Geri Schnell / Dieter Thom

Der Drang nach Freiheit


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Frau sei. Nach der nächsten Strassenecke, wechselte er die Richtung und eilte so schnell er konnte nach Hause. Er musste das Geschenk gut verstecken. Niemand durfte etwas davon erfahren.

      Dieter freute sich immer auf Weihnachten, doch dieses Jahr freute er sich noch mehr. Mutti wird Augen machen, wenn sie sein Geschenk auspackt.

      Schon einige Tage vor dem Weihnachtsfest begann Mutti mit Plätzchen backen. Dieter half so gut er konnte. Er knetete Teig, füllte den Massbecher nach Angaben von Mutti mit Zucker, Mandeln oder Mehl, je nachdem, welche Bestellung Mutti aufgab. Sie arbeiteten gut zusammen. Die ganze Wohnung duftete nach Plätzchen.

      Dann war es soweit. Vati machte mit den Kindern am Nachmittag des Heiligen Abends, einen langen Spaziergang. Als sie zurückkamen, leuchtete in der Stube der Weihnachtsbaum. Unter dem Baum hatte Mutti viele Geschenke hingelegt. Dieter schlich sich unter einem Vorwand davon und konnte in einem günstigen Moment sein Paket unter die andern Geschenke schieben, ohne dass es jemand bemerkt hatte.

      Inzwischen war das Licht gelöscht und Mutti stimmte das Lied Oh du Fröhliche an. Nachdem noch einige weitere Lieder gesungen wurden, begann Mutti mit der Verteilung der Geschenke. Es gab Schokolade und frische Apfelsinen. Nebst Süssigkeiten bekam Dieter noch neue Schuhe und eine elegante Brille. Sie passte viel besser zu Dieter. Die werden in der Schule Augen machen, wenn er mit einer so eleganten Brille auftauchte.

      «Die neue Brille darfst du nur tragen, wenn wir auf Besuch gehen, für die Schule ist sie zu schade, die wäre sowieso gleich zerbrochen», erklärte Vati eindringlich, «aber wenn wir Verwandte besuchen, sollst du etwas eleganter aussehen.»

      Die erste Enttäuschung war schnell verflogen. In der Schule hätten sie ihn sowieso nur verspottet, wenn er mit so einer eleganten Brille auftaucht. Aber wenigstens, wenn er zu Oma und Opa ging, durfte er sie aufsetzen.

      «Was haben wir den hier noch für ein Geschenk?», fragte Mutti, «das kenne ich gar nicht, weiss jemand für wen das ist?»

      «Ja, das ist für dich», erklärte Dieter stolz.

      «Für mich?», Mutti war überrascht, «darf ich es aufmachen?»

      «Ja sicher!», erklärte Dieter, er konnte es kaum erwarten.

      Vorsichtig öffnete Mutti das Papier. Alle schauten ihr dabei zu. Die Spannung war gross. Ausser Dieter wusste niemand was drin war.

      Nun war das Papier so weit entfernt, dass Mutti erkennen konnte, was für ein Geschenk sie erhalten hatte. Sie faltete die Bluse auseinander und hielt sie stolz vor sich hin. Mit dem Ellenbogen muss sie eine Träne wegwischen, sie war echt gerührt.

      «Ist die schön!», stellte sie stolz fest, «wie kommst du darauf, mir ein solches Geschenk zu machen?»

      «Du hast es verdient», erklärte er. Jetzt musste Mutti die Bluse weglegen, sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie umarmte ihr Dieterchen fest und musste immer wieder schluchzen.

      «Danke! – danke! – sie ist so schön und vornehm, wie konntest du eine solche Bluse kaufen?»

      «Es war nicht einfach», gesteht Dieter, «doch eine Frau hatte mir dabei geholfen. Ich hoffe sie gefällt dir!»

      «Sicher, sie ist wunderschön. Ich muss sie gleich anziehen».

      Schnell zog sie die Strickjacke aus und schlüpfte in die Bluse.

      «Passt genau, exakt meine Grösse!», stolz schlenderte sie um den Tisch und mimte eine vornehme Dame.

      Als Dieter sein Geschenk auspackte, war er sehr erfreut. Es enthielt diesmal nebst den Schuhen, noch eine elektrische Eisenbahn mit geraden und gebogenen Schienen und zwei Weichen. Die kleine Dampflokomotive hatte noch drei Personenwagen, welche man anhängen konnte. Dieter war begeistert.

      Als sie nach der Weihnachtsfeier in der Küche Malzkaffe tranken, gab es dazu die selbstgebackenen Plätzchen. Alle waren zufrieden, es war ein sehr schönes Fest. Dieters Eisenbahn kurvte im Kreis herum. Moni wollte sie immer von den Schienen schubsen. Mutti hatte die Bluse wieder ausgezogen, sie hatte Angst, sie könnte ein Flecken bekommen.

      «Ich habe noch ein Geschenk für die ganze Familie», verkündete Vati so nebenbei, «ich konnte einen Fernseher kaufen. Er wird jedoch erst im neuen Jahr geliefert.»

      «Was ist ein Fernseher?», wollte Moni wissen.

      «Das wirst du noch sehen, es wird sehr lustig», erklärte Mutti gut gelaunt.

      Bis der Fernseher geliefert wurde, war dann der Winter beinahe vorüber. Ein Freund von Vati half, die Antenne für den DDR-Sender auf dem Dach anzubringen. Das Kabel wurde an der Aussenwand entlang, zu einem Fenster geführt und durch ein kleines Loch in die Stube, der Wand entlang bis zum Fernseher gezogen.

      Dann kam der grosse Moment. Als sich alle vor dem Fernseher versammelt hatten, schaltete Vati das Gerät ein. Die Bildröhre begann zu flimmern. Es waren nur weisse Linien zu sehen, welche hektisch über den Bildschirm flimmerten. Vati drehte an einem Knopf, das Bild wurde ruhiger. Noch war nichts zu erkennen. Ab und zu konnte man jemand sprechen hören, doch das Bild konnte nicht empfangen werden. Der Freund von Vati musste nochmals aufs Dach steigen und die Antenne leicht verschieben. Dieter stand am Fenster und meldete das Ergebnis der Verschiebung aufs Dach. Dann war endlich das Bild da. Ein Mann las die Nachrichten. Doch schon nach kurzer Zeit, war das Bild wieder weg.

      «Was hat er jetzt wieder gemacht?», wollte Vati wissen, «ich habe ihm doch gesagt, es sei jetzt gut.»

      «Ich habe gedacht, wenn ich noch etwas weiter drehe, würde es noch besser», kam die Meldung vom Dach.

      Das Ergebnis wurde immer besser, Vatis Freund befestigte die Antenne zusätzlich mit einem Draht, damit ja die Position nicht verändert wurde. Dann war es endlich soweit, die Sendung Das Sandmännchen begann. Die ganze Familie setzte sich aufs Sofa und schaute gespannt dem kleinen Mann bei seinen Abenteuern zu. Moni schaute hinter dem Fernseher nach, wo denn das Männchen hingegangen sei. Als sie es hinten nicht sehen konnte, streichelte sie das Männchen mit der Zipfelmütze vorne auf dem Bildschirm.

      «Lass das!», schimpfte Vati, «du machst den Bildschirm ganz schmutzig. Komm setz dich zu Mutti.»

      «Sanimann furt gange!», meinte Moni, als das Sandmännchen auf seinem Koffer wegflog und den Kindern Sand in die Augen streute, um anzuzeigen, dass es jetzt Zeit war, dass die Kinder ins Bett gingen.

      Ab jetzt versammelte sich die Familie immer um diese Zeit vor dem Fernseher. Sogar das Nachtessen wurde verschoben, wenn es Mutti nicht rechtzeitig schaffte, weil sie später nach Hause kam, dann wurde eben später gegessen, aber das Sandmännchen durfte man nicht verpassen. Meistens waren auch Gerd oder andere Freunde da, um das Sandmännchen zu gucken.

      Eine Woche später montierte Vati unter dem Dach auch eine Antenne, mit der man das Westfernsehen empfangen konnte. Westfernsehen durfte man allerdings nur schauen, wenn keine Nachbarskinder da waren. Für alle Bürger der DDR war Westfernsehn strengstens verboten. Da konnte man schnell in die Fänge der Stasi kommen und das wollte keiner. Gute Sozialisten waren nur die, die bedingungslos die Gesetze der DDR befolgten.

      Auch das Sonntagsprogramm der Familie Thom wurde durch das Fernsehen neu gestaltet. Es war zwingend, dass man um halb vier Uhr sich vor dem Fernseher versammelte, dann erzählte Meister Nadelöhr seine Geschichten, die musste man unbedingt sehen, sonst konnte man am Montag in der Schule mit den andern Kindern nicht diskutieren.

      Zollbeamter Thom

      Mit dem Fernseher hielt auch die Politik in die Stube der Familie Thom Einzug. Nun wurden täglich die Nachrichten geschaut. Einmal auf dem staatlichen DDR-Sender und später, im Westfernsehen. Dieter war zu der Zeit bereits am schlafen. Den Buben war nicht entgangen, dass Vati sich über die Meldungen des offiziellen DDR-Senders ärgerte, auch wenn er dies zu verbergen suchte.

      An einem Tag im Frühling kam Vati sehr aufgeregt nach Hause. Mürrisch zog er sich in den Garten zurück. Die Buben kannten ihn gut genug, wenn er so war, musste man ihn