Bernd- Andreas Ulke

CUBANO PANKOW


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hinter sich. Jana und Mandy bemerken das und ziehen an. Nach der Wende werden sie aber von der exotischen Schwimmerin überholt.

      Helena erreicht lange vor den anderen den Beckenrand, ist aber dafür auch ordentlich aus der Puste.

      Die Lehrerin baut sich vor ihr auf, doch kann sie ihre Begeisterung für dieses junge Talent nicht verbergen. Sie geht schließlich in die Hocke.

      „Casera, nehme ich an.“, sagt sie freundlich, spricht aber in Unkenntnis den Nachnamen aus, ohne das E zu betonen, „Helena Casera.“

      Genau diese hält sich am Beckenrand fest, versucht sich zu sortieren. Sie sieht die Lehrerin ehrfürchtig an und nickt, kann sich aber nicht verkneifen, auf die korrekte Aussprache ihres Nachnamens hinzuweisen. Und wird sofort ernst genommen.

      „Aber ja, natürlich. Werd´ s mir merken. Ich bin die Frau Wehmschute. Auch mit langem E.

      Du hast noch keine Ausstattung wie ich sehe. Komm nach dem Unterricht mal zu mir. Wir müssen etwas besprechen. Du wirst im Kader trainieren.“

      Das Mädchen im Wasser macht große Augen.

      „Verstehst du mich eigentlich, Fräulein Casera?“

      „Ja. Im Kader trainieren. Natürlich. …Immer bereit.“, keucht Helena.

      Die Frau Wehmschute also richtet sich zufrieden auf und ruft zu den anderen.

      „Seht mal her! Helena ist ab jetzt das Maß aller Dinge! Da könnt ihr euch warm anziehen! Am besten ihr dreht gleich erstmal noch ne´ Runde, ihr lahmen Küken!“

      Helena schiebt sich mit einer Hand das Wasser aus dem Gesicht und starrt ins Leere.

      Mandy und Jana kommen hinter ihr an. Knallrot und völlig geschafft.

      Im vorweihnachtlichen Einkaufsgetümmel gehen die beiden Damen aus dem fernen, fernen Land in der Masse beinahe unter. Nur ihre hart akzentuierten Stimmen heben sich deutlich von dem monotonen Stimmgewirr der üblichen Besucher des Kaufzentrums ab. Man könnte meinen, sie streiten. Dabei ist es nur eine normale, gar fröhliche Unterhaltung. Spanische Sätze rollen und tollen, rumpelnde R´ s, melodiöse E´ s, A´ s und O´ s. Helena berichtet von ihrem ersten Kadertraining, bei dem sie fast zwei Stunden lang im Wasser war.

      „Dos horas, Mamá, dos. Y todo el tiempo venga, venga! Weiter, weiter!

      „Increible.“

      Aber all das ist nebensächlich, ebenso wie der böse Streich, dem sie zum Opfer gefallen war. Was wirklich zählt ist der Junge Eduard. Der sie gerettet hatte. Der von großartigen Dingen sprach, die sie zusammen erleben würden. Tatsächlich aber hat sie ihn seitdem nur auf dem Schulhof, aus der Ferne also, gesehen.

      Muter und Tochter Casera stellen sich während ihrer pausenlosen Unterredung an eine lange Schlange bei einem Wurststand an, die schweren Einkäufe neben sich abgestellt, die Hände tief in die Jackentaschen vergraben. Es duftet köstlich nach Bratwurst. Irgendwo liegt auch der Geruch von gerösteten Maronen in der nasskalten Luft, und für einen Moment lang ist Helena wieder auf dem Weihnachtsmarkt- ein Ausflug gemeinsam mit dem Lehrer und seinen Kindern, wenige Tage zuvor- zwischen all den frohlockenden Fahrgeschäften, den bunt funkelnden Karussells, den schillernden Buden, eingehüllt in diesige Luft, in Leierkastenmusik und das Rattern der Achterbahn, in gellende Rufe von hohen Wagen aus- Sehen und staunen Sie!

      Da war der Biss in den süßen Kandierten Apfel und der Mann, der Ketten sprengen konnte, sein zuversichtliches Zwinkern und Helenas Erwidern. Da war die Planetenkugel des Fernsehturms, die über alles und allem schwebte, am messingfarbenen Himmel über dem Festplatz.

      Dann die Heimfahrt in Martins Lada, eine Rückbank aus Kunstleder, zwei Buben mit Pudelmützen und Schnupfnasen, das Zerpflücken und vernaschen von Zuckerwatte. Nebenbei das Vorbeiziehen einer Stadt im Dunstschleier: finstere Schaufenster unter Leuchtreklame, turmhohe Häuser, die müden Rücklichter der Autos, Ampelmasten mit Straßenschildern- wie Vogelscheuchen auf einem nebligen Feld.

      In der Schlange geht es ein gutes Stück voran. Plötzlich scheint im Kaufzentrum die Hölle los zu sein. Nicht nur regnet es weit gestreut in langen Fäden. Menschen wuseln umher, strömen aus allen Richtungen zu einer bestimmten Stelle hin. Eine richtige Ansammlung hat sich irgendwo da vorn gebildet. Auch der Wurstverkäufer starrt gebannt in diese Richtung. Polizisten tauchen auf wie Statisten in einer Filmszene, weisen die Leute energisch zurück. Ein weiterer Toniwagen kommt mit Blaulicht und entsetzlich jaulender Sirene auf den Vorplatz gebraust.

      Die beiden Kubanerinnen sehen sich ungläubig an, geben in Anbetracht der aufgeladenen Situation ihre Position in der Schlange auf und bewegen sich wie magisch angezogen in die Richtung, in der das Treiben am Hektischsten scheint. Leute kommen ihnen bereits wieder entgegengelaufen, so dass sich die beiden regelrecht hindurchschlängeln müssen. Plötzlich steht ihnen ein junger Polizist mit ausgebreiteten Armen gegenüber, die eindeutig eine Absperrung signalisieren.

      „Hier geht es jetzt nicht weiter!“

      „Aber wir müssen da lang. Wir wohnen dort.“ raunt die Mutter.

      Es besteht an und für sich kein Grund, sich der Anweisung des Polizisten zu widersetzen. Aber die elegante Frau Casera, Elisabet Casera, mit ihrem dicken welligen Haar, das zu einem mächtigen Zopf zusammengebunden ist, lässt sich im Leben nur ungern vom eingeschlagenen Weg abbringen. Ihr kommt das alles so unwirklich vor, ist beim besten Willen nichts zu erkennen, was diesen Trubel auslöst.

      „Was ist denn hier eigentlich los?“, will sie wissen.

      „Ich sagte doch, junge Frau, hier ist abgesperrt! Gehen Sie also sofort weiter.“

      Da stehen nun die beiden schönen Damen, denen kaum im Gesicht abzulesen ist, dass sie Mutter und Tochter sind, es sich wohl eher durch die gleiche verführerische, prächtig anmutende Ausstrahlung definiert.

      Helena sieht dem sommersprossigen Gesicht mit der großen Mütze irgendwie an, dass es nur die Uniform sprechen lässt.

      Sicher soll der junge Polizist niemanden durchlassen, aber bestimmt versteht er auch die Neugier der Menschen und sieht, dass es regnet und die beiden schwer zu tragen haben. Auch sie kann der Versuchung nicht widerstehen. So spricht sie mit großen Augen ganz lieb los, ein paar nasse Haarsträhnen im Gesicht.

      „Entschuldigung. Es ist ja nur… wir müssen mit unseren schweren Beuteln das ganze Weg außen herum laufen. Und es ist so nass und kalt bei dem Wetter.“

      Der junge Uniformierte sieht Helena an, als hätte er ein Gespenst gesehen.

      Als seine Augen plötzlich ganz froh aufleuchten, denn ihm ist nun eine Erkenntnis gekommen, dreht er sich schnell zu seinem Vorgesetzten um, der seinen Bereich fast frei geräumt hat aber immer noch sehr beschäftigt ist.

      „Na gut. Aber ganz schnell, ja! Und nicht zur Wand sehen! Verstanden? Nicht zur Wand sehen!“

      „…Danke.“ Helena schmunzelt wunderhübsch und geht dann mit ihrer Mutter schnurstracks drauflos.

      „Genosse Mischalski! Was ist denn mit den Leuten da?!“

      Der erfahrene Hauptmann will den jungen Kollegen zur Räson bringen, schickt sich sogar an, die beiden Damen selbst aufzuhalten.

      Helena und ihre Mutter sind aber schon zu weit entfernt. Mit hochgezogenen Schultern schreiten sie zum Ende des Kaufzentrums. Im blinkenden blauen Licht eines Toniwagens riskieren sie, wie von einer unheimlichen Macht getrieben, einen Blick zur Seite. Dort sind zwei Männer in weißen Kitteln akribisch damit beschäftigt, ein buntes Plakat von der Wand zu kratzen. Es zeigt eine lustige Figur, die einem frech entgegengrinst. „Sei nicht dumm- schalt um!“ steht noch dazu in großen Lettern geschrieben.

      Helena ist wie elektrisiert in diesem Moment. In der Schule auf dem Hof hat sie schon oft von diesen mysteriösen Plakaten gehört. Die Figur ist aus dem Westfernsehen, sagen sie alle, ein Mainzelmännchen. Wenn jemand ein Plakat entdeckt hat, wird davon gleich ganz geheimnisvoll berichtet und