Geri Schnell / Dieter Thom

Der Drang nach Freiheit


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moderne Fahrrad

      Am Tag vor seinem zehnten Geburtstag fuhr Dieter mit Vati nach Halle. Überrascht stellte Dieter fest, dass Vati auf ein Fahrradgeschäft zusteuerte. Schon nach einem kurzen Rundgang durchs Geschäft war für Dieter klar, das Sportfahrrad mit den verchromten Teilen, dieses Fahrrad würde ihm gefallen!

      «Was würde das kosten?», fragte Vati den Verkäufer.

      Dieter konnte nicht verstehen, was der Verkäufer seinem Vati für einen Preis nannte. Die beiden taten geheimnisvoll, Dieter sollte den Preis nicht erfahren.

      «Tut mir leid», erklärte Vati, «das ist mir viel zu teuer, haben sie nicht noch andere, ein etwas günstigeres Fahrrad?»

      «Natürlich, - dieses hier», er zeigte auf ein Fahrrad mit breitem Sattel und breiten Schutzblechen, «das ist für den Stadtverkehr bestens geeignet!», er flüstert Vati den Preis ins Ohr.

      «Das wäre eher ein Preis, den ich mir leisten könnte.»

      Dieter erschrak, er sah sein schönes Fahrrad entschwinden.

      «Entweder dieses Fahrrad oder keines!», rief Dieter und rannte wütend aus dem Geschäft. Vati schaute ihm lange nach und hoffte, dass Dieter wieder umkehrte und mit dem Stadtfahrrad zufrieden war. Doch er kannte seinen Dieter genau. Der wusste was er will. Entweder das oder nichts.

      Dieter rannte den Weg nach Hause und verzog sich auf sein Zimmer. Mutti wusste, dass, wenn Dieter so heimkam, es am Besten war, ihn vorerst in Ruhe zu lassen. Am nächsten Morgen würde er wieder zufrieden sein.

      So war es dann auch, denn als Dieter am nächsten Morgen die Gratulationen zum Geburtstag entgegen nahm, übergab ihm Vati das Sportfahrrad.

      «Ich wünsche dir einen schönen Geburtstag!», Vati und umarmte Dieter, «hier, das ist dein Geburtstagsgeschenk- - Ich denke, es gefällt dir!»

      Dieter war überglücklich und bedankte sich bei Vati und anschliessend auch bei Mutti. Ein so schönes Sportrad, hatte keiner seiner Freunde, er musste es gleich ausprobieren. Er fuhr eine Runde ums das Quartier. Es lief ausgezeichnet, auch die Bremsen funktionierten gut, die brauchte er, als ihm ein Fussgänger in die Quere kam. Er hatte das Fahrrad im Griff und konnte sofort anhalten. Der alte Mann schimpfte, weil er sich erschrocken hatte und ging fluchend seines Weges.

      Am Wochenende wollte Dieter das Fahrrad testen. Er verabschiedete sich von seinen Eltern, «ich besuche Opa in Zörbig», erklärte er und fuhr los. Die 25 Kilometer bis Zörbig, forderten ihn. Er trat tüchtig in die Pedalen. Schwitzend fuhr er in Zörbig beim Herrenhaus vor, er war beinahe so stolz, wie damals der Wessi mit seinem Auto.

      Opa und Omi waren erfreut, ihren Enkel zu sehen. Natürlich bewunderten sie auch sein neues Fahrrad. Danach gab es eine feine Suppe nach Art der Oma. Die hatte Dieter nötig, denn Radfahren macht hungrig. Er blieb übers Wochenende und half dem Bauern im Stall.

      Am Sonntag, gegen Abend fuhr er die Strecke wieder zurück.

      Umzug in die Paul-Suhr Strasse

      Im Herbst 1963 hatten die Eltern Dieter einiges zu diskutieren. Doch immer wieder verstrickten sich die Eltern in Diskussionen, wobei sie darauf achteten, dass die Kinder nicht mitbekamen, um was es dabei ging.

      Eines Abends liess Vati die Katze aus dem Sack. Als alle am Esstisch versammelt waren, erklärte er: «Wir haben eine neue Wohnung gefunden, wir werden umziehen.»

      «Wieso?», wollte Wolfgang wissen.

      «Weil die neue Wohnung viel grösser ist.»

      «Aber die ist doch gross genug», meinte Wolfi, «ich möchte hier nicht weg.»

      «Warte nur bis du die neue Wohnung siehst», meinte Mutti, «dann wirst du begeistert sein.»

      «Kann ich mir nicht vorstellen.»

      «Warten wir‘s ab», entgegnete Vati, «du wirst schon sehen, es wird euch gefallen.»

      «Vati musste mit einigen Leuten verhandeln», erklärte Mutti, «ohne einige Gefälligkeiten hätte es nicht geklappt. Grosse Wohnungen sind selten, da muss man sich schon anstrengen, sonst bekommt man keine.»

      Beziehungen waren alles in der DDR.

      Damit war das Thema vorerst erledigt. Es dauerte ja noch einen ganzen Monat bis es soweit war. Dann kam der Tage.

      «Ich habe den Schlüssel bekommen», erklärte Vati beim Abendessen, «nach dem Essen fahren wir hin, dann werdet ihr Augen machen, die Wohnung ist einfach wunderbar.»

      Nach dem Essen fuhr Familie Thom los. Vati, mit Moni auf dem Gepäckträger, vorne weg, die Buben und Mutti folgten ihm. Von weitem sahen sie die neuen Wohnblöcke in Halle Süd. Neue, grosszügige Wohnungen, nicht so eng wie in ihrem kleinen Haus. Vor dem Haus Nummer 69 hielt Vati an und stellte das Fahrrad in den Fahrradständer. Alles sah sehr neu aus, noch wuchs kein Gras auf der Wiese, aber man sah, dass hier einmal ein schöner Spielplatz entstehen würde. Die Rutsche, das Klettergerüst, die Wippe und der Sandkasten standen schon. Noch fehlte der Sand im Sandkasten und der Spielplatz war abgesperrt, man musste warten, bis das neu gesäte Gras hoch genug war.

      Vati ging die Treppen hoch. Im dritten Stock steckte er den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Wohnungstür. Gespannt spähten die Kinder in den Flur.

      «Moni, das wird dein Zimmer», Vati zeigte auf die Türe gleich neben der Eingangstüre.

      «Dies wird euer Zimmer», Mutti zeigte auf die linke Türe, «und das wird das Wohnzimmer! – Exklusiv, mit grossem Fenster und einem Balkon.»

      Die Kinder waren beeindruck. Wenn man den Gang gerade aus folgte, kam man direkt ins grosse Schlafzimmer der Eltern. Die Küche war gross und es gab sogar eine Toilette mit einer Badewanne. Am Meisten beeindruckte die Kinder die schöne Aussicht. Man konnte direkt auf den Auenwald sehen.

      Die Inspektionsreise wurde noch im den Keller fortgesetzt, auch hier gab es reichlich Platz. Danach fuhr die Familie zurück in die alte Wohnung.

      Jetzt waren alle motiviert, in den nächsten Tag wurden, die kleinen Gegenstände mit dem Handwagen in die neue Wohnung gebracht. Jeden Abend wurde eine Wagenladung nach Halle Süd gekarrt. Jeder musste mithelfen. Sogar Moni half beim Einpacken ihrer Spielsachen mit.

      Am Wochenende kam dann das Fuhrwerk von Zörbig, mit dem man die Möbel und grösseren Gegenstände transportieren konnte. Gegen acht Uhr morgens traf das Fuhrwerk mit den zwei Pferden ein. Der Bauer aus Zörbig, dem Dieter im Stall geholfen hatte, stellte seinen besten Knecht für diesen Tag frei, damit er beim Tragen der schweren Möbel helfen konnte. Mutti sorgte dafür, dass die Möbel in der neuen Wohnung gleich an den richtigen Platz gestellt wurden.

      «Soll ich dir helfe?», fragte eine Mädchenstimme, als Dieter mit einem grossen Karton voll Büchern die Treppe hochstieg.

      Leider konnte Dieter nicht erkennen, wer ihm da Hilfe anbot: «Ich schaffe es schon, bin ja gleich oben.»

      Oben angelangt stellte Dieter den Karton mit seinen Bücher in seinem Zimmer auf den Boden, dann ging er zurück ins Treppenhaus. Jetzt konnte er erkennen, zu wem die freundliche Stimme gehört. Es war ein nettes Mädchen, vermutlich etwas jünger als er. Sie hatte lange braune Zöpfe und wie ihm sofort auffiel, braune Augen.

      «Hallo, ich bin Dieter, wir ziehen hier ein.»

      «Habe ich schon herausgefunden, ich bin Barbara Kasten, ich wohne im gleichen Stock, direkt neben eurer Wohnung.»

      Sie reichte Dieter die Hand und lächelte ihn freundlich an.

      «Wir werden uns sicher noch sehen», erklärte Dieter, «heute habe ich keine Zeit, ich muss helfen.»

      «Schon gut», meinte Barbara, «ich kann auch einige Kisten hoch tragen.»

      «Gut, also komm mit runter, es gibt noch einige Kisten hochzutragen, - danke.»

      Nun wurden die Kisten noch schneller