fahren wir gemeinsam hin, dann könnt ihr euern neuen Bruder sehen.»

      Dieter hatte schon vergessen wie klein dass Moni nach der Geburt war, er war überwältigt, unglaublich, wie klein und leicht so ein Neugeborenes war. Nur seine Stimme, die war schon gewaltig, lauthals verkündete er, dass er Hunger hatte. Mutti nahm ihn wieder ins Bett und lies ihn saugen, damit war er wieder ruhig gestellt.

      Im Herbst und Winter trainierte Dieter sehr intensiv. Sein Trainer war zufrieden. Inzwischen bestritt er mit den andern Boxern Sparring, doch diesmal hatten sie nichts zu lachen, er verteidigte sich gut und schlug auch hart zurück. Er war im Boxklub aufgenommen worden und wurde respektiert.

      «Dieter», erklärte Herr Friedel, «es wird Zeit, dass du einen richtigen Boxkampf bestreitest. Ich habe am Frühlingsfest im Pestalozzipark einen Kampf für dich organisiert. Also mach, dass du bis zum Frühlingsfest in guter Form bist. Ein Kampf ist nicht das Gleiche wie Sparring, das wirst du schnell merken. Aber einmal müssen wir anfangen.»

      «Gut», antwortete Dieter und liess sich nicht anmerken, wie nervös ihn dieser Kampf machte.

      Die folgenden Wochen nützte er noch für spezielles Training, dann war es soweit. Als Dieter aus der Garderobe kam, stellte er fest, dass es viele Zuschauer hatte. Dass seine Eltern da waren, wusste er vorher, doch dass neben seiner Familie, auch noch viele Schulfreunde und auch ältere Leute aus dem Quartier den Kampf sehen wollten, steigerte seine Nervosität noch mehr.

      Wie ein richtiger Boxer, mit hohen Schuhen, Boxerhosen und Bademantel führte ihn sein Trainer zum Ring. Die Hände steckten bereits in den schweren Handschuhen. Er betrat den Ring und die Zuschauer klatschten begeistert.

      Dann sah er ihn, seinen Gegner. Er bekam es mit der Angst zu tun, der Gegner war ein richtiger Hüne. Sehr gross und mit kräftigen Oberarmen. Gut sein Bauch war etwas wabbelig, Dieter war trotzdem sehr beeindruckt.

      Der Ringrichter rief die beiden Kämpfer zur Ringmitte, am Mikrofon informiert er das Publikum, sein Gegner hatte bis jetzt fünfzehn Kämpfe bestritten, dabei hatte er nur einen verloren. Die Vorstellung von Dieter war kürzer, «zur linken Dieter Thom aus Halle, sein erster Kampf!», schrie der Ringrichter ins Mikrofon. «Der Kampf geht über drei Runden zu drei Minuten!»

      Die beiden Boxer begaben sich zurück in ihre Ecke. Herr Friedel merkte, dass Dieter Angst hatte, «Dieter, du bist gut, du schaffst das. Denk daran was ich dir gesagt habe, dann geht es gut.»

      Dann kam der Gong. Dieter stürmte zur Ringmitte und schon hatte er einen harten Treffer des Gegners abbekommen, es tat höllisch weh und Dieter wurde wütend, mit einer Wut im Bauch stürmte er auf den Gegner los, mit dem Ergebnis, dass er weitere harte Treffer kassierte. Er spürte, dass seine Kräfte nachliessen, er nahm sich etwas zurück und versuchte den Schlägen auszuweichen, um wenigstens die erste Runde zu überstehen. Endlich der Gong, die erste Runde war überstanden.

      «Hast du alles vergessen, was wir besprochen haben?», schimpfte Walli, wie sie den Trainer während des Kampfes nennen durften, sonst war er immer der Herr Friedel, «wenn du so weiter machst verlierst du, denk daran, decken und aus der Deckung schlagen. Deckung ist das Wichtigste.»

      Der Gong erklang: «Also los, mach es diesmal besser!», munterte ihn sein Trainer auf.

      Diesmal ging Dieter bedächtig auf seinen Gegner zu. Beide Fäuste vor dem Gesicht und hell wach, um einem Schlag des Gegners auszuweichen. Dieser dachte, dass er immer noch so leichtes Spiel wie in der ersten