Miriam Pharo

Der Bund der Zwölf


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nicht viel davon gehabt hat. Maurice Milhauds Vermögen wird auf fünfhunderttausend Francs geschätzt.“

       Dankbar nahm Magali das Zitronentörtchen entgegen, das ihr Vincent in diesem Moment reichte. Wohl wissend, dass seine Jugendfreundin gern ein zweites Frühstück einlegte, hatte er sich vor zwanzig Minuten in der Confiserie um die Ecke mit ihrer Lieblingssüßspeise eingedeckt.

       „Ist das alles?“, fragte er.

       „Na hör mal.“ Hastig schluckte sie das erste Stück hinunter. „Das ist doch schon eine ganze Menge.“

       „Hast du nichts über den Zustand der Frau erfahren können?“

       Sie schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass das Dienstmädchen ihre Herrin zu Gesicht bekommen hat, als es mit ihr zu Ende ging. In dem Fall hätte sie es überall rumerzählt. So etwas behält man nicht für sich, wenn man sich interessant machen will.“

       Vincent strich sich nachdenklich das Kinn. „Es wird nicht einfach, an den Ehegatten ranzukommen. Weißt du, ob noch jemand im Haus lebt?“

       Magali verschlang ein weiteres Stück von dem Zitronentörtchen und bedachte Vincent mit einem schiefen Grinsen. „Es gibt noch zwei Bedienstete.“ Sie tupfte sich mit abgespreiztem Finger den Mund. „Die Köchin und die Haushälterin, eine Madame Boneasse.“

       „Also weißt du doch mehr, als du erzählt hast!“ Vincent sah sie leicht verärgert an. „Lass dir nicht immer alles aus der Nase ziehen, Magali.“

       Sie zog eine Schnute. „Ich weiß nur, dass die Haushälterin ein strenges Regiment führt und sich das Dienstmädchen darüber beschwert hat.“

       „Ist das alles?“

       „Ja.“

       „Sicher?“

       „Ja-a.“

       „Hmm …“ Seine Stirn glättete sich etwas. „Könntest du vielleicht …?“

       „Nein.“

       Überrascht hob er eine Augenbraue, eine solche Antwort hatte er nicht erwartet. „Ach komm.“ Er schenkte ihr ein, wie er hoffte, einnehmendes Lächeln. „Fühl der Haushälterin auf den Zahn! Rede mit ihr, von Frau zu Frau.“

       „Nein!“

       Er spürte, wie Ärger in ihm aufstieg. „Stell dir vor, wir lösen den Fall und bekommen die 10.000 Francs“, sagte er. „Dann wären wir aus dem Schneider.“

       Magali sah ihn mit ungewohnt finsterer Miene an. „Du meinst, du wärst aus dem Schneider.“

       Er biss sich auf die Lippen. „Nein, wir. Nachdem ich die Näherin ausbezahlt hätte, würde noch etwas Geld übrig bleiben. Wir könnten unsere Reserven wieder aufstocken.“

       „Du willst etwas schaffen, woran erfahrene Polizisten und Wissenschaftler gescheitert sind?“

       Traute sie ihm denn gar nichts zu? „Es ist zumindest einen Versuch wert.“

       „Das ist Unsinn!“

       Vincent schaute sie böse an. Sein Geduldsfaden stand kurz vor der Zerreißprobe. „Seit wann bist du so negativ? Die Magali, die ich kenne, würde sich diese Chance nicht entgehen lassen.“

       Unerwartet huschte ein gequälter Ausdruck über ihr Gesicht. „Verlang das nicht von mir, Vincent“, sagte sie leise.

       „Was soll ich nicht verlangen?“

       „Du willst, dass ich mich bei einer armen alten Frau einschmeichele und ihr Vertrauen missbrauche, nur weil du dich mit den falschen Leuten angelegt hast. Das ist nicht anständig.“

       Spricht aus dir plötzlich deine katholische Erziehung?, wollte er fragen, hielt jedoch seine Zunge im Zaun. „Beim Metzger ging’s doch auch“, sagte er stattdessen.

       „Das war etwas anderes.“

       Er holte tief Luft. „Tu es für mich.“

       „Nein.“ Unangenehm berührt schaute Magali zu Boden. „Es tut mir leid!“ Sie rutschte vom Rücksitz hinunter, riss die Tür auf und sprang auf die Straße. „Ich nehme die Metro!“, rief sie noch, dann war sie weg.

       Verblüfft blickte ihr Vincent hinterher.

       „Zigarette?“, fragte Gustave.

       „Gern.“

       „Frauen, hm?“

       „Ja“, antwortete Vincent. Unwillentlich verzogen sich seine Mundwinkel zu einem kleinen Lächeln.

       „In diesem Aufzug willst du hin?“ Der skeptische Ausdruck in Magalis Augen, als er sich ihr am nächsten Morgen stolz präsentierte, war unübersehbar.

       Sie befanden sich in seinem schlicht eingerichteten Ankleidezimmer, das mit rauchblauer Seide ausgekleidet und mit farblich abgestimmten Möbeln bestückt war. Wäre es allerdings nach ihm und nicht nach Magali gegangen, säße seine Freundin jetzt auf einem teuren mit Gobelinstoff überzogenen Diwan, umgeben von atemberaubender Opulenz im Pompadour-Stil.

       Er sah an sich herunter. „Wieso? Was stimmt damit nicht?“

       Magali deutete mit ihrer silbernen Zigarettenspitze auf ihn. „Du wirst diese brave Frau zu Tode erschrecken.“

       „Das sagst ausgerechnet du?“

       Magali lächelte nachsichtig. „Hier geht es nicht um mich, Schatz.“

       Vincent schnaubte, bevor er vor den körpergroßen Spiegel trat und den Kopf mal nach links, mal nach rechts neigte. Abgesehen von seinem Gesicht gefiel ihm, was er sah: der weiße Flanellanzug, dazu das apfelgrüne Hemd und die lavendelfarbene Krawatte mit dem goldenen Monogramm ... Er, der Junge aus dem Quartier des Halles, hatte es weit gebracht.

       Magali sah das offenbar anders. „Ach, um Himmels willen!“, rief sie und stürzte zu seinem begehbaren Kleiderschrank, in dem sich neben Anzügen, Krawatten und blank polierten Schuhen die Hemden eindrucksvoll türmten.

       Nachdenklich tippte sie mit dem Zeigefinger auf ihre Oberlippe, eine Eigenart, die Vincent an ihr besonders mochte, bevor sie sich jedes Regal einzeln vornahm. Als er sie abwechselnd murmeln und fluchen hörte, konnte er sich ein Gefühl der Schadenfreude nicht verkneifen. Nach einer Weile kam sie mit leeren Händen heraus.

       „Es ist hoffnungslos“, verkündete sie mit einem Seufzen. „Ich übernehme das.“

       „Was?“

       „Ich werde zum Haus der Milhauds gehen und mit der Haushälterin sprechen.“

       „Wirklich?“

       „Entschuldige, Vincent. Du weißt, ich liebe dich, aber mit deinem Gesicht und den …“ Sie deutete hinter sich. „… Sachen da werden dich diese Leute nicht über ihre Türschwelle lassen. Der Versuch wäre reine Zeitverschwendung.“

       Nur mit Mühe gelang es ihm, ein Grinsen zu unterdrücken. Er hatte gewusst,