Bernd- Andreas Ulke

CUBANO PANKOW


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Kaviar eingelagert sind, wo sich eine Puppensammlung befindet und der alte Luftschutzbunker. Dort unten scheint die Zeit stehen geblieben, in dieser eigenen unterirdischen Welt, in der man tapfer sein muss, im Dunkeln, nur mit einer kleinen Taschenlampe bewaffnet, in der man sich zu orientieren wissen muss. Die Stiefel schreiten unbeirrt ihren Weg, und einen Häuserblock entfernt der Dusekestraße, vom Haus mit dem Kartoffelladen, hinterlassen die femininen Schritte, kurz darauf Spuren im Schnee.

      Es ist still da draußen und schneit unaufhörlich. Kein Mensch ist zu sehen. Eduard hört, wie seine Schritte den Schnee unter ihm zusammenpressen. Er kann seinen Atem sehen, der in der freudigen Erregung etwas scherfälliger ist. Wenn jetzt irgendwelche Klassenkameraden an der Bushaltestelle stünden oder später im Bus noch dazu stiegen, sein Herz würde gewiss laut pochen. Aber er würde gelassen bleiben. Ganz abgekartet wäre sein Spiel, an dessen Ende sie nicht mehr wüssten, wo hinten und vorn ist.

      An der Haltestelle steht nur ein älterer Mann, dick eingepackt, Fellmütze, eine Tasche, aus der eine Thermoskanne hervorlugt. Wohl ein Arbeiter auf dem Weg zur Nachtschicht. Eduard zündet sich eine Zigarette an und ist ganz mit seiner Rolle eins geworden.

      Als der Bus weinige Minuten später über die Schneedecke an die Haltestelle schleicht, öffnen die Türen mit einem Zischen und schließen sich einen Augenblick später ebenso. Der Bus fährt an und bewegt sich durch die düsteren Nebenstraßen vor zur großen Schönhauser Allee.

      Am Horizont ist dort schon der Fernsehturm zu erkennen, an dessen Fuße ein Modedesigner aus Westberlin mit interessanten Neuigkeiten wartet.

      Als es schon wieder fast hell ist in der Dusekestraße, patrouilliert ein Lada der Volkspolizei über das Kopfsteinpflaster. Der junge Uniformierte am Steuer ist auf einer seiner ersten Streifenfahrten. Er ist ganz schön müde, hat er doch die halbe Nacht in einem Jugendtreff Kassetten gespielt, dabei alle Register gezogen, mit krachenden Gitarrenriffs und Breakdance das Publikum ganz schön zum Ausflippen gebracht.

      Trotz der verantwortungsvollen Aufgabe, jungen Leuten die internationale Popkultur näher zu bringen, fühlt er sich dem Staatsdienst ungemein verpflichtet und ist mit Freude dabei, hat somit an diesem Morgen trotz Ohrensausen und einem leichten Kater schnell wieder ins dienstliche Geschehen gefunden.

      „Regler voll hoch, Frequenzweiche, und dann nur so mama se- mama sa und so, die ganze Zeit astrein melodisch, voller gewaltiger Rhythmen, verstehen Sie!?“

      Der junge Polizist heißt Maik Michalski.

      Und er erwartet von seinem Vorgesetzten keine Reaktion.

      Stolz lächelt er mit seinen Sommersprossen, als er den Streifenwagen vorsichtig über das vereiste Kopfsteinpflaster manövriert, das gesäumt ist von matten Farbtupfern, den Autos, die entlang der Straße geparkt sind, noch zugedeckt mit Schnee, bezeichnend, hat an diesem Samstag Morgen anscheinend noch kaum jemand die kuschelige Behausung verlassen.

      An den Laternen hängen Eiszapfen, schimmern in der aufgehenden Sonne.

      Maik ist frohen Mutes. An Pankow liebt er das Verwunschene, stets Verschlafene, die vielen grauen Altbauten, die von einem langen, außergewöhnlichen Leben erzählen, während ihnen hier und da der dunkel gewordene Putz abbröckelt.

      Eines der Häuser ragt besonders geheimnisvoll und düster empor. Als sei es das Zentrum einer Märchenstadt, malt sich der frisch gebackene Uniformträger gerade tagträumerisch aus.

      Zu schade, findet er es, dass seine Arbeit häufig allzu trocken daher kommt. Ein aufgebrochener Keller hier, ein Verkehrsunfall ohne Verletzte da. Es sind die nicht alltäglichen Dinge, die für ihn den besonderen Reiz ausmachen. Ein paar außergewöhnliche Geschichten aber hat er in seiner kurzen Amtszeit immerhin schon erlebt. Die alte Frau Marschner aus der Krusemarkstraße beispielsweise, die regelmäßig auf der Wache anruft und fragt, wann wieder Fliegeralarm ist. Der Geisterfahrer auf der Prenzlauer Allee, der volltrunken, wild hupend die entgegenkommenden Fahrer bepöbelte. Oder der Fall Paule Brenner, der Pensionär unter den Geldschrankknackern, der am Tatort ergriffen wurde, weil die Nachtwache im Altenheim ihn als vermisst meldete.

      Die Vielzahl mysteriöser Ereignisse, wie sie in Pankow gerade in beispielloser Weise von statten gehen, sind da sozusagen ganz nach seinem Geschmack.

      Bewusst steuert Maik das Haus mit dem Kartoffelladen an, fährt immer langsamer, als sie in dessen Nähe kommen. Er brennt nur so darauf, mehr über das sagenumwobene Haus zu erfahren und rechnet fest damit, dass sein Vorgesetzter, der auch im Fahrzeug seine schwere Fellmütze aufhat, ganz von selbst ein paar interessante Bemerkungen darüber machen wird.

      Maik Michalski, mit feuerrotem Haar und kindlichem Gesicht, an dessen drahtigem Körper die Uniform wie anderthalb Nummern zu groß sitzt, ist direkt etwas aufgeregt, als er die gruselige Fassade zu seiner Linken erspäht, muss aber breit schmunzeln, als er den Hauptmann sogleich losbrabbeln hört.

      „Halt mal an. Dieses Haus hier musst du dir merken. Dusekestraße 29. Das ist das Haus mit dem Kartoffelladen.“ Maik bremst langsam ab und betrachtet alles ganz genau.

      Kartoffeln und Eier steht über der verschmutzten Schaufensterscheibe. Olle Fliesen neben der verrammelten Eingangstür sind das Resultat sozialistischer Behelfssanierung.

      „Wir hatten damals diverse Einsätze hier. Besorgte Anwohner meldeten des Nachtens unheimliche Lichtstrahlen hinter der Scheibe des Ladens. Dazu ging auch noch das Gerücht um, die letzten Betreiber, das Ehepaar Brink, die sind damals bei einem Autounfall ums Leben gekommen, würde noch immer dort ihr Unwesen treiben. Da war die Legende endgültig geboren.

      Tatsächlich konnten wir aber nie etwas feststellen, was uns dienlich gewesen wäre. Das ist eben nur ein eingestaubter Laden. Na ja. Die Leute sind wohl etwas gutgläubig hier oder haben Spaß an diesen Schauermärchen. …Obwohl, seltsam ist das Haus allemal. Oben in der letzten Wohnung unterm Dach. Da wohnt noch die alte Großmutter Brink mit den beiden Enkelsöhnen. Der ältere der beiden ist übrigens der dicke Benny Brink aus der 2. Dienstschicht. Der will davon nichts hören. Das geht ihm sicher alles sehr nahe, auch nach all den Jahren. Aber der Jüngere, das ist so ein Verrückter. Mit angemalten Augen. Der ist schon eigenartig. Dann die Ereignisse in der Nachbarschaft. Diese Plakate mit den bunten Figuren aus dem Westfernsehen, diesen...“

      „Mainzelmännchen.“

      „Richtig. Und dann ist da natürlich der Piratensender. Regelrechte Sabotage ist das.“

      Beim Wort „Piratensender“ horcht Maik nervös auf. Im Jugendclub schwärmen alle nur so von diesem illegalen Radio, das angeblich alle paar Wochen einen neuen geheimen Stützpunkt bezieht, um den Messtrupps der Sicherheitsorgane nicht ins Netz zu gehen. Möglichst hoch oben gelegen seien diese Orte. Wie Storchennester. Um günstig die Antenne platzieren zu können.

      So verbreiten die Macher ihre politischen Parolen ganz vogelfrei über den Äther, beschwören den Fall der Mauer, den Untergang des Systems. Sie kämpfen für Freiheit, propagieren Zusammenhalt unter allen Andersdenkenden, der mutigen Bevölkerung, der die Welt gehört, wie sie es ausdrücken. Sylvester soll es eine große geheime Party geben, zu der nur ausgewählte Personen Zugang haben. Maik hat davon Wind bekommen, weiß sogar, wo das Ereignis abgehalten werden soll. Aber statt sich auf Arbeit Karrierechancen zu verschaffen und diese wertvolle Information zu melden, überlegt er, tatsächlich selbst dort hinzugehen. Zu verlockend ist diese versteckte Welt. Und wenn sie sich als unhaltbar verboten entpuppen sollte, mit seiner Vorstellung von Moral und Gerechtigkeit nicht mehr vereinbar wäre, dann bliebe ihm ja immer noch die Möglichkeit, seines Amtes zu walten oder die Sache einfach nur hinter sich zu lassen. Jetzt aber schaut er auf das berüchtigte Haus.

      Was mag dort vor sich gehen?

      „Entschuldigen Sie die Frage, Herr Hauptmann. Aber was sollen die Plakate und der Piratensender mit diesem Haus zu tun haben?“

      „Instinkt, junger Genosse… Intuition. Du wirst das noch lernen. Der gute Beamte prüft den Sachverhalt zunächst nach objektiven Fakten. Was ist passiert? Wann ist es passiert? Wer hat was gesehen? Und so weiter. Dazu kommen Berufs- und Lebenserfahrung,